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Die Bußmaße für die ehelichen Vergehen
das heißt der Zurückweisung von unreinen Lebensmitteln, ausgeglichen werden
kann. Damit »liegt das Wesentliche einer jeden Sünde nicht länger in dem mehr
oder minder bewußten Verstoß gegen die für alle Christen verbindliche Lebensord-
nung oder in der mehr oder weniger fehlgeleiteten Intention des Sünders bei sei-
nem Angriff auf die christliche Ethik, sondern vielmehr darin, daß jedweder Ver-
stoß eine kultische Verunreinigung mit sich bringt, die ohne entsprechende
Reinigung auch eine Gefahr für das Gemeinwesen heraufbeschwört. Insofern spie-
gelt die im Frühmittelalter zutiefst kultisch begründete Fastenbußauflage wider,
wie sehr sich die Gemeinschaft aller Gläubigen zu jener Zeit vor allem unter Rück-
griff auf kultische Plausibilitäten definierte und durch deren Übertretung bedroht
sah.<A
Nur bedingt deckt sich diese These mit den bisherigen Ergebnissen dieser Stu-
die. Richtig ist, dass die Fastenbuße dominant im Vordergrund aller Bußwerke
steht. Richtig ist auch, dass sich im Kontext ehelicher Vergehen sowohl innerhalb
des paenitentialen als auch des konziliaren Begründungshorizontes des ehelichen
Normenkomplexes vereinzelt Elemente einer kultischen Verunreinigung gezeigt
haben. Derartig massiv, wie es sich für den gesamten Komplex der sexuellen Verge-
hen dar stellt, lässt sie sich jedoch im ehelichen Kontext nicht ausmachen. Insoweit
darf die These von der Verstrickung von Sünde und Unreinheit nur zum Teil als
bestätigt gelten.
Hinzu kommt, dass erstens mindestens in den kleinen fränkischen Paeniten-
tialien an keiner Stelle von umdzcam die Rede ist, wenn das Bußmaß festgesetzt
wirdA Zweitens: Eine kultische Verhaftung thematisieren die Texte selbst an keiner
Stelle. Im Gegenteil: Gerade weil die Bußbücher nicht nur den Priester, sondern die
Textgattung als Ganze als mcdz'cMS verstehen, sollte der medizineile Charakter der
Bußmaße nicht unterschätzt werden. Drittens: Was die Berücksichtigung der Inten-
tion des Sünders angeht, hat die Analyse der Bußmaße und ihrer Taxierungen be-
reits andere Ergebnisse geliefert. Sie unterscheiden sich zwar deutlich von neutesta-
mentlicher und altkirchlicher Denkweise, gänzlich unberücksichtigt aber bleiben
das Motiv des Sünders, der Status des Opfers, die Art und Weise des Zustandekom-
mens des Deliktes und der Tathergang bei der Bemessung der Sühneleistung nicht.
Viertens macht bei aller Dominanz des Fastens sowohl das Wie des Fastens als auch
die Präsenz aller übrigen aus der Alten Kirche bekannten Bußwerke einen radika-
len Bruch des frühmittelalterlichen Bußverständnisses gegenüber dem neutesta-
mentlich-altkirchlichen nicht zwingend notwendig. Schließlich werden bei den
ehelichen Vergehen neben den Fastenvorschriften immer wieder auch die übrigen
Bußwerke^ genannt, die auch in der Alten Kirche geläufig sind, als da sind:
Elemosynae/' Ausschluss von der Mahlgemeinschaft, Redeverbot, Trennung von
37 Ebd.,S.437.
38 Nur ein einziges Mal taucht AnthAre im Paenitentiale Merseburgense auf, jedoch in einem ganz
anderem Kontext. Die inzwischen in Form einer Datenbank erhältliche Ausgabe des CChrSL
macht eine derartige Aussage möglich. Alle übrigen Bußbücher müssten auf diese Befunde
noch geprüft werden.
39 Ludger Körntgen nennt Exkommunikation, Fasten und eheliche Enthaltsamkeit (vgl. KÖRNI-
GEN, Quellen der Bußbücher, S. 154).
40 Beispielsweise vgl. Paenitentiale Merseburgense b c. 18 (ed. KoiTjE), S. 175 [Anhang P 151,
S. 242]; vgl. Paenitentiale Floriacense c. 43 (ed. KoiTjE), S. 101 [Anhang P129, S. 236].
Die Bußmaße für die ehelichen Vergehen
das heißt der Zurückweisung von unreinen Lebensmitteln, ausgeglichen werden
kann. Damit »liegt das Wesentliche einer jeden Sünde nicht länger in dem mehr
oder minder bewußten Verstoß gegen die für alle Christen verbindliche Lebensord-
nung oder in der mehr oder weniger fehlgeleiteten Intention des Sünders bei sei-
nem Angriff auf die christliche Ethik, sondern vielmehr darin, daß jedweder Ver-
stoß eine kultische Verunreinigung mit sich bringt, die ohne entsprechende
Reinigung auch eine Gefahr für das Gemeinwesen heraufbeschwört. Insofern spie-
gelt die im Frühmittelalter zutiefst kultisch begründete Fastenbußauflage wider,
wie sehr sich die Gemeinschaft aller Gläubigen zu jener Zeit vor allem unter Rück-
griff auf kultische Plausibilitäten definierte und durch deren Übertretung bedroht
sah.<A
Nur bedingt deckt sich diese These mit den bisherigen Ergebnissen dieser Stu-
die. Richtig ist, dass die Fastenbuße dominant im Vordergrund aller Bußwerke
steht. Richtig ist auch, dass sich im Kontext ehelicher Vergehen sowohl innerhalb
des paenitentialen als auch des konziliaren Begründungshorizontes des ehelichen
Normenkomplexes vereinzelt Elemente einer kultischen Verunreinigung gezeigt
haben. Derartig massiv, wie es sich für den gesamten Komplex der sexuellen Verge-
hen dar stellt, lässt sie sich jedoch im ehelichen Kontext nicht ausmachen. Insoweit
darf die These von der Verstrickung von Sünde und Unreinheit nur zum Teil als
bestätigt gelten.
Hinzu kommt, dass erstens mindestens in den kleinen fränkischen Paeniten-
tialien an keiner Stelle von umdzcam die Rede ist, wenn das Bußmaß festgesetzt
wirdA Zweitens: Eine kultische Verhaftung thematisieren die Texte selbst an keiner
Stelle. Im Gegenteil: Gerade weil die Bußbücher nicht nur den Priester, sondern die
Textgattung als Ganze als mcdz'cMS verstehen, sollte der medizineile Charakter der
Bußmaße nicht unterschätzt werden. Drittens: Was die Berücksichtigung der Inten-
tion des Sünders angeht, hat die Analyse der Bußmaße und ihrer Taxierungen be-
reits andere Ergebnisse geliefert. Sie unterscheiden sich zwar deutlich von neutesta-
mentlicher und altkirchlicher Denkweise, gänzlich unberücksichtigt aber bleiben
das Motiv des Sünders, der Status des Opfers, die Art und Weise des Zustandekom-
mens des Deliktes und der Tathergang bei der Bemessung der Sühneleistung nicht.
Viertens macht bei aller Dominanz des Fastens sowohl das Wie des Fastens als auch
die Präsenz aller übrigen aus der Alten Kirche bekannten Bußwerke einen radika-
len Bruch des frühmittelalterlichen Bußverständnisses gegenüber dem neutesta-
mentlich-altkirchlichen nicht zwingend notwendig. Schließlich werden bei den
ehelichen Vergehen neben den Fastenvorschriften immer wieder auch die übrigen
Bußwerke^ genannt, die auch in der Alten Kirche geläufig sind, als da sind:
Elemosynae/' Ausschluss von der Mahlgemeinschaft, Redeverbot, Trennung von
37 Ebd.,S.437.
38 Nur ein einziges Mal taucht AnthAre im Paenitentiale Merseburgense auf, jedoch in einem ganz
anderem Kontext. Die inzwischen in Form einer Datenbank erhältliche Ausgabe des CChrSL
macht eine derartige Aussage möglich. Alle übrigen Bußbücher müssten auf diese Befunde
noch geprüft werden.
39 Ludger Körntgen nennt Exkommunikation, Fasten und eheliche Enthaltsamkeit (vgl. KÖRNI-
GEN, Quellen der Bußbücher, S. 154).
40 Beispielsweise vgl. Paenitentiale Merseburgense b c. 18 (ed. KoiTjE), S. 175 [Anhang P 151,
S. 242]; vgl. Paenitentiale Floriacense c. 43 (ed. KoiTjE), S. 101 [Anhang P129, S. 236].