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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 5.1931

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BEMERKUNGEN

Vandalismus im Schafspelz

Die unter dem Aushängefchild der Wiederherftellung betriebenen
Verwültungen am mittelalterlichen Kölner Domchor gehen, trorj
der Domtagung der Denkmalpfleger im September vorigen
Jahres, rüffig weiter. Noch einmal im Dezember trieb das (chlechte
Gewiffen die Denkmalpfleger in Köln zufammen. Sie rafften (ich
damals zu dem [anften Wunfeh auf, „man möge überhaupt nur
dort erneuern, wo wirklich kein anderer Ausweg bleibt". Der
preuhifche „Konfervator", Dr. Hiecke, verfprach eine Denkfchrift;
und während er über feine Denkfchrift jetjf nachdenkt, nimmt das
bereits vor 3 Jahren begonnene Zerltörungswerk ungeftört feinen
Lauf. Die Verträge mit der Sfeinbruchinduftrie find getätigt. Die
Felsblöcke türmen fich vor dem Dom zu Bergen und rücken
(tändig nach; Preßluftmafchinen mit 6 Atmofphären Druck ver-
langen täglich nach Tätigkeit und Fraß — unter dem Druck focher
und ähnlicher Realitäten mulj das große Monument des Mittel-
alters verbluten, und ein Monument von unterer Zeiten Schande
darf in die Lücke fpringen. Es unterliegt dem Tätigkeifsgefet) des
gefchäftlichen und bürokratifchen Apparats. In der „Dombauhütte"
(tehen die Werkleute dicht gedrängt, wackere Leute natürlich, die
leider nur mit ihrem guten handwerklichen Willen einem fchlechfen
Wollen der geiftigen Führerfchicht dienen. Man zählte jüngft 76
Steinhauer, Bildhauer. Maurer und verwandte Handwerker, die
auf Geheiß der Vorgelebten unter Anwendung modernffer
Methoden den von den Meilfern des 13., 14. und 15. Jahrhunderts
geftalteten und von der Romantik des 19. Jahrhunderts nicht allzu
heftig reparierten Chor zur vollkommenen Panoptikumslache
entwefen. Ein folches Aufgebot an Similifchmuck für ein noch auf
Jahrhunderte hinaus lebensfähiges altes Baudenkmal dürfte in der
Gefchichte der Kunftverfälfchung und Geiftaustreibung (falls man
den innerhalb des Muleumsbetriebs ähnlich gelagerten Fall des
Markttors von Milef in unferem Spreeathen ausnimmt) konkur-
renzlos daftehen. Da diefe Zeitfchrift auch in U. S. A. gelelen wird,
möchte von dort vielleicht die Anfrage kommen, ob man die aus-
gewechselten OriginaKtrebepfeiler vielleicht käuflich erwerben
darf, um doch wenigftens jenfeits des vertroddelfen Europa eine
Erinnerung an das gotilche Choraurjenwerk der riefenhafteften
aller mittelalterlichen Planungen Wefteuropas zu bewahren. Auf
(olche Anfrage müßte die Antwort laufen, daß, abgefehen von
wenigen Bruchltücken, die Altfubftanz der Pfeiler im Preßluftver-
fahren abgemeißelt und abgehämmert wird, (odaß das Gewünfchte
meift nur noch als Schrot und Sfeinmehl erworben werden kann.
Was im Lauf dreier Jahre fchon alles an edlem Profil- Maß- und
Blattwerk zugrunde ging, wird (ich wohl nie mehr feftftellen laffen,
da man es ja nicht einmal für nötig erachtete, das alte Werkgut
vor feiner Zerttörung ausgiebig zu fotografieren. So wird denn

nur der neue, totgeborene Domhüttenkitlch (den man zum Über-
fluß noch durch ein Bleifprißverfahren konferviert — (tatt Chemie
und Technik ganz auf die Erhaltung des lebendigen Altgelteins
zu konzentrieren) lückenlos und makel los auf die fernlte Nach-
welt kommen.

In folcher Pietät das gleiche böfe Prinzip wie, anders vermummt,
auf anderen Gebieten unferer Lebensgeftaltung. Kölner-Dom-
Auswechfelung, Schultze-Naumburg-Germanolatrie, Hötger-Rofe-
lius-Synkretismus, Städtebau - Baukunft meiltbefchäftigter Promi-
nenzen, Edelkitfchproduktion unter der Flagge des Werkbunds,
Aufblähung griechifcher Tempelreffe (die armen !) durch Gips-
tempel — das alles liegt an der einen Sammeltangente des
Kulturphilifters. Jatho

zur frage des „politifchen theafers"

das piscator-kollektiv hat unter der regie rolf zindlers als viertes (tück
diefer faifon „die parifer kommune" von weingaft in der Urauf-
führung herausgebracht, es verfteht fich: ein politifches drama
erften formafs, leider n i ch f erlter qualität. was (ich hier als „drama"
anbietet, ift feiner abficht und Wirkung nach ein wenig dramatifches
fchema politifcher parolen. diete parolen felbft lind richtig, find
fogar wichtig, und meift bekannt, fogar anerkannt; der art aber,
wie (ie handelnden perfonen in den mund gelegt werden,
fehlt alles überzeugende, begründete, lebendige, die gänzlich
entbehrliche figur des (tudenten, die des „berichterftatters der
revolution", die haltung des generals gallifet, die undisziplinierten
matfenfzenen und kampfgefänge — alles das grenzt in feiner
blutleeren fchematik fa(t an marionetfen. nirgends in dem (tück
(elblt eine motivierte zulammenhängende handlung, nirgends
ein erkennbarer aufbau von objektiv-gefchichtlichen vorausfet-
zungen und fubjektiv-bewegenden kräften, eine a priori feltge-
legte fchwarz-weiß-kunft von grenzfällen: gerechtigkeit des Volkes
gegen feudaliltifchen terror. mit diefer von vornherein — zwar
richtigen aber dramatifch denkbar ungefchickfen — einfeitigen
feltlegung der (ympathien wird dem ftück das bette (einer Wirkung
genommen: die möglichkeit fpontaner anfeilnahme. von dem,
was da an zwifchenlzenifchem beifall zu hören war, war nur zu
deutlich (pürbar, daß es aus dem intellekt guter marxitten, nicht
aus dem herzen von Proletariern kam. es gibt immerhin eine
andere art darltellender politifcher agitation, die — felbft ein
kind piscators — viel echter, wirkungsvoller, viel lebensnäher
und politifcher, politifche parolen bühnenmäsig illuftriert: die
proletarifchen „agitprop-truppen". hier ift konfequent auf drama
verzieht geleiftet, kurzfzenen aus dem alltag, tragifche, groteske;

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