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Weber, Ines [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0313

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298 Vollgültige Ehe oder geduldete Geschlechtsbeziehung? - Das Recht der Abhängigen

Demnach entscheiden drei Kriterien über den Rechtsstatus der Kinder: Erstens
ist es nicht der Zeitpunkt der Geburt, sondern der der Zeugung, der den Status des
Kindes bestimmt. Zweitens ist es nicht allein der Status der Mutter, der den des Kin-
des vorgibt. Vielmehr ergibt sich ein kompliziertes Geflecht von Regelungen, das
alle Rechtsbereiche und -Status zu berücksichtigen hat. Liegen drittens alternative
urkundliche Regelungen vor, so regeln diese den Status des Kindes. Erneut muss
nachdrücklich betont werden, dass es nicht das Geschlecht, sondern allein der sozi-
alrechtliche Status der Mutter, der Eltern oder beider ist, der entscheidend ist.
Abschließend ist festzuhalten, dass sowohl die Konzilien und Kapitularien als
auch die Bußbücher für bestehende eheliche Gemeinschaften von Abhängigen ein
äußerst uneinheitliches Bild zutage gefördert haben. Die Bestimmungen schwan-
ken zwischen einer strengen Einhaltung des Unauflöslichkeitsprinzips, das auch
für Ehen von abhängigen Personen gelten sollte, und verschiedenen Abweichun-
gen, die allesamt den wirtschaftlichen Erfordernissen des Herrschaftssystems ge-
schuldet sind. Diese lassen den Verkauf der Hofhörigen, des Mansusinhabers oder
ihrer Abhängigen ebenso notwendig erscheinen wie eine Wiederheirat eines Ab-
hängigen. Im Regelfall fallen die Entscheidungen zugunsten der ökonomischen Er-
fordernisse aus. Für die Eheleute ergeben sich von Fall zu Fall unterschiedliche
Konsequenzen, die sich zwischen dem strikten Verbot sowie der Konzession zur
Wiederheirat bewegen.

3. Der Frauenraub unter Beteiligung von Abhängigen

Das Thema des Frauenraubes ist im ersten Hauptteil dieser Arbeit bewusst inner-
halb des Kapitels der Eheschließung behandelt worden. Es ließ sich nachweisen,
dass der Frauenraub sowohl ohne als auch mit Zustimmung der Frau ein Delikt ist,
das zu keiner legitimen Ehe führen kann, weil die Zustimmung der jeweiligen Ver-
wandten fehlt. Inwieweit die Frau der Tat zugestimmt hat, hatte lediglich Auswir-
kungen auf das Strafmaß. An der Beurteilung der eigentlichen Handlung änderte
es nichts.^
Auch Abhängige müssen ungeachtet ihres sozialrechtlichen Status den for-
malrechtlichen Voraussetzungen einer Eheschließung Genüge leisten. Rechtlich
zuständig muss der jeweilige Herr der Eheschließung zustimmen. Insoweit sind
abhängige und freie Personen einander gleichgestellt. Wenn auch für die Heirat von
Hörigen das zutrifft, was allgemein für die Ehe gilt, nämlich dass der Konsens aller
Beteiligten Urteilskriterium ist, müsste auch der Frauenraub einzig deshalb verbo-
ten sein, weil die Zustimmung des jeweiligen Herrn bzw. der Familie fehlt. Dem-
nach dürfte auch der Frauenraub, an dem ein abhängiger Mann bzw. eine abhän-
gige Frau beteiligt ist, sich weniger als alternative Eheform heraussteilen denn als
ein Verstoß gegen den korrekten Abschluss einer Ehe.

79 Vgl. Teil A, 11.2, S. 63-76.
 
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