288 Vollgültige Ehe oder geduldete Geschlechtsbeziehung? - Das Recht der Abhängigen
Mann und einer abhängigen Frau oder einem abhängigen Mann und einer freien
Frau kann der Konsens zwar eine eheliche Verbindung zustande bringen, was aber
nicht Ehe genannt wird. Und die, die von ihnen geboren werden, werden von den
Herren erworben, indem ihnen die schlechtere Linie zuteil geworden ist.<V So
schwierig die Entschlüsselung dieser Textstelle zunächst ist, scheint sie nahezule-
gen, dass es den burgundischen Gesetzen zufolge standesungleichen Paaren ledig-
lich möglich ist, das aus dem römischen Recht bekannte cowf MäcnuMtw als geschlecht-
liche Beziehung ohne verbindlichen Rechtsstatus zu leben. Die MMph'ac, die mit dem
Brief des Papstes Nikolaus als Heiratsverträge identifiziert werden konnten und als
Kennzeichen der vollgültigen Eheschließung den Verwandtenkonsens sowie die
Braut- bzw. Ehegabe konstitutiv enthalten, kämen scruMS und awcz'Ha nicht zu. Die
übrigen Paragraphen der burgundischen Vorschrift hingegen stützen diese These
gerade nicht. Unter der Überschrift >Über die rechtmäßige Hochzeit und die leibli-
chen Kinder< sind zunächst die tiMph'ac Lgi'ü'mc als Vertrag definiert worden, den es
zwischen den Verwandten unter Zahlung der Hochzeitsgabe (dowah'o MMph'ah's) zu
schließen galt.^ Zwischen Personen gleichen Rechtsstandes^ bewirkte der Konsens
den Hochzeitsvertrag. Die dowaü'o MMpü'aüs machte die Ehe zu einer rechtmäßigen,
sodass auch die Kinder erbberechtigt waren. Diese Zusammenhänge sind bereits
erläutert worden.^ Auch die vorliegende Bestimmung spricht zwar vom cowscwsMS,
keineswegs aber von der dowaü'o MMph'aüs, sodass die Frage gestellt werden kann, ob
gerade das Fehlen der Braut- bzw. Ehegabe das cowfMäcrwzMwi ausmacht, der Konsens
aber in beiden Fällen vorhanden sein muss. Weisen etwa die übrigen Gesetze, die
ansonsten die oben beschriebene Terminologie der vollgültigen Eheschließung ver-
wenden, ähnliche Tendenzen auf? Wird gegebenenfalls bei einer Abhängigenehe
ganz auf die Zahlung der Braut- bzw. Ehegabe verzichtet? Schließlich könnte eine
Eheschließung selbst dann rechtsverbindlichen Charakter haben, wenn die Hoch-
zeitsgabe fehlt, der Konsens aller Beteiligten aber vorhanden ist.
Das Schreiben des Papstes Nikolaus hatte in diese Richtung argumentiert. Dort
wurde eigens darauf verwiesen, dass bestimmte materielle Güter verzichtbar seien,
um auch denen die rechtsgültige Ehe zu ermöglichen, die über weniger Besitz ver-
fügen.^ Gerade die erheblichen Vermögenswerte, die als Braut- bzw. Ehegabe über-
geben werden und das Heiratsverhalten der begüterten Bevölkerungsschicht spie-
geln dürften, legen nahe, dass für abhängige Personen andere Regeln gelten.^ Im
Umkehrschluss heißt das, dass das burgundische Recht kein Verbot einer vollgülti-
gen Ehe zwischen Standesungleichen vorsieht, sondern lediglich darauf verweist,
dass eine eheliche Verbindung nur als cowfMäcrwzMwi bezeichnet werden kann, weil
bei Ersterer die Vorlagefunktion zukommt. Diese aber ist in jedem Fall vom römischen Recht
beeinflusst (vgl. NEHLSEN, Lex Burgundionum, Sp. 1910f).
25 Leges Burgundionum. Lex Romana 37,5 (MGH.LNG 2,1), S. 156 [Anhang L 80, S. 20].
26 Vgl. ebd. 37,1 (MGH.LNG 2,1), S. 15 [Anhang L 78, S. 18].
27 Dazu zählen fortan auch jene Personen, die unterschiedlichen Landesgesetzen unterliegen. Die
Nationalität ist künftig kein Ehehindernis mehr (vgl. Teil A, Il.l.a, S. 51f).
28 Vgl. Leges Burgundionum. Lex Romana 37,2 (MGH.LNG 2,1), S. 155f [Anhang L 79, S. 18]; vgl.
TeilA,II.l.a,S.51f.
29 Vgl. Teil A, 1.2.b, S. 43f.
30 Vgl. Teil B, IX.2.a, S. 315f.
Mann und einer abhängigen Frau oder einem abhängigen Mann und einer freien
Frau kann der Konsens zwar eine eheliche Verbindung zustande bringen, was aber
nicht Ehe genannt wird. Und die, die von ihnen geboren werden, werden von den
Herren erworben, indem ihnen die schlechtere Linie zuteil geworden ist.<V So
schwierig die Entschlüsselung dieser Textstelle zunächst ist, scheint sie nahezule-
gen, dass es den burgundischen Gesetzen zufolge standesungleichen Paaren ledig-
lich möglich ist, das aus dem römischen Recht bekannte cowf MäcnuMtw als geschlecht-
liche Beziehung ohne verbindlichen Rechtsstatus zu leben. Die MMph'ac, die mit dem
Brief des Papstes Nikolaus als Heiratsverträge identifiziert werden konnten und als
Kennzeichen der vollgültigen Eheschließung den Verwandtenkonsens sowie die
Braut- bzw. Ehegabe konstitutiv enthalten, kämen scruMS und awcz'Ha nicht zu. Die
übrigen Paragraphen der burgundischen Vorschrift hingegen stützen diese These
gerade nicht. Unter der Überschrift >Über die rechtmäßige Hochzeit und die leibli-
chen Kinder< sind zunächst die tiMph'ac Lgi'ü'mc als Vertrag definiert worden, den es
zwischen den Verwandten unter Zahlung der Hochzeitsgabe (dowah'o MMph'ah's) zu
schließen galt.^ Zwischen Personen gleichen Rechtsstandes^ bewirkte der Konsens
den Hochzeitsvertrag. Die dowaü'o MMpü'aüs machte die Ehe zu einer rechtmäßigen,
sodass auch die Kinder erbberechtigt waren. Diese Zusammenhänge sind bereits
erläutert worden.^ Auch die vorliegende Bestimmung spricht zwar vom cowscwsMS,
keineswegs aber von der dowaü'o MMph'aüs, sodass die Frage gestellt werden kann, ob
gerade das Fehlen der Braut- bzw. Ehegabe das cowfMäcrwzMwi ausmacht, der Konsens
aber in beiden Fällen vorhanden sein muss. Weisen etwa die übrigen Gesetze, die
ansonsten die oben beschriebene Terminologie der vollgültigen Eheschließung ver-
wenden, ähnliche Tendenzen auf? Wird gegebenenfalls bei einer Abhängigenehe
ganz auf die Zahlung der Braut- bzw. Ehegabe verzichtet? Schließlich könnte eine
Eheschließung selbst dann rechtsverbindlichen Charakter haben, wenn die Hoch-
zeitsgabe fehlt, der Konsens aller Beteiligten aber vorhanden ist.
Das Schreiben des Papstes Nikolaus hatte in diese Richtung argumentiert. Dort
wurde eigens darauf verwiesen, dass bestimmte materielle Güter verzichtbar seien,
um auch denen die rechtsgültige Ehe zu ermöglichen, die über weniger Besitz ver-
fügen.^ Gerade die erheblichen Vermögenswerte, die als Braut- bzw. Ehegabe über-
geben werden und das Heiratsverhalten der begüterten Bevölkerungsschicht spie-
geln dürften, legen nahe, dass für abhängige Personen andere Regeln gelten.^ Im
Umkehrschluss heißt das, dass das burgundische Recht kein Verbot einer vollgülti-
gen Ehe zwischen Standesungleichen vorsieht, sondern lediglich darauf verweist,
dass eine eheliche Verbindung nur als cowfMäcrwzMwi bezeichnet werden kann, weil
bei Ersterer die Vorlagefunktion zukommt. Diese aber ist in jedem Fall vom römischen Recht
beeinflusst (vgl. NEHLSEN, Lex Burgundionum, Sp. 1910f).
25 Leges Burgundionum. Lex Romana 37,5 (MGH.LNG 2,1), S. 156 [Anhang L 80, S. 20].
26 Vgl. ebd. 37,1 (MGH.LNG 2,1), S. 15 [Anhang L 78, S. 18].
27 Dazu zählen fortan auch jene Personen, die unterschiedlichen Landesgesetzen unterliegen. Die
Nationalität ist künftig kein Ehehindernis mehr (vgl. Teil A, Il.l.a, S. 51f).
28 Vgl. Leges Burgundionum. Lex Romana 37,2 (MGH.LNG 2,1), S. 155f [Anhang L 79, S. 18]; vgl.
TeilA,II.l.a,S.51f.
29 Vgl. Teil A, 1.2.b, S. 43f.
30 Vgl. Teil B, IX.2.a, S. 315f.