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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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Habich, Georg: Die Imperatorenbilder in der Münchener Residenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0198

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

Es wäre indes entweder ein täppisches Verkennen oder ein trauriges Zeichen
mangelnder Wahrheitsliebe, wollte man Wielands Darlegungen jeden Wert bestreiten.
Was lehren die Bilder, auf die er, der Maler, zum ersten Mal die Augen der Zünf-
tigen hingelenkt hat, nachdem deren Blicke doch nur flüchtig darüberhin irrlichteliert
hatten? Was lehren sie für das verloren gegangene Werk des Tizian? —
Die Antwort mag für die Ohren mancher Leute vom Fach nicht angenehm
klingen, aber sie lautet klar: die Bilder der Residenz geben von den ver-
schollenen Imperatorenbildnissen des Tizian derzeit sowohl in Komposition,
wie in der Farbe die relativ beste Vorstellung und sind daher als kunst-
historisches Anschauungsmaterial von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Was ex actis nicht zu lernen war, das lehrt um so klarer der Augenschein. Diese
Figuren sind Tizians Erfindung, und von seiner schönen warmen Farbe bewahren die
Bilder auch in ihrem gegenwärtigen Zustand genug, um mit Bestimmtheit lehren zu
können, daß es auch Tizians Palette ist. Ob freilich auch sein Pinsel, ist mehr als
zweifelhaft. Abgesehen von dem Erhaltungszustand, scheint die Qualität der Bilder
so verschieden, daß man, wie übrigens auch Wieland selbst schon andeutet, überhaupt
kaum an eine Hand wird denken dürfen. Neben einem wundervoll weich und breit
hingestrichenen Profilbild („Otho") von jener charakteristischen echt Tizianischen Licht-
führung, die man von seinen Geharnischtenbildnissen kennt, stehen, hart und fleckig
hingesetzt, krustige Schwarzmalereien unerfreulicher Art, und auf dem harmonisch ge-
stimmten Nerobild findet sich ein meisterhaftes Stück fein vertriebener Fleischmalerei
neben einem mesquin verzeichneten Kopf.
Aber das alles sind curae posteriores gegenüber der Tatsache, daß die ganze
Serie doch einen geschlossenen Zyklus bildet und als solcher wenigstens die Be-
zeichnung „Tizianus inventor" keineswegs zu Unrecht trägt. Ist die Haltung der
Halbfiguren da und dort wohl auch sichtlich beeinflußt von den statuarischen Vor-
bildern, die ihnen erwiesenermaßen zum Modell dienten, zeigen die Profile bisweilen
eine gewisse klassizistische Härte, die ihnen von den antiken Kameen und Münzen her
anklebt, die Tizian notorisch benutzte, so fehlt es nicht an überzeugenden, unverkennbar
Tizianischen Motiven: der stolze Blick über die Schulter, die bekannte, deutende Geste mit
dem Kommandostab, die typisch aufgestützte Rechte, das lässige Lehnen und die bewußte
Pose — alles echt Tizianische Ausdrucksmittel, nur dem Gegenstand entsprechend ein
wenig gesteigert und akzentuiert: mit einem Schuß Römerpathos versetzt. Die Figur
des Generals Vasto auf der bekannten Adlokution im Prado oder das — übrigens nicht
eigenhändige — Bildnis des Giovanni delle bande nere in den Uffizien möchten die
nächsten Vergleichsobjekte im Werke des Meisters sein. Die Proportionen sind freilich
mäditiger und gedrungener als es in seiner Porträtkunst die Regel ist; insbesondere
zeigen die nackten Arme bisweilen ein geradezu gladiatormäßiges Muskelspiel.
Aber diese „barocken" Anwandlungen sind auch sonst Tizian nicht fremd. Sie
finden sich überall da, wo sich sein Stil ins Dekorative erhebt, so in den beiden
Prado-Bildern Prometheus und Sisyphus, auf den alttestamentarischen Darstellungen
in S. Maria della Salute (Abraham, Goliath, Kain und Abel), und schon früh tritt diese
 
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