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Die Ehe im Kontext der frühmittelalterlichen Gesellschaft
lieh wird immer wieder von der cogwah? als der Schwester der Ehefrau (gcnwatM
Mxon's) gesprochen. Die konkret benannten Personengruppen bestätigen diese
These, weil die/der so bezeichnete Verwandte nur in Form von Schwägerin und
Schwager bzw. Schwiegermutter und Schwiegervater vorkommt. Ahe übrigen leib-
lichen Verwandten der Frau bzw. des Mannes werden nicht genannt.
In vollem Umfang werden die durch Heiratsallianzen geschaffenen Verwand-
ten erst für die nächste Generation zu Tabupersonen, also für die Kinder eben jener
ehelichen Beziehung, welche die Verwandtschaft geschaffen hat. Den Nachkom-
men ist grundsätzlich jedes eheliche und außereheliche Geschlechtsverhältnis so-
wohl zu Angehörigen der väterlichen als auch zu denen der mütterlichen Linie un-
tersagt. Und dennoch ist diese Vorschrift nicht unendlich erweiterbar. Zwar ist die
Ehefrau eines leiblichen Verwandten in Form von Bruder oder Schwester des Ehe-
gatten bzw. dessen Eltern immer tabu, weil auch für sie jene Konstruktion gilt, die
schon für die eigenen Eltern gedacht wird und sich in der Bezeichnung cogwaü? ma-
nifestiert. Auf die Inzestverbote aber wirkt sich dieses verwandtschaftliche Denken
nur beschränkt aus. Auch für die Nachkommen gelten die angeheirateten Ehegat-
ten nur in zwei Fähen als inzestuös. Lediglich im Umkreis des ersten und zweiten
Verwandtschaftsgrades sind sie tabu. Die Schwester der Ehefrau ist zur eigenen
Schwester des Ego geworden ebenso wie ihre Mutter; derartige Konstruktionen
aber lassen sich beispielsweise für die Schwester der Ehefrau des Onkels nicht fin-
den, obwohl auch auf sie die Idee von Verwandtschaft zutrifft, die eingangs refe-
riert wurde.
Ähnlich enge Denkweisen sind für die geistliche Verwandtschaft nachzuwei-
sen. Die Tauf- und Firmpatenschaft als weiteres Instrument, verwandtschaftliche
Beziehungen zu knüpfen, schafft gleichfalls Tabupersonen. Inzestuös wirksam
werden jedoch nur die Beziehungen zwischen Paten und Täufling sowie zwischen
geistlichen und leiblichen Eltern. Der Tabubereich endet bis auf wenige Ausnah-
men beim Ehegatten, weil es »keine geistliche Verwandtschaft >um ein paar Eckern
gibtW Ehemann bzw. Ehefrau des Paten sind für den Täufling nur in ganz weni-
gen Fähen tabuisiert genauso wie die Stiefmutter des Täuflings für den Paten selbst.
Umgekehrt jedoch werden andere Arten von spiritueller Verwandtschaft, z.B. die
awüczha, nicht im Kontext der Inzestverbote genannt. Besonders eng gebundene
Freundschaftsbeziehungen scheinen demnach kein Ehehindernis zu sein.
Mit anderen Worten: Selbst wenn mit der Eheschließung und dem Patenamt je
nach Sichtweise Blutsverwandte geschaffen bzw. durch das Ein-Fleisch-Werden der
Gatten überaus enge Beziehungen geknüpft werden/^ fallen nicht alle davon be-
troffenen Personen auch unter das Inzesttabu. Zwar gründen sich die Inzestvor-
schriften auf ein ganz bestimmtes Verständnis von Verwandtschaft, dennoch sind
die Personengruppen, die als verwandt empfunden werden, und die, die einem
Heiratsverbot unterliegen, nicht deckungsgleich. Insgesamt verweisen die Inzest-
vorschriften auf ein Verwandtschaftskonzept, das weder rein biologisch noch ange-
287 JussEN, Familie, S. 460.
288 Auf die Parallelsetzung von Bluts- bzw. Heiratsverwandten und Taufpaten verweist das Paeni-
tentiale Pseudo-Egberti, indem es die Taufpatin mit verschiedenen anderen Verwandten im
Kontext der proxima cogwata nennt und dasselbe Strafmaß verordnet (vgl. Paenitentiale Pseudo-
Egberti 11,18 (ed. WASSERSCHLEBEN), S. 326 [Anhang P102, S. 230]).
Die Ehe im Kontext der frühmittelalterlichen Gesellschaft
lieh wird immer wieder von der cogwah? als der Schwester der Ehefrau (gcnwatM
Mxon's) gesprochen. Die konkret benannten Personengruppen bestätigen diese
These, weil die/der so bezeichnete Verwandte nur in Form von Schwägerin und
Schwager bzw. Schwiegermutter und Schwiegervater vorkommt. Ahe übrigen leib-
lichen Verwandten der Frau bzw. des Mannes werden nicht genannt.
In vollem Umfang werden die durch Heiratsallianzen geschaffenen Verwand-
ten erst für die nächste Generation zu Tabupersonen, also für die Kinder eben jener
ehelichen Beziehung, welche die Verwandtschaft geschaffen hat. Den Nachkom-
men ist grundsätzlich jedes eheliche und außereheliche Geschlechtsverhältnis so-
wohl zu Angehörigen der väterlichen als auch zu denen der mütterlichen Linie un-
tersagt. Und dennoch ist diese Vorschrift nicht unendlich erweiterbar. Zwar ist die
Ehefrau eines leiblichen Verwandten in Form von Bruder oder Schwester des Ehe-
gatten bzw. dessen Eltern immer tabu, weil auch für sie jene Konstruktion gilt, die
schon für die eigenen Eltern gedacht wird und sich in der Bezeichnung cogwaü? ma-
nifestiert. Auf die Inzestverbote aber wirkt sich dieses verwandtschaftliche Denken
nur beschränkt aus. Auch für die Nachkommen gelten die angeheirateten Ehegat-
ten nur in zwei Fähen als inzestuös. Lediglich im Umkreis des ersten und zweiten
Verwandtschaftsgrades sind sie tabu. Die Schwester der Ehefrau ist zur eigenen
Schwester des Ego geworden ebenso wie ihre Mutter; derartige Konstruktionen
aber lassen sich beispielsweise für die Schwester der Ehefrau des Onkels nicht fin-
den, obwohl auch auf sie die Idee von Verwandtschaft zutrifft, die eingangs refe-
riert wurde.
Ähnlich enge Denkweisen sind für die geistliche Verwandtschaft nachzuwei-
sen. Die Tauf- und Firmpatenschaft als weiteres Instrument, verwandtschaftliche
Beziehungen zu knüpfen, schafft gleichfalls Tabupersonen. Inzestuös wirksam
werden jedoch nur die Beziehungen zwischen Paten und Täufling sowie zwischen
geistlichen und leiblichen Eltern. Der Tabubereich endet bis auf wenige Ausnah-
men beim Ehegatten, weil es »keine geistliche Verwandtschaft >um ein paar Eckern
gibtW Ehemann bzw. Ehefrau des Paten sind für den Täufling nur in ganz weni-
gen Fähen tabuisiert genauso wie die Stiefmutter des Täuflings für den Paten selbst.
Umgekehrt jedoch werden andere Arten von spiritueller Verwandtschaft, z.B. die
awüczha, nicht im Kontext der Inzestverbote genannt. Besonders eng gebundene
Freundschaftsbeziehungen scheinen demnach kein Ehehindernis zu sein.
Mit anderen Worten: Selbst wenn mit der Eheschließung und dem Patenamt je
nach Sichtweise Blutsverwandte geschaffen bzw. durch das Ein-Fleisch-Werden der
Gatten überaus enge Beziehungen geknüpft werden/^ fallen nicht alle davon be-
troffenen Personen auch unter das Inzesttabu. Zwar gründen sich die Inzestvor-
schriften auf ein ganz bestimmtes Verständnis von Verwandtschaft, dennoch sind
die Personengruppen, die als verwandt empfunden werden, und die, die einem
Heiratsverbot unterliegen, nicht deckungsgleich. Insgesamt verweisen die Inzest-
vorschriften auf ein Verwandtschaftskonzept, das weder rein biologisch noch ange-
287 JussEN, Familie, S. 460.
288 Auf die Parallelsetzung von Bluts- bzw. Heiratsverwandten und Taufpaten verweist das Paeni-
tentiale Pseudo-Egberti, indem es die Taufpatin mit verschiedenen anderen Verwandten im
Kontext der proxima cogwata nennt und dasselbe Strafmaß verordnet (vgl. Paenitentiale Pseudo-
Egberti 11,18 (ed. WASSERSCHLEBEN), S. 326 [Anhang P102, S. 230]).