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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Escher, Konrad: Die sizilische Villa beim Übergang vom Barock zum Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0022

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die lahmen Kurven, welche zu ebener Erde die Treppenläufe anfangen, gerne
missen, da sie doch eine allzu kümmerliche Erinnerung an das monumentale
Gruppierungsvermögen des Barocks darstellen.
Die zweigeschossige Villa Cordova in Tommaso Natale (Abb. 13) vereinigt die
schon vom frühen sizilianischen Barock (letztes Viertel des 16. Jahrhunderts) her
bekannte Rahmen- und Lisenengliederung (unter Betonung des Vertikalismus der
Mittelachse) mit einer musterhaft schwungvollen Treppenanlage und mit Terrassen.
Freilich bedeutet die Fensterumrahmung das Äußerste an Nüchternheit; aber die
großen, wuchtig gezogenen Teilungslinien, die breiten Flächen, die mit der sorg-
losen Naivität eines immer neu schaffenden Provinzialismus herausgehobene Ver-
tikale in der Mittelachse, all dies paßt vorzüglich zur kernigen Derbheit der
Treppenanlage. Und wie der Vertikaldrang sich Raum nach oben schafft und
noch, als gutes Gegenstück zur Treppe, den geschwungenen Giebel zustande bringt,
so kommt auch, ähnlich wie an den Palästen, der plastische Gestaltungsdrang in
den stark sich vorrundenden Baikonen mit ihren geschweiften Gittern zum Aus-
druck. Villa Cordova dürfte eines der letzten Beispiele sein, an welchen die
Architektur so bewußt mit eindrücklichen Gegensätzen arbeitet; um die durch un-
geschickte Verteilung der Lisenen — die Ecken sind glatte Mauerflächen und die
Lisene davon abgerückt — etwas beeinträchtigte Fassadenwirkung einigermaßen
zu retten, breitet sich zwischen Treppe und Tor ein Hof aus. Im Dekorativen
wurde vielfach noch ein gewisser Anspruch aufrecht erhalten und zwar nicht allein
im Gegensatz von Gelb und Weiß, sondern ebensosehr im Gegensatz zwischen
den geraden Linien der Lisenen und des Dachgesimses samt Balustrade und den
noch ziemlich bewegten Linien der Fensterabschlüsse. Während Villa Briuccia in
S. Lorenzo vollkommen den Typus einer vornehmen Villa zeigt: zwei Geschosse
und 7X3 Achsen, mit durchgeführter Lisenenteilung und klarer Begrenzung nach
allen Seiten, so daß der Fensterabschluß durch aufgeworfene Giebelvoluten als
notwendige Belebung empfunden wird, eignet sich auch die architektonisch voll-
kommen anspruchslose und indifferente Villa Amari in Tommaso Natale (Abb. 14)
einen (gelb verputzten) Wandschmuck an, der nichts anderes als linear und farbig
wirksame Flächendekoration sein will. Aber die flotte Gruppierung der Wand-
streifen, der Hauptfenster mit Baikonen und blinden Flächenfüllungen, die Fenster
nachahmen sollen, ja die bei flachstem Relief doch anspruchsvolle Heraushebung
der Hauptfenster, all dies darf als ferner Nachklang spanischen Barocks gewertet
werden, der hier im dichtesten Hain von Orangen- und Zitronenbäumen ver-
steckt liegt.
Brunnenanlagen spielen auch bei dieser Villengruppe keine Rolle; der einzige
noch erhaltene, von Villa Scalea1) in Tommaso Natale stellt, aus farbigen Steinen
und Stuck errichtet, ein umständliches und schwerfälliges Triumphtor dar.
Die palermitanischen Villen bedeuten den Ausgang des Barocks; einzelne stellen
in typischer Weise schon den Klassizismus dar. Ihre künstlerische Entwicklung
nahm weder an der übrigens in Sizilien nur sehr schwach verbreiteten Renaissance,
aber auch ebensowenig an dem so üppig aufblühenden Barock Anteil. Die Kultur
war noch bis zum 18. Jahrhundert eine fast ausschließlich städtische, und nur
große Klöster suchten die Abgeschiedenheit und leisteten sich den Luxus großer
Gärten. (S. Nicola dei Benedettini bei Catania, Militello, Gesü e Maria, und im
(1) Abbildung in: Vincenzo Pitini, Palazzi e Ville di Palermo nel periodo della decadenza. Nuova
antologia. i° Gennaio 1913.

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