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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Semrau, Max: Zu Nikolaus Goldmanns Leben und Schriften, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0479

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Sätze und daraus fließende Beweise, kann also zu jener Gewißheit gebracht
werden, die der Architekt braucht. „Daß nun bißhero die Mathematici die
Bau-Kunst nicht anrühren wollen, ist geschehen, daß sie sich die Schwierig-
keit haben abschrecken lassen und indem sie gesehen, daß das meiste nach
gutdüncken der practicirenden Baumeister aufgesetzet worden, hatten sie einen
Abscheu vor dergleichen Ungewißheit, derer sie sich keineswegs gewöhnet
waren.“ Goldmann scheint sich aber auch über den oben skizzierten Entwick-
lungsgang von der Kriegs- zur Civilbaukunst klar zu sein, wenn er dann fort-
fährt: „Und wenn die Obrigkeit selbst von der Nutzbahrkeit der Wissenschafften
urtheilen solte, würden sie die Bau-Kunst über alle andere oben ansetzen müssen:
Dann wann die Befestigung vor nütze und nohtwendig geschätzet wird, ist
solche Nohtwendigkeit vornamlich alleine zu Kriegs-Zeiten offenbahr. Aber
die Bau-Kunst ist zu allen Zeiten, so wohl in Friede, als in wehrenden Land-
verderblichen Kriegen von nöhten. . . . Wann wir als Menschen freundlich bey-
sammen wohnten, und nicht als die reissende Thiere gegeneinander wüteten,
würde die Befestigungs-Kunst fallen müssen, und unsere Kunst
gleichwol alleine mit ehren bestehen. Unter den Glückseligkeiten, die unter
der Sonnen gefunden werden, ist nicht die Geringste wohl zu wohnen...“ So
unternimmt denn Goldmann als der erste Mathematiker von Fach, die Civilbau-
kunst ähnlich zu behandeln, wie die Kriegsbaukunst: indem er mit Definitionen
und Axiomen anfängt und mit technischen Einzelheiten endet.
Aber die Gewißheit der Architektur beruht nach Goldmann noch auf einem
tieferen Grunde, als dem des wissenschaftlichen Beweises: sie ist uns offen-
bart. So beginnt sein zweites Kapitel „von den Erfindern der Bau-Kunst“ mit dem
monumentalen Satze: „Die Erfindung der Bau-Kunst rühret ohne Mittel her von
der Hand des Herrn.“ Gott hat David das Modell zum Tempel gegeben, wie
einst Moses das Modell zur Stiftshütte, und Salomo hat danach seinen Tempel-
und Palastbau ausgeführt, der an Herrlichkeit alle Wunderwerke der Welt über-
traf. Der Werkmeister des Tempels, der Tyrier Hiram (2. Chron. 2, 13) brachte
diese Architektur den Phöniziern, von ihnen haben sie die Ägypter empfangen, von
diesen die Griechen und Römer. Die Römer haben unter allen Heiden am
besten gebaut, die Byzantiner dann aber durch weibischen Zierat die Baukunst
verdorben. Im Mittelalter hat man „etliche hundert Jahr nach einander nichts
als durchbrochene und durchbohrte Steinberge an statt zierlicher Gebäue auf-
gerichtet, biß das Glücks-Rad sich auf eine bessere Seite gelencket hat: indem
man auß der Erden die Knochen der ungeheuren Riesen, das ist die Drümer der
großen Säulen und Gebälcke außgegraben und also auß den verfallenen Über-,
bleibungen die Bau-Kunst gleichsam auß der Erden auf erwecket hat“.
In dieser Geschichtskonstruktion, deren Willkür uns in jener Zeit nicht
wundernehmen darf, ist das Eigenartigste und Wichtigste der Glaube an das
Fortwirken göttlicher Offenbarung in der Architektur, ausgehend von den
Formen des Salomonischen Tempels. In Goldmanns verschollenem Werk über
die „Heilige Baukunst“ war dieser Gedanke weiter ausgeführt; doch genügen die
Andeutungen in der Zivilbaukunst vollkommen, uns von der Begründung und
Fortbildung dieser mystischen Idee ein Bild zu verschaffen. Die Folgerungen
daraus werden namentlich im 7. Kapitel „Von der gegeneinander Messung“ bis
ins Einzelnste gezogen. Der Tempel Salomos ist untergegangen, aber die Tempel-
beschreibung Ezechiels stimmt genau damit überein. Aus der Deutung von
Ezechiel Kap. 40ff., wie sie Villalpando (vgl. oben S. 351) in seinem großen
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