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Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0054

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I. Der Konsensgedanke in Eheschließungsfragen

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als auch die geschlechterspezifische Frage nach dem Konsens der Brautleute, die
von postmodernem Individualitätsdenken ausgeht, hat letztlich nur dazu geführt,
die vorherrschenden Zuschreibungen mit folgenden Kausalzusammenhängen zu
zementieren: Grundsätzlich und genuin sei es das Christentum, das den Konsens
der Partner einfordere, weil es gestützt auf eine spezifische Anthropologie die
Gleichheit aller Menschen (und demnach auch die von Mann und Frau) postuliere.
Da dieser Konsens immer einhergehe mit der freien subjektiven Willensäußerung
der Eheschließenden, spiegele er in letzter Konsequenz sogar die Gleichheit der Ge-
schlechter wider. Fehlt dieser jedoch, könne es auch keine Gleichheit geben, sodass
Andrea Esmyol resümieren kann: »Auch am Ende des Untersuchungszeitraums um
900 anerkannte die Kirche als einzige legitime Beziehungsform zwischen Personen
freier Herkunft die dotierte Muntehe, die Forderung einer >Konsensehe< ist nicht
erkennbar.«^ Eben jene inhaltlichen Füllungen des cowscwsMS-Begriffs als Überein-
kunft der Brautleute und Zeichen der Geschlechtergleichheit aber treffen aus ver-
schiedenen Gründen mindestens für das frühe Mittelalter, vielleicht sogar für spä-
tere Epochen ebenso wenig zu, wie sich die klassische Einteilung der Ehetypen in
vier Formen in den Quellentexten manifestieren lässt. So ist es geboten, sie zu de-
konstruieren und mit neuen Inhalten zu füllen. Weil aber auch die zeitgenössischen
Texte selbst den cowscwsMS-Gedanken in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stel-
len, kommt ihm eine zentrale Rolle zu, ohne dass die Zeremonien aus den Augen
verloren werden dürfen, die sich um ihn herum gruppieren. Demnach muss der
Konsensgedanke, so wie ihn Papst Nikolaus thematisiert hat, zweifelsohne Aus-
gangspunkt aller Überlegungen zum Eheschließungsrecht sein.

2. Die Eheschließung und der Consensus-Begriff
bei Papst Nikolaus - Chancen eines neuen Textverständnisses

a) Zeremonielle Handlungen
Wie komplex sich das angesprochene Problemfeld darstellt, lässt sich erahnen,
wenn man einen intensiveren Blick auf den Gesamtzusammenhang des bereits er-
wähnten dritten Kapitels der »Responsa ad consulta Bulgarorum« wirft. Denn die
Entschlüsselung des cowscwsMS-Begriffs bei Nikolaus bereitet bei näherer Betrach-
tung mehr Probleme, als ursprünglich zu erwarten gewesen wäre. Um den Bulga-
ren eine möglichst präzise Auskunft über die Gepflogenheiten des Eheabschlusses

sei, die das einzig und absolut verpflichtende Element des Eheabschlusses ist. Zwar markiert er
den Brief als das bedeutendste Urteil über die Hochzeit, deutet ihn in seiner Vielfalt jedoch nicht
aus (vgl. HEiDECKER, Kerk, S. 183); vereinzelt weisen auf den Konsens hin: vgl. GoEiz, Frauen,
S. 173-176; vgl. REAL, Vies de saints, S. 265f, 297f; vgl. OLSEN, Marriage, S. 160f; vgl. REYNOLDS,
Marriage, S. 386f; vgl. McCARTHY, Marriage, S. 19-21; vgl. BAUMANN, Gesellschaft; vgl.
BRUNDAGE, Law; auch der Artikel »Consensus« im »Reallexikon für Antike und Christentum«
verweist nur lapidar auf die Adaption des römischen Rechts (vgl. KoEP, Consensus).
65 EsMYOL, Geliebte, S. 213.
 
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