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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Semrau, Max: Zu Nikolaus Goldmanns Leben und Schriften, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0478

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architektur gehörige Bauwesen, von den höchsten Aufgaben bis zu den kleinsten,
von den Subtilitäten der Ordnungen bis zu den Notwendigkeiten der Reinlich-1,
keitsanlagen. Während die Theoretiker des 16. Jahrhunderts nach dem Vorbilde
Vitruvs noch das Gesamtgebiet der bürgerlichen wie der militärischen Bau-
kunst unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammenfassend behandelten, ist
hier unter dem Einfluß der zeitlichen Entwicklung, in der die Befestigungskunst
voransteht, eine äußere Scheidung eingetreten, die für die Gesamtauffassung
der Architektur von entscheidender Bedeutung wurde. Goldmann selbst zeichnet
in seiner schriftstellerischen Tätigkeit den Gang der allgemeinen Entwicklung
gleichsam ab, indem er mit einem Werk über Militärarchitektur beginnt und
über solche mehr mathematischen Inhalts zu der Civilbaukunst fortschreitet.
So liegt der ihn leitende Gesichtspunkt klar zutage: wenn jene sich, wie allgemein
anerkannt, auf mathematischer Grundlage aufbauen muß, warum sollte von
dieser nicht das gleiche gelten, zumal die zahlenmäßige Gesetzlichkeit der Ord-
nungen schon von den älteren Theoretikern so streng durchgebildet worden war.
Die Verbindung mit der Lieblingswissenschaft des Jahrhunderts war damit
begründet, das Ideal einer beweisbaren Richtigkeit und Gewißheit auch für
die Architektur aufgestellt, mit anderen Worten: die Baukunst in eine Bau-
wissenschaft umgewandelt. „Die Baukunst“, sagt Goldmann (S. 8), „kann
als Wissenschaft und auch als eine Kunst abgehandelt werden. Und angesehen,
daß Vitruvius sie als eine Kunst abgehandelt hat, haben wir lieber auf Wissen-
schafts-Art dieselbe beschrieben.“ Er verkündet damit zum erstenmal eine Auf-
fassung der Architektur, die länger als ein Jahrhundert in Geltung geblieben
ist und sich von der Stellungnahme der voraufgegangenen Epoche sehr deutlich
unterscheidet. Die rein empirische Und zusammenhangslose Art der Aufnahmen
italienischer Renaissanceformen in Deutschland hatte irgend welche klare An-
schauung über das Wesen architektonischen Schaffens während des ganzen
16. Jahrhunderts nicht aufkommen lassen. Auch die Übersetzung des Vitruv-
kommentars des Cesarino durch den „wackeren Teutschen“ (so nennt ihn Gold-
mann S. 5) Walter Rivius (1548) änderte daran nichts: ein Blick auf die weit-
verzweigte Literatur der „Säulenbücher“ genügt, um den ganz handwerks-
mäßigen Charakter dieser von Malern und Tischlermeistern „inventierten“ Vor-
bildersammlungen zu erkennen *).
Solchen und anderen „praktizierenden Baumeistern“ erteilt Goldmann gleich zu
Anfang seines Werkes eine scharfe Absage, wenn er den Begriff des Architekten
im alten platonischen Sinne (Polit. 25g E) auf stellt als eines Herrschers über
die Bauleute. „Denn kein Baumeister leget selber die Hände an, sondern er ist
ein Aufseher und Gebieter über die Werkmeister, derer Werk er urtheilet, nicht
aber Hand Arbeit treibet. So muß er es denn also anstellen, daß nichts gebauet
werde, dessen er nicht gnugsame Ursache zeigen könne“... „Deß-
gleichen werden verworffen diejenigen, welche mit allzuvielen und unnützen
außzieren der Baukunst Ansehen verderben, und alles mit übrigen Mahlwerk
und Schnitzwerk verwirren, welcher Fehler sehr gemein ist bey denen, die sich
von der Mahler- oder Bildhauer-Kunst allzufrühe zur Bau-Kunst begeben.“ Wer
aber die Baukunst wohl versteht, muß sie zu den Wissenschaften, genauer zu
der Mechanik (der angewandten Mathematik) rechnen. Sie hat allgemeine Grund-
(1) Vgl. den Überblick von H. Schmerber, Studie über das deutsche Schloß und Bürger-
haus im 17. u. 18. Jahrh. (Stud. z. deutschen Kunstg. 35) S. 6 f. u. auch Thomae a. a. O.,
S. i8f.

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