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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 5.1931

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Dexel, Walter: Theo van Doesburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.17293#0141

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THEO VAN DOESBURG. Innenraum des Cabaret „Aubeite" in Strasburg ■
Architektur und Malerei von Doesburg 1927 ■ Interior of the "Aubette" Ca-
baret, Strasbourg • Interieur du cabaret «Aubette» ä Strasbourg

allen Mitteln zu realiNeren. Die Tatfache, dah er, der Denker,
feine eigene Arbeit mit, wenn auch richtiger Theorie, zeitweilig
bis zur Erftarrung belaftete, erleichterte es anderen, in gefälligerer
Form in Wort und Tat den Zugang zur Popularität zu gewinnen,
der ihm immer verfagt blieb. Wenn man aber in Kunftdingen
ausnahmsweife einmal Priorität als Mafyffab nimmt mit annähernd
dem Anftand, der in der Wiffenfchaft üblich ift, fo gebührt Does-
burg ein ganz anderer Plah, in der Entwicklungsgefchichte des
neuen Geftaltungswillen, als er ihn bisher eingenommen hat.
Seine Vorträge nahmen 1921/22 das meifte vorweg, was man in
den nächften Jahren von führenden Perfönlichkeiten vernehmen
follte und was heute Scheidemünze ift. Er (teilte Ichon damals die
charakteriftifchen Merkmale der Lebensauffaffung von heute gegen
die von geftern:
Beftimmtheit (tatt Unbeftimmtheit
Offenheit [tatt Gefchloffenheit
Klarheit [tatt Verfchwommenheit

Religiöfe Energie ftatt Glaube und religiöser Autorität
Wahrheit (tatt Schönheit
Einfachheit (tatt Kompliziertheit
Verhältnis [tatt Form
Synthele ftatt Analyle

Logifche Konftruktion ftatt lyrifcher Konftellation
Mechanismus ftatt Handwerk

Gaftaltung ftatt Imitation und dekorativer Ornamentation
Kollektivismus ftatt Individualismus, angewandt auf Malerei, Plastik,

Architektur, Literatur, Film, Mufik und das Leben fchlechthin.
Er fuchte die Löfung des Architekfurpioblems auf wiffenfchaftlicher
Balis in Zufammenhang mit den fozialen und biogenetifchen Ver-
hältniffen zu finden, und das Wohnen war ihm fchon 1921 Lebens-
funktion, die nicht nur unfere phyfifche, fondern auch untere
geittige Aktivität berührt. Klarerkannte er fchon damals, dafy jeder
Erneuerungsverfuch, der nur einen beftimmten Faktor betont und
alle anderen negiert, arm ift und ftirbt, und fagte den baldigen
Untergang des Utilitarismus voraus, falls er nicht zur Anerkennung
unferer geiftigen Bedürfniffe zurückkehre. Leider hat (ich diefe
Hoffnung noch nicht erfüllt, wofür viele moderne Siedlungen Be-
leg find, die, unter der Flagge von Funktions- und Zweckerfüllung
legelnd, in Wahrheit oft nichts anderes darfteilen als eine Neu-
geburt der Hinterhofsfaffade auf der Strafyenfeite. Er entlarvte zu
einer Zeit, wo das Unterfcheidungsvermögen hierfür noch gründ-
lich mangelte, dekorative und gefchmäcklerifche Anwendung mo-
derner Mittel und erkannte als einer der erlten, wie fehr das
Handwerk bis dahin im individualiftifchen Lebensbewufjtfein ver-
ankert gewefen war, und wie (ehr kollektiv gerichtete Geftaltung
der Mafchine bedarf, um die neuen äfthetifchen Bedürfniffe zu
verwirklichen, die auf fozialer Umgeftaltung beruhen.
Doesburgs Gedanken des legten Jahrfünfts find noch auszuwerten.

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THEO VAN DOESBURG. Kompofition. 1929

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