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Die Bußmaße für die ehelichen Vergehen
Was Ludger Körntgen für die Gattung der Bußbücher an sich festhält, trifft in be-
sonderem Maße für die ehelichen Bestimmungen zu: »Das festzustellende Nebenei-
nander verschiedener Texte ist also nicht Ausdruck rechtlicher Willkür und Belang-
losigkeit, sondern entspricht dem praktischen Charakter des Genres.«^ Auf das
Bußverständnis gewendet bedeutet das: Erstens sind grundsätzlich alle genannten
Vergehen ablehnungsbedürftig, unabhängig davon, ob sie sich gegebenenfalls nur
in Gedanken abgespielt haben oder zur Ausführung gekommen sind. Zweitens
spiegeln sich Nuancierungen im Bußmaß wider, die berücksichtigen, in welchem
Grad welche Personen am Vergehen beteiligt sind. Drittens tragen die Bußmaße ei-
nem Sündendenken Rechnung, das die Intention des Sünders auf ganz bestimmte
Weise integriert. Bei fast allen Vergehen geht es weniger darum, ob der Täter die Tat
tun wollte oder nicht, sondern - und das ist bisher in der Forschung nicht themati-
siert worden - ob eine weitere Person daran beteiligt worden ist. Intendiert waren
bis auf die Vergehen der unbeabsichtigten Pollution alle Handlungen, sodass jede
Person, die am Delikt mehr oder minder Anteil hat, prinzipiell Schuld auf sich lädt" .
Diese gilt es zu sühnen, ungeachtet der Tatsache, ob der Sünder wissentlich oder
unwissentlich, willentlich oder gezwungen gehandelt hat. Insgesamt scheint es sich
bei diesem Aspekt um ein zentrales Element des frühmittelalterlichen Buß- und
Sündenverständnisses zu handeln, dem bislang wenig Beachtung geschenkt wor-
den ist. Darauf wird zurückzukommen sein.^ Alles in allem bemisst sich die Höhe
der Strafe letztlich mehr am Grad der Beteiligung und weniger an der Intention.
Hat die Frau dem Delikt nicht zugestimmt, ist sie gar vergewaltigt worden, büßt sie
nur geringfügig. Hat sie jedoch zugestimmt oder gibt es Dritte, welche die Tat er-
möglichen, gar einer unrechtmäßigen Ehe zugestimmt haben, büßen sie so hart wie
der Delinquent selbst. Das heißt ferner, dass die Bußbücher, gerade weil eine Buß-
auflage abhängig vom Ausgang und der sozialen Wirksamkeit der Verstrickung
verhängt wird, mindestens anfänglich zwischen Schuld und Strafe trennen, wenn-
gleich derartige Zusammenhänge sich nur äußerst selten terminologisch fassen las-
sen.
Gegen welches System und welche Ordnung der frühmittelalterliche Mensch
verstößt, wenn er eine Sünde begeht und Schuld auf sich lädt, ob eine weltliche Ord-
nung oder eine sakrale Sphäre in Unordnung gerät, ist allein aus der Tarifierung
nicht zu klären. Möglicherweise kann die Art der Bußleistungen weiteren Auf-
schluss bieten.
26 KÖRNIGEN, Quellen der Bußbücher, S. 1.
27 Vgl. ANGENENDT, Frühmittelalter, S. 335.
28 Vgl. Teil C, X11.2.a, S. 357-359 .
Die Bußmaße für die ehelichen Vergehen
Was Ludger Körntgen für die Gattung der Bußbücher an sich festhält, trifft in be-
sonderem Maße für die ehelichen Bestimmungen zu: »Das festzustellende Nebenei-
nander verschiedener Texte ist also nicht Ausdruck rechtlicher Willkür und Belang-
losigkeit, sondern entspricht dem praktischen Charakter des Genres.«^ Auf das
Bußverständnis gewendet bedeutet das: Erstens sind grundsätzlich alle genannten
Vergehen ablehnungsbedürftig, unabhängig davon, ob sie sich gegebenenfalls nur
in Gedanken abgespielt haben oder zur Ausführung gekommen sind. Zweitens
spiegeln sich Nuancierungen im Bußmaß wider, die berücksichtigen, in welchem
Grad welche Personen am Vergehen beteiligt sind. Drittens tragen die Bußmaße ei-
nem Sündendenken Rechnung, das die Intention des Sünders auf ganz bestimmte
Weise integriert. Bei fast allen Vergehen geht es weniger darum, ob der Täter die Tat
tun wollte oder nicht, sondern - und das ist bisher in der Forschung nicht themati-
siert worden - ob eine weitere Person daran beteiligt worden ist. Intendiert waren
bis auf die Vergehen der unbeabsichtigten Pollution alle Handlungen, sodass jede
Person, die am Delikt mehr oder minder Anteil hat, prinzipiell Schuld auf sich lädt" .
Diese gilt es zu sühnen, ungeachtet der Tatsache, ob der Sünder wissentlich oder
unwissentlich, willentlich oder gezwungen gehandelt hat. Insgesamt scheint es sich
bei diesem Aspekt um ein zentrales Element des frühmittelalterlichen Buß- und
Sündenverständnisses zu handeln, dem bislang wenig Beachtung geschenkt wor-
den ist. Darauf wird zurückzukommen sein.^ Alles in allem bemisst sich die Höhe
der Strafe letztlich mehr am Grad der Beteiligung und weniger an der Intention.
Hat die Frau dem Delikt nicht zugestimmt, ist sie gar vergewaltigt worden, büßt sie
nur geringfügig. Hat sie jedoch zugestimmt oder gibt es Dritte, welche die Tat er-
möglichen, gar einer unrechtmäßigen Ehe zugestimmt haben, büßen sie so hart wie
der Delinquent selbst. Das heißt ferner, dass die Bußbücher, gerade weil eine Buß-
auflage abhängig vom Ausgang und der sozialen Wirksamkeit der Verstrickung
verhängt wird, mindestens anfänglich zwischen Schuld und Strafe trennen, wenn-
gleich derartige Zusammenhänge sich nur äußerst selten terminologisch fassen las-
sen.
Gegen welches System und welche Ordnung der frühmittelalterliche Mensch
verstößt, wenn er eine Sünde begeht und Schuld auf sich lädt, ob eine weltliche Ord-
nung oder eine sakrale Sphäre in Unordnung gerät, ist allein aus der Tarifierung
nicht zu klären. Möglicherweise kann die Art der Bußleistungen weiteren Auf-
schluss bieten.
26 KÖRNIGEN, Quellen der Bußbücher, S. 1.
27 Vgl. ANGENENDT, Frühmittelalter, S. 335.
28 Vgl. Teil C, X11.2.a, S. 357-359 .