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Weber, Ines [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0045

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Die Ehe im Kontext der frühmittelalterlichen Gesellschaft

Beschäftigung mit der frühmittelalterlichen Ehe gewesen ist. In seinem bereits 1967
im »Handwörterbuch der Deutschen Rechtsgeschichte« erschienenen Artikel fasst
Paul Mikat die Ergebnisse der Forschung treffend zusammen: »Das germanische
Recht weist eine Mehrheit von Eheschließungsformen und damit Ehetypen auf« ,
über deren tatsächliche Bedeutung bis heute noch keine Einigung erzielt werden
konnte. »Nach dem zur Ehebegründung führenden äußeren Hergang«^, der auch
von den Bulgaren bei Papst Nikolaus angefragt wird, reduziert Paul Mikat die Ehe-
typen auf vier Grundformen: die sogenannte Sippenvertrags- oder Muntehe, die
ebenso als Dotalehe bezeichnet werden kann, die Friedelehe, die Raubehe und das
Kebsverhältnis bzw. Konkubinat. Da sich die Forschungslandschaft bis auf wenige
Ausnahmen^ bislang nicht von Paul Mikats Vorgaben gelöst, sich sein Diktum im
Gegenteil trotz vereinzelter Gegenstimmen bis in die neuesten Studien des 21. Jahr-
hunderts hinein gehalten hat, ° müssen die inhaltlichen Zuschreibungen bzw. Cha-
rakteristika dieser Eheformen zunächst Grundlage der folgenden Darstellungen
sein. Von hier aus lässt sich zweierlei erreichen: Zum einen ist es möglich, den Kreis
zu schließen, warum die Anfrage der Bulgaren auch die Herangehensweise der
Forschungsliteratur spiegeln kann. Zum anderen können Grenzen und Desiderate
aufgezeigt und neue Erkenntniswege eröffnet werden." Denn: In welcher Weise
sich die Forschung mit diesen Prämissen bislang auseinandergesetzt hat, macht
deutlich, wie sie sich auch der Konsensfrage gewidmet hat. Ein Blick auf die kon-
kreten Forschungsergebnisse kann die Problematiken verdeutlichen und mögli-
cherweise Lösungen benennen.

b) Standortbestimmung - die vier Ehetypen und ihre Charakteristika
Alle Überlegungen zur frühmittelalterlichen Eheschließung werden von zwei
Grundannahmen bestimmt. Erstens: Auch im frühmittelalterlichen Kontext besitzt
die Ehe gemeinschaftsbildenden Charakter. Sie ist Instrument der Geschlechterer-
haltung, der Familienausweitung und des Friedensschlusses. Zweitens: Im Ganzen
ist die mittelalterliche Gesellschaft von der Dominanz des männlichen Geschlechts
gekennzeichnet, sodass auch in der archaischen Gesellschaftsstruktur der germa-
nischen Volkschaften die Frau handlungs- und rechtsunfähig unter der Munt des
jeweiligen Familienoberhauptes steht. Diese obliegt zunächst dem Vater, ist dieser
verstorben, dem Bruder, später dem Ehemann." Die Eheform, die in diesem Rah-

7 MiKAT, Ehe, S. 848; vgl. DERS., Art. Ehe, Sp. 810; vgl. auch ScnuLZE, Eherecht.
8 MiKAT, Ehe, S. 848.
9 Vgl. EßEL, Konkubinat; vgl. EsMYOL, Geliebte.
10 Innerhalb der neuesten Publikationen vgl. SAAR, Ehe; vgl. REAL, Vies de saints, S. 251-300; vgl.
PRINZ, Europäische Grundlagen, S. 510-512,5171.
11 Obwohl die Richtigkeit dieser Annahmen neuerdings teilweise bestritten wird, ist es notwen-
dig, die Charakteristika der frühmittelalterlichen Eheformen zu resümieren, um die gemein-
same Fragerichtung der bisherigen Forschung zu entschlüsseln. Zu den Problematiken und den
jüngsten Studien, die verschiedene Ausprägungen dieser Eheformen bestreiten, vgl. Teil A, 1.1.c,
S. 33-37 und vgl. Teil A,I.l.d,S. 37-39.
12 »Die germanische Kultur weist eine deutliche Minderstellung der Frau mit der Möglichkeit der
Polygynie, eine patriarchale Gemeinschaftsverfassung und eine agnatische Verwandtschafts-
 
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