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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 5.1931

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Marginalien
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MARGINALIEN

Adolf Loos über Jofef Hoffmann

Als ich nach dreijähriger Abwelenheit (in Amerika) im Jahre 1896
in Wien erfchien und meine Kollegen wiederfah, muhte ich mir die
Augen reiben: Sie waren, alle diefe Architekten, wie „Künftler"
angezogen. Nicht wie die übrigen Menfchen fondern — nach
amerikanifchen Begriffen wie die Hanswurfte. Sie hatten einen
Schneider eigens abgerichtet, der diefe Tracht aus prächtigen
Materialien autbaute. Die Leute lachten, aber die Regierung, die
von Journaliften beraten war, machte alle zu Doktoren und Herren
Profefforen. Ich war für die alte Wiener Tifchlerarbeit, Tradition
und Qualität — ihre Arbeit fah aus wie ihre Kleidung. Aus ihrem
Kreife war ich ausgefchloffen. Ich war, wie fchon meine Kleidung
bewies, kein Künftler. Denn ich hatte mir ein Abonnement bei
dem Herrenmodegefchätt Goldman und Salatfch genommen und
redete meinen Kollegen zu, doch die Kinkerlitjchen zu laffen und
dasfelbe zu tun. Ich wurde belächelt. Da erhielt ich einen Auftrag
für eine Wohnungseinrichtung. Ich lud Jofef Hoffmann und Kolo
Mofer ein, fich diefe anzufehen. Im Fiaker fuhren wir an einem
Mittwoch nachmittags hin. Wohnung Stöhler. Schweigend (ahen
die beiden die ungewohnten Dinge an. Dann trennten wir uns.
Zwei Tage fpäter erfchien ich bei Goldman und Salatfch. Der
alte Herr fagte: „Ich glaube, Herr Loos, wir haben Ihnen wieder
einen Kunden zu verdanken". Ich hatte alle Welt, Kunft und Lite-
ratur, zu Goldman gefchickt und wufjte daher nicht, um wen es
fich handelte. „Wer es ift?" „Es ift ein Profeffor an der Kunftge-
werbefchule, er heiht Jofef Hoffmann". Ich war paff! „Ja, feit wann
ift denn der Herr ihr Kunde"? „Seit vorgeftern Nachmittag". „Um
wieviel Uhr war er hier?" „Sehen Sie doch nach, Johann, im Kun-
denbuch! Um wieviel Uhr war Herr Profeffor Hoffmann hier"?
Um lh5 Uhr nachmittag". Eine Viertelftunde vorher hatte er mich
verlaffen.

Seitdem, das Datum kann durch die Firma Goldman und Salatfch
wohl eruiert werden, ift Jofef Hoffmann europäifch angezogen.
Und die gerade Linie wurde das Merkmal der Sezeffion! Man
(ah in gepolfterten Kiffen, man machte filberne Würfel und nannte
fie Teekannen, bis ich von diefem vollkommenen Mihverftehen
meiner Lehren durch das Erfcheinen von Dagobert Peche erlöft
wurde, den man nun nachahmte.

Das Mihverftehen der Lehren übernahm das Weimarer Bauhaus.
Nun wurde das „neue Sachlichkeit" genannt. Diefe „neue Sach-
lichkeit" hat fchliehlich Jofef Hoffmann wieder übernommen. Seit
1896 find alfo zu all den Übeln nur noch kompliziertere Formen
des Ornamentierens hinzugekommen: Unnütje Konftruktionen,
Orgien in bevorzugten Materialien (Beton, Glas, Eifen). Bauhaus-
und Konftruktivismusromantik find nicht beffer als Ornament-
Romantik.

Alle die Herren werden (ich fchliehlich doch einmal einigen

müffen und nicht mehr nach Schlagwörtern arbeiten fondern, wie
ich es fchon 1896 wollte, als ich Jofef Hoffmann zur Kleidung des
europäifchen Kulturmenfchen verhalf: modern.
Prag, Januar 1931 Adolf Loos

Piscator an der Berliner Volksbühne

Am 15. Januar trat die junge Volksbühne mit Friedrich Wolfs
„Tai Yang erwacht" zum erftenmal vor die Öffentlichkeit. Nach
einem jahrelangen Kampf um das Mitbeftimmungsrecht der revo-
lutionären Elemente innerhalb der reformiftifchen „Volksbühne"
hat fich diefe Sezeffion Piscators als notwendig erwiefen. Solche
Regenerationen von unten find in der Gelchichte der Volksbühne
nicht ganz neu und führen auch in anderen Kunftgalfungen, wenn
die Kompenfation der allgemeinen politifchen und künftlerifchen
Atmofphäre ftark genug ift, gerade die beften Kräfte immer wie-
der zu Ablage und Beginn. So war es in der „Berliner Sezeffion",
in der Novembergruppe, fo in der Jugendmufikbewegung, im
„Ring" am Bauhaus, überall da ftanden in den erften Jahren des
Aufbruchs Männer, die zwingend ihre Miffion empfanden: Zeit-
gewilfen zu fein. Was fie aber von Piscator unterfcheidet und ihr
Verlagen letzten Endes erklärt, ift ihre Beziehungslofigkeit zu ganz
eindeutigen wirtfchaftlichen und politifchen Richtungen; fie lavier-
ten zwifchen den Fronten. Anders bei der „jungen Volksbühne."
Hier das eindeutige proletarifche Kampftheater im Sinne jener
pofitiven Entfcheidung: Kapitalismus oder Sozialismus. Die Szene
wird zum Tribunal! Die Bühne wird zum Zeitgericht, zum Zeitge-
wiffen, die Kunft zur Waffe, der Dichter zum Klaffenkämpfer.
Nie feit der Zeit, wo er noch im Norden Berlins Agitprop-Szenen
fpielte, hat Piscator mit einfacheren Mitteln gearbeitet als in diefer
Infzenierung, nie war er konfequenter. Voll erleuchtetes Audito-
rium; auf der Bühne: Privatperfonen an ihren Toiletfetifchen un-
terhalten fich über China und Deutfchland, über die legten Zei-
tungsmeldungen, über ihre Arbeit, kurz: „über die Grundlagen
für die Wirkung des politifchen Theaters." Unmerklich entwickelt
fich das Spiel, hohe Banner und Transparente von John Hearffield,
Sprüche und Statiftiken eines jener foliden Lehrftücke, von denen
es in Ruhland hunderte gibt: eine Textilarbeiterin wird aus der
Maitrelfe ihres Fabrikherrn zur politifchen Agitatorin, Tai Yang
erwacht. Surrende Webmafchinen, der Gleichtakt der arbeitenden
Frauen, das ganze unter den Lichtreflexen eines Filmltreifens
phantaftifch gefteigert. Konftanze Menz vom Frankfurter Schau-
fpielhaus in der Titelrolle, im Hintergrund auf heller Leinwand
Schatfentanz der Bannerträger, unperfönlich, ungewöhnlich ftark.
Keine Primadonna, Kollekfivleiftung nach Anlage und Regie;
wie immer in politifchen Kunftwerken die Wirkung des Darge-
ftellten entfcheidender ift als die des Darftellenden. Gerade
hierin unterfcheiden (ich Wolfs letjte Arbeiten von feinen früheren,
etwa Cyankali, das noch ganz die individualiftifchen Merkmale
des bürgerlichen Dramas aufwies. Idiologie dementfprechend:

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