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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Frey, Dagobert: Renaissance-Einflüsse bei Giorgio da Sebenico
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0053

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Akzessorisches erscheint. Man empfindet in dem Motiv etwas Fremdes, das darauf
hinweist, daß es aus einer ganz anderen ikonographischen Darstellung übernommen
wurde. Sehen wir von der Fessel und der Rute ab, so ergeben die Gestalten
Christi und des rechten Schergen eine Kampfszene, in der der eine Kämpfer einen
Fliehenden bei den Haaren faßt und mit dem Schwerte gegen ihn ausholt. Wir
erkennen darin sofort ein spezifisch antikes Motiv. Das Fassen und Zerren an den
Haaren findet sich häufig in Darstellungen von Amazonen- und Kentaurenkämpfen
auf Sarkophagen. Ebenso charakteristisch ist die Gegenbewegung des vorwärts-
strebenden Körpers und des nach rückwärts gewendeten Kopfes im Profil. Das
Schema des abgebogenen einen Beines und des gestreckten, zum Laufe abstoßen-
den anderen ist seit den Athener Tyrannenmördern ein grundlegendes Bewegungs-
motiv ‘der Antike. Den Anschluß an antike Vorbilder bestätigt überdies die Frauen-
gestalt im Hintergrund, für die bereits Schubring in der Thusnelda der Loggia dei
Lanzi das Vorbild erkannt hat.
Das Heroische in den zusammengefaßten und dabei doch weit ausholenden Be-
wegungen, das sich nicht nur in der Gestalt Christi, sondern auch in den Schergen
äußert, bedeutet etwas dem christlich-gotischen Sentiment vollkommen Fremdes.
Das ist nicht der in stiller Ergebenheit leidende Christus wie auf der Baptisterium-
türe Ghibertis, das sind nicht die rohen Henkersknechte, die scharf kontrastieren
zur Idealgestalt des Heilandes, sondern Heldengestalten voll Kampfesmut und
schöner Leiblichkeit. Es besteht hier das gleiche Verhältnis zwischen dem christlich-
religiösen Inhalt zu der neuerwachten künstlerischen Forderung nach gesteigerter
Menschlichkeit und Pathos der Gebärde, die in der Antike ihr Ideal fand, wie in
den Darstellungen der Grablegung und Beweinung Christi bei Donatello. Für diese
sind die Vorbilder in einer Reihe antiker Sarkophage mit dem Tode Meleagers
nachweisbar1).
Das Nachempfinden des antiken Körpergefühls in der Gestalt des gegeißelten
Christus wird noch zum stärkeren Mitklingen gebracht, wenn wir eine inhaltlich
gleiche Darstellung betrachten, bei der die Abhängigkeit von der Antike auf ein
bestimmtes Vorbild präzisiert werden kann. Auf einer Silberplakette in Wien2) mit
der Signatur Opus Moderni sehen wir Christus an die Säule gebunden in ähnlicher
ausschreitender Bewegung den Kopf in höchstem Schmerze nach rückwärts ge-
worfen: das ist nicht nur in der Körperhaltung, sondern auch im Kopftypus und
Gesichtsausdruck bis zur Haar- und Barttracht der vatikanische Laokoon. Ilg8) hat
zuerst auf diesen Zusammenhang hingewiesen, womit auch ein sicherer terminus
post quem für das Werk gegeben ist (Auffindung 1506).
Aber zwischen der Entlehnung aus der Antike bei Donatello und diesem „Moder-
nen“ der Hochrenaissance ist ein gewaltiger Unterschied. Dem neuen künstlerischen
Erleben der plastischen Form und des Bewegungsmechanismus des menschlichen
Körpers bei Donatello ersetzte die Antike das Naturstudium. In ihr war dem
suchenden, noch ungeübten Auge die typische Einzelform, der Aufbau und die
Proportionalität des Ganzen leichter faßbar als in den fluktuierenden Wirklichkeits-
bildern mit ihrer verwirrenden Unbeständigkeit und Mannigfaltigkeit. Aber in dieser
(ϊ) Vgl. Karl Robert, Die antiken Sarkophagreliefs, Berlin 1890 — 1904, III, 2: Taf. LXXVIII, 230,
Taf. LXXXIX, 275, Taf. XCIII, 282.
(2) J. v. Schlosser, Werke d. Kleinplastik in d. Skulpturensamml. des Allerh. Kaiserhauses, I. Bd.,
Taf. XI, 2.
(3) A. Ilg, Werke des „Moderni“ in d. k. Samml., im Jahrb. d. kunsthist. Samml. des Allerh. Kaiser-
hauses, XI, S. 100.

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