Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0322

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
IX. Konkurrierende Interessengruppen

307

schaftsbereiche zu beachten, sondern gleichfalls Erb- und Besitzrechtsfragen inner-
halb der familiären Bindungen sowie das grundsätzliche Thema der Vormund-
schaft.

1. Das Problem der Vormundschaft

Dass Abhängigenehen keineswegs Sonderfälle darstellen, sondern die Regel sind,
ist eingangs im Zusammenhang mit der regionalen Durchmischung von Herr-
schaftsbereichen bereits gesagt worden: »Geschlechtsverbindungen von Angehöri-
gen verschiedener Grundherrschaften dürften im Frühmittelalter vor allem deshalb
nicht selten gewesen sein, weil die Güterkomplexe der Grundherren selten terri-
toriale Geschlossenheit aufwiesen, sich in der Regel vielmehr gegenseitig durch-
drangen.«' Und doch scheint dieser Aspekt von Grundherrschaft nicht der alleinige
Motor für die vielfältigen Bestimmungen zur Abhängigenehe zu sein. Diesen Fäl-
len wird im gesamten Problemfeld nur ein überaus geringer Platz zugewiesen. Der
Großteil der Texte beschäftigt sich mit Eheschließungen von sozial und rechtlich
ungleichen Partnern und keineswegs mit denen von Abhängigen verschiedener
Herren. Eine solche Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen Monika Obermei-
ers, die feststellt, dass Verbindungen zwischen Abhängigen relativ selten vorge-
kommen sind, es vielmehr die »Ehen zwischen sozial ungleichen Partnern« sind,
die »in einigen Grundherrschaften überwiegen oder zahlenmäßig stark vertreten
sind«/ Wenn sie zudem konstatiert, dass der Anteil der abhängigen Menschen an
der Gesellschaft bei ca. 90% liegt/ stützt der Befund nur nochmals die eingangs re-
ferierten Überlegungen. Der Großteil der frühmittelalterlichen Bevölkerung zeich-
net sich durch sozialrechtliche Ungleichheit aus, die ihrerseits durch erhebliche
Rechtsungleichheiten und -gefälle charakterisiert ist, weil unter der Gruppe der aw-
czHac und scrU sowie jener Personen mit regional abweichenden Bezeichnungen die
unterschiedlichsten Abhängigkeitsverhältnisse subsumiert werden. Selbst Men-
schen, die auf demselben Anwesen leben, müssen keineswegs über den gleichen
Rechtsstand verfügen/ Geht man davon aus, dass Monika Obermeier unter sozial
ungleichen Partnern auch die Personen versteht, die zwar abhängig, aber dennoch
ungleichen Rechts sind, stimmt ihre Schlussfolgerung: Eheschließungen von ab-
hängigen Personen ungleichen Rechts werden der Regelfall gewesen sein, ohne die
Fälle von Eheschließungen zwischen freien und abhängigen Personen gänzlich un-
berücksichtigt zu lassen.

1 KucHENBUCH, Bäuerliche Gesellschaft, S. 170.
2 OßERMEiER, Ancilla, S. 112.
3 Vgl. ebd., S. 41; auch Adriaan Verhulst geht davon aus, dass die »zahlenmäßig viel stärkere
Gruppe von Unfreien [...] die Sozialstruktur vorwiegend charakterisiert« gegenüber der »meis-
tens nicht sehr zahlreichen Gruppe von Freien und Halbfreien« (VERHULST, Grundherrschafts-
entwicklung, S. 42).
4 Vgl. Teil B, Vll.l.b, S. 257-259 und vgl. Teil B, V11.2.b, S. 270-272.
 
Annotationen