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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Escher, Konrad: Die sizilische Villa beim Übergang vom Barock zum Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0021

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dem Dom) hat sich durch ihre Terrassenvorbauten, ihren geschwungenen Giebel,
die Treppenanlage an der breiten Flucht und die mit Giebeln eingedeckten Fenster
eine dem Platze angemessene Fassadenwirkung gewahrt.
Die Villen von Colli S. Lorenzo und Tommaso Natale stellen in der Regel einen
einfacheren Typus dar als diejenigen von Bagheria; da die Obstpflanzungen eine
viel größere Ausdehnung haben und sogar die Hauptsache der ganzen Villenanlage
bilden, so erscheinen die Wohnbauten mehr ihrem Zweck — für vorübergehenden
Landaufenthalt — angepaßt; Erd- und Hauptgeschoß, höchstens zwei Geschosse,
mit mehr oder weniger Breitenausdehnung, stets mit Durchfahrt in den Garten,
zuweilen mit Zufahrtsallee aus Pinien, und öfters mit einer geschickten, eindrück-
lichen Treppenanlage.
Als Musterbeispiel kann Villa Boncore in Tommaso Natale (Abb. n) gelten.
Mit 9 Achsen schließt der breite, niedrige Haupttrakt den geräumigen Hof ab und
vermittelt den Durchgang zum sternförmig geteilten Garten. Je vor den äußersten
Achsen setzen die Okonomiegebäude an, die den Hof auf beiden Seiten begrenzen.
Von den großen Villen Bagherias ist die vortrefflich angelegte Treppe mit ihrem
letzten Nachklang barocken Schwunges entlehnt, vor deren flach gewölbtem Podest
die Mittelachse breit auseinandergeht, die Türe eine elegante Umrahmung, einen
geschwungenen Giebel und, zur Flächenfüllung, die Begleitung von zwei Rund-
fenstern erhält. Gelbe Lisenen besorgen die weitere Achsenteilung; um den
feinen Fensterumrahmungen und im Relief keineswegs starken Giebeln ihre Wir-
kung zu sichern, sind sie, wie auch am Palastbau dieser Epoche, vollkommen flach
gehalten. Soweit das Erdgeschoß nicht von den elastisch ausgreifenden Treppen-
armen und ihren massiven Seitenpodesten verdeckt wird, zeigt es, in Anbetracht
der nur flach markierten Geschoßteilung und der starken Balkonkonsolen breite
Umrahmung. An der breit hingelagerten Masse des Mitteltrakt mildert die Ver-
teilung der Fenster und ihre Einfassung den Eindruck der Schwere; ziemlich mühsam
richten sich die Treppenläufe auf, aber in der Mittelachse löst sich der letzte Be-
wegungsgedanke des Barock im Anlaufe der Abrundung des Giebels über der Türe
und dann noch einmal über dem Dachgesimse in dem altarartigen Aufbau mit
seiner lahmen und starren Linienführung. Und dennoch sucht gerade hier ein
feines Gefühl für rhythmische Teilung nach linear eindrücklichem Abschluß. Für
die großen Ideen des Barocks war noch Verständnis aber fast keine Ausdruckskraft
mehr vorhanden. Im risalitlos durchgeführten Dachgesimse der bekrönenden Ba-
lustrade siegt dann der Klassizismus.
Villa Maria Felice Montalbo (Abb. 12) in Tommaso Natale erinnert, ohne daß
eine direkte Entlehnung nachzuweisen wäre, bis zu einem gewissen Grade an die
römischen Villen: eine Zypressenallee führt auf das Tor und den auf einer Seite
von Ökonomiegebäuden begrenzten Blumengarten; aber das Kasino selbst stellt
sich finster und abweisend dar: drei düstere, kahle Steinwürfel, als Risalit und
Rücklagen rudimentär gruppiert, lassen nicht ahnen, daß die gegen den Ziergarten
gekehrte Seite die reichste Gliederung unter all den Villen dieser Gegend zeigt,
und in der Vereinigung von warmem Goldton für Gesimse, Pilaster und Fenster-
umrahmung mit dem Grün des überreichen Baumwuchses denselben Eindruck
südlicher Farbenwärme vermittelt wie Villa Palagonia. Auch den Treppen an der
Straßenseite haftet etwas von kalter, unfreundlicher Nutzbarkeit an: zu beiden Seiten
der Durchfahrt steigen hoch zwei Treppenläufe parallel empor; sie biegen recht-
winklig um und erreichen bei nochmaligem Steigen parallel der Mauerflucht die Höhe
des ersten Geschosses. Angesichts dieser anscheinend bewußten Strenge würde man

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