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Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0078

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II. Der Konsens der Vertragspartner als Voraussetzung zu Eheschließung und Trennung 63

e) Der Konsensgedanke als Spiegel gleichberechtigter Vertragspartner
Abschließend kann erstens festgehalten werden, dass der Wille der Frau keinesfalls
unberücksichtigt bleibt, obwohl das Mitspracherecht der Eltern bzw. das der Ver-
wandten am ehebegründenden Akt immer wieder betont wird. Dass »die Zustim-
mung der Frau zur Heirat nicht eingefordert wird, es sei denn sie hat keinen Vor-
mund oder keinen Vater mehr« ' bzw. dass »der Wille der Frau in jedem Falle
unmaßgeblich«^ ist, trifft deshalb ebenso wenig auf die Leges zu wie auf die Konzi-
lien, Kapitularien und Bußbücher sowie Formulae-Sammlungen. Sie alle sprechen
bei den Eheschließungsmodalitäten eine andere Sprache. Zudem setzen sie offen-
bar ältere Traditionen fort. Denn schon das merowingische Konzil von Orleans aus
dem Jahr 542 »spricht sich sogar gegen jede eigenmächtige Eingehung von Ehen
ohne Zustimmung der Eltern oder Gewalthaber aus«V Im Hintergrund stehen vor-
nehmlich erb- und besitzrechtliche Fragen, die diese Konstellationen notwendig
machen. Zudem treten Fragen der Außenvertretung hinzu, weil die Frau in der Öf-
fentlichkeit nicht selbstständig agieren kann. Letzteres hat sich bislang nur ange-
deutet und bedarf einer weiteren Klärung.^
Ein Zweites zeichnet sich ab: Alle Textgattungen lassen bereits an dieser Stelle
durchscheinen, was auch Papst Nikolaus I. formuliert hatte: Die Verlobung (dcspow-
saü'o) - also der Akt, dem das Einverständnis der Familien von Braut und Bräutigam
sowie der Brautleute selbst zugrunde liegt - und nicht erst die spätere Heimfüh-
rung der Braut setzt den Anfangspunkt der Eheschließung. Sie stellt insoweit eine
vertragliche Vereinbarung mit rechtsverbindlichem Charakter dar, als sie durch
wechselseitig ausgetauschte Willenserklärungen faktische Verhältnisse schafft, die
nicht einseitig wieder gelöst werden können. Andernfalls müssten die Bestimmun-
gen eine Trennung von Braut und Bräutigam nicht so deutlich an die Zustimmung
aller Vertragspartner binden.
Drittens thematisieren verschiedene Bestimmungen immer wieder die Zah-
lung einer Braut- oder Ehegabe, die der Papst ebenfalls erwähnt hatte. Auf sie gilt es
an entsprechender Stelle zurückzukommen V

2. Die Ablehnung des Frauenraubes als Bestätigung
des Konsensgedankens?

Sowohl die synodale und paenitentiale Gesetzgebung als auch die Bestimmungen
der Leges beschäftigen sich immer wieder intensiv mit dem Frauenraub (rapfMs)
und diskutieren, ob eine solche Tat einen ehebegründenden Akt darstellen kann.

95 WEMPLE, Consent, S. 229.
96 KROj, Abhängigkeit, S. 9.
97 RiTZER, Eheschließung, S. 220.
98 Vgl. Teil A, Ill.l.a, S. 47-55.
99 Vgl. Teil A, IV.2, S. 120-131.
 
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