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Grimme, Adolf: Lebendige Tradition!: Aus der Rede zur Eröffnung der pädagogischen Akademie in Halle am 10. Mai 1930
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.17293#0244
LEBENDIGE TRADITION!
Von Kultusminilter Grimme
Aus der Rede zur Eröffnung der pädagogilchen Akademie in Halle am 10. Mai 1930
. . . . Echter Sinn für Tradition begnügt [ich nicht damit, dafj irgendwann ein
Wert lebendig in der Welt ftand, und dafj man ihn verehrt. Wo Tradition
nicht Antrieb wird zur Mehrung der Werfe und zur Mahnung, dafj wir uns
niemals im Erreichten ausruhen dürfen, da ift ihr Sinn verfälfcht. Der jeden-
falls ift ein fehr fchlechter Hüter der Tradition, der verhütet, dafj aus der
Gegenwart ein Traditionswert für die Zukunft wird; der echte Sinn für
Tradition verlangt vielmehr die Mitarbeit am Werden einer neuen Tradition.
Und fo befitjt nur der echten Sinn für Tradition, der fich hineinwirft in jenen
Strom lebendiger Gefchichte, der das Vergangene zum Heute umgewandelt
hat und diefes felbe Heute weitertreibt ins Reich der Zukunft. Es ift nicht
Sinn der Tradition, fich tatenlos und träumend an abgeklungene Werte zu
verlieren; foll das Erleben der Werte der Vergangenheit mehr fein als ein
Bewundern, wie fie in ihrer Schöne am Himmel der Gefchichte glänzen,
und mehr als ein Bedauern, dafj fich die Gegenwart zu anderen Werten
wendet, foll dies Erleben, fage ich, der Werte der Vergangenheit einen
Bildungsfinn befifjen, dann mufj fich an diefem Erleben die Kraft zur Gegen-
wartsgeftaltung entzünden können. Ich wüfjte nicht, wem das mehr felbftver-
ftändlich fein follte als dem, der feinen Lebensfinn im Umgang mit der
Jugend fieht, und dem es tägliche Erfahrung ift, dafj Jugend niemals Epigone,
immer Pionier fein will. Ein jugendfremder Lehrer wäre es, ein Lehrer ohne
Bildnerkräfte, der nur „übermitteln" wollte und nicht den Willen weckte zur
Verwirklichung der Werte. Erzieher ift nur, wer ja fagt auch zur Gegenwart
und in der Jugend immer wieder den Willen zum Wert auslöft und in ihr
das Verantwortungsgefühl ftählt, dafj fie Baugefelle fein mufj am Werk der
Zukunft. Nur wer die Wahrheit tut, kommt an das Licht. Gerade wer den
Geift der Tradition erhalten will, mufj die Jugend lehren, mit dem Gedanken
Ernft zu machen, dafj Werte mehr find als blofjer Sonntagsputj, dafj wir fie
in den Alltag hineinftellen müffen, weil es nicht angeht, die Welt zu laffen,
wie fie ift, fondern weil es gilt, fich wertvoller zu machen, genau fo, wie es
die taten, die vor uns Tradition gefchaffen haben.
Ich wüfjte wieder nicht, wem das mehr felbftverftändlich fein follte als dem,
der von der neuen Akademie aus als Kamerad zur Jugend gerade jener
Volksgenoffen gehen will, über deren Alltag kein blauer Himmel ftrahlt und
deren Dafeinslos das Gewiffen derer, die fich beffer haben betten können,
folange wundfcheuern follte, bis jeder einfieht und die Folgerung aus diefer
Einficht zieht, dafj, wer den Menfchen als Träger von Bildungswerten will,
als geiftgeformtes Wefen, auch die Vorausfetjung mitwollen mufj, dafj diefem
Menfchen die Kraft und Murje, fich Bildungswerten hinzugeben, ermöglicht
wird.
Das Arbeitsmaferial ■ The working material • Le
material de travail
178
Von Kultusminilter Grimme
Aus der Rede zur Eröffnung der pädagogilchen Akademie in Halle am 10. Mai 1930
. . . . Echter Sinn für Tradition begnügt [ich nicht damit, dafj irgendwann ein
Wert lebendig in der Welt ftand, und dafj man ihn verehrt. Wo Tradition
nicht Antrieb wird zur Mehrung der Werfe und zur Mahnung, dafj wir uns
niemals im Erreichten ausruhen dürfen, da ift ihr Sinn verfälfcht. Der jeden-
falls ift ein fehr fchlechter Hüter der Tradition, der verhütet, dafj aus der
Gegenwart ein Traditionswert für die Zukunft wird; der echte Sinn für
Tradition verlangt vielmehr die Mitarbeit am Werden einer neuen Tradition.
Und fo befitjt nur der echten Sinn für Tradition, der fich hineinwirft in jenen
Strom lebendiger Gefchichte, der das Vergangene zum Heute umgewandelt
hat und diefes felbe Heute weitertreibt ins Reich der Zukunft. Es ift nicht
Sinn der Tradition, fich tatenlos und träumend an abgeklungene Werte zu
verlieren; foll das Erleben der Werte der Vergangenheit mehr fein als ein
Bewundern, wie fie in ihrer Schöne am Himmel der Gefchichte glänzen,
und mehr als ein Bedauern, dafj fich die Gegenwart zu anderen Werten
wendet, foll dies Erleben, fage ich, der Werte der Vergangenheit einen
Bildungsfinn befifjen, dann mufj fich an diefem Erleben die Kraft zur Gegen-
wartsgeftaltung entzünden können. Ich wüfjte nicht, wem das mehr felbftver-
ftändlich fein follte als dem, der feinen Lebensfinn im Umgang mit der
Jugend fieht, und dem es tägliche Erfahrung ift, dafj Jugend niemals Epigone,
immer Pionier fein will. Ein jugendfremder Lehrer wäre es, ein Lehrer ohne
Bildnerkräfte, der nur „übermitteln" wollte und nicht den Willen weckte zur
Verwirklichung der Werte. Erzieher ift nur, wer ja fagt auch zur Gegenwart
und in der Jugend immer wieder den Willen zum Wert auslöft und in ihr
das Verantwortungsgefühl ftählt, dafj fie Baugefelle fein mufj am Werk der
Zukunft. Nur wer die Wahrheit tut, kommt an das Licht. Gerade wer den
Geift der Tradition erhalten will, mufj die Jugend lehren, mit dem Gedanken
Ernft zu machen, dafj Werte mehr find als blofjer Sonntagsputj, dafj wir fie
in den Alltag hineinftellen müffen, weil es nicht angeht, die Welt zu laffen,
wie fie ift, fondern weil es gilt, fich wertvoller zu machen, genau fo, wie es
die taten, die vor uns Tradition gefchaffen haben.
Ich wüfjte wieder nicht, wem das mehr felbftverftändlich fein follte als dem,
der von der neuen Akademie aus als Kamerad zur Jugend gerade jener
Volksgenoffen gehen will, über deren Alltag kein blauer Himmel ftrahlt und
deren Dafeinslos das Gewiffen derer, die fich beffer haben betten können,
folange wundfcheuern follte, bis jeder einfieht und die Folgerung aus diefer
Einficht zieht, dafj, wer den Menfchen als Träger von Bildungswerten will,
als geiftgeformtes Wefen, auch die Vorausfetjung mitwollen mufj, dafj diefem
Menfchen die Kraft und Murje, fich Bildungswerten hinzugeben, ermöglicht
wird.
Das Arbeitsmaferial ■ The working material • Le
material de travail
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