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Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0314

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VIII. Die Eheschließung als konsensuelles Geschehen

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In der Tat passen sich die Vorschriften zum Frauenraub in das Gesamtkonzept
der Eheschließung ein. Jedem Mann - ungeachtet seines rechtlichen Status - ist es
verboten, eine Frau, welchen Rechtsstandes auch immer, in seine Gewalt zu brin-
gen. Näherhin heißt das: Grundsätzlich ist es dem freien Mann untersagt, eine ab-
hängige Frau gegen das Einverständnis ihrer Verwandten und des Herrn zu rau-
ben. Umgekehrt ist es auch einem Hörigen untersagt, eine freie oder abhängige
Person dem jeweiligen Rechtsbereich zu entziehen. Erneut macht sich der unter-
schiedliche Status der Beteiligten vornehmlich im Strafmaß bemerkbar, das vor al-
lem in den Leges greifbar wird; am grundsätzlichen Verbot des rapfus aber ändert
eine solche Unterscheidung nichts. Um die Argumentationen im Einzelnen zu klä-
ren, ist es erneut sinnvoll, die Vorschriften getrennt nach Personengruppen zu ana-
lysieren.

a) Der Raub einer Abhängigen
»Wenn jemand eine fremde abhängige Frau geraubt und sie auf einen fremden Hof
geführt hat und entweder ihr Herr oder ihre Eltern/Verwandten ihr dorthin folgen:
Wenn sich der Hofbesitzer ihnen dann entgegenstellt und es nicht zulässt, dass man
Anspruch auf sie erhebt, so büßt er als Rechtsverweigerer 20 Schillinge, halb dem
König, halb dem Herrn der abhängigen Frau.V Es ist der fremde Hofbesitzer, der
als »Rechtsverweigerer« zunächst in die Pflicht genommen wird. Ob dieser iden-
tisch ist mit dem Herrn oder mit dem Mansusinhaber dieses Hofes, geht aus dem
Text nicht hervor und ist für die Beurteilung unerheblich. Wichtig ist, dass die Tat
unrechtmäßig ist, weil kein Mann über Personen aus dem Rechtsbereich eines frem-
den Herrn verfügen kamW Zudem ist die Abhängige gegen den Willen der Ver-
wandten geraubt worden. Was bislang in den Quellen im Zusammenhang mit der
Eheschließung von Hörigen an keiner Stelle eigens erwähnt wurde, vermutlich weil
einhellig vorausgesetzt, wird im Zusammenhang des Raubes evident: Auch die
Verwandten einer abhängigen Frau müssen neben dem Herrn der Heirat zustim-
men. Das Einverständnis des Herrn kommt lediglich zu den bekannten Formvor-
schriften als zusätzliches hinzu, ersetzt jedoch keineswegs den verwandtschaftli-
chen Konsens. Schließlich leben viele Abhängige im Kreise ihrer Verwandten auf
den Mansen oder Hufen. Dass deren Einverständnis nicht übergangen werden
kann, scheint schlüssig. Dass dennoch die fehlende Zustimmung des Herrn immer
wieder im Mittelpunkt aller Kritik steht, dürfte zwei Gründe haben: Erstens ist da-
von auszugehen, dass in den oben analysierten Vorschriften zur Eheschließung die
abhängigen Personen mitbedacht sind und sich die Vorschriften keineswegs nur auf
freie Personen beschränken. Schließlich ist dort in den wenigsten Fällen ausdrück-
lich von den mycwMZ oder den üäcn die Rede gewesen. Zweitens dürfte es gerade die
räumliche Distanz zwischen Herr und Abhängigen wahrscheinlich machen, dass
Ersterer häufiger übergangen wird als die eigenen Verwandten; ob dies beabsichtigt
geschieht oder aus Unwissenheit bzw. Pragmatismus, bleibe dahingestellt.

80 Edictus Rothari 209 (MGH.F 2), S. 431 [Anhang L161, S. 62].
81 Vgl. Pactus legis Salicae 13,9 (MGH.LNG 4,1), S. 62 [Anhang L 9, S. 2].
 
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