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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Escher, Konrad: Die sizilische Villa beim Übergang vom Barock zum Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0023

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i8. Jahrhundert: S. Martino della Scala, beide bei Palermo). Das Leben der Vor-
nehmen spielte sich also hauptsächlich in den Stadtpalästen ab, bis gegen diese
freiwillige Gefangenschaft und diesen unaufhörlichen Zwang des höfischen Zere-
moniells die Reaktion eintrat. Die palermitanischen Villen begleiten also nicht
die Entwicklung des Barocks, wie es die Villen in Ober- und Mittelitalien tun;
sie traten erst auf, als er seine Hauptleistungen schon vollbracht hatte. Und
dennoch war er nicht abgetan; denn seine besten Gedanken retteten sich in den
Klassizismus hinein und hatten so noch bis zum Ende des Jahrhunderts Geltung;
ja, man darf behaupten, daß sie seinen Leistungen ein überraschend originelles
Gepräge zu verleihen wußten und ihn vor Einförmigkeit bewahrten (Treppenanlage
im Palazzo Gangi in Palermo).
Die unbestreitbaren Meisterleistungen des sizilianischen Barocks liegen, wie ge-
sagt, auf dem Gebiete der überraschenden, großzügigen Massengruppierung, auf
der Schöpfung herrlicher Prospekte, denen das Planmäßige und Überlegte schein-
bar fehlt, die aber dafür mit ihrer genialen Eigenwilligkeit und Sicherheit Bilder
von unvergeßlicher Größe schaffen. Diese Bildeindrücke sind zuweilen so stark,
daß man sich gern auch an der überquellenden und wilden Formenfülle ersättigt.
Der sizilische Provinzialismus — nach dem italienischen wie nach dem spanischen
Festland gerichtet — ist keine Verkümmerung einer besseren Kunst, sondern, frei-
lich mit weniger abgeklärten Mitteln, eine Verstärkung des Bildmäßigen. Man be-
trachte Plätze und Straßen in den kleineren Städten der Insel, das Innere der
Kirchen, die Anlage der Paläste: Alles zielt auf möglichst reichen Bildeindruck.
Im 18. Jahrhundert werden die Prospekte und Plätze ruhiger und gleichmäßiger;
die Gebäude werden zur architektonischen Einheit zusammengefaßt und ruhiger in
Gliederung und Umriß. Straßenprospekten von Ragusa (Inferiore) und Modica und
dem Domplatz von Syrakus steht der Domplatz von Noto gegenüber. Und diese
Massengruppierung und die Anlage auf den beherrschenden Punkt zeichnet auch
die Villen von Bagheria aus.
Der Barock verlangte, hauptsächlich für Kirchen und Paläste in weithin sicht-
barer Lage, abgesehen von dem starken Relief der Gliederung, auch eine starke
kubische Massenwirkung; am besten kommt sie in den turmartig aufgegipfelten
Kirchenfassaden von Ragusa, Modica und Palazzuolo-Acreide zum Ausdruck; die
verwandten Kirchen in Catania zeigen, für die unvermeidliche Nahbetrachtung be-
stimmt, eine wesentlich feinere Gliederung. Und diese kubische Massenwirkung
ist ja in hohem Grade auch den Villen Palagonia, Valguarnera, S. Marco und
Palazzo Scaduto verliehen, zu welcher die Treppenbauten noch ein Übriges hinzutun.
Seine besten Leistungen zeigt der palermitanische Palastbau, der sich noch
durch eine gewisse lokal individuelle Note auszeichnet, in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts unter der Führung Giuseppe Venanzio Marvuglias. Jenes Lokal-
gepräge war es offenbar, das man in hohem Maße, damals wie heute, an Fugas
Umbau des Innern des Doms von Palermo vermißte. Die Klassizisten strengster
Observanz (am neapolitanischen Hofe) und die Sizilianer, an ihrer Spitze Marvuglia,
standen sich feindselig gegenüber, besonders da letztere einen Anschluß an den
normannischen Stil des Doms verlangten. Der Palastbau des 17. und der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts will sich durch den Reichtum des Äußeren: starke
Fenstergliederung, wuchtige Portale, rustizierte Pilaster, weit vorhängende Balkone
und rhythmische Anordnung der Achsen Geltung verschaffen, und für die Fernsicht
oder innerhalb der langen Straßenfluchten (Palermo) ist dies vollkommen verständ-
lich. Im Laufe des 18. Jahrhunderts flaut und flacht dann das Relief ab, die breiten

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