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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Ernst-Weis, Josef: Der Meister der Rufacher Beweinung
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0147

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Der Meister der Rufacher Beweinung

Die Mittelgruppe der Pieta ist gerahmt von den zwei sehr verschiedenartigen Gestalten des hl. Johannes
und der hl. Magdalena. Letztere ist im Profil gesehen und beugt sich weit nach vorne über. Tastend ergreift
sie Christi Arm, um scheu die Hand des Heilandes zu küssen. In weitem, sichelscharfem Schwung betont ihr
Mantel die Bewegung. Es ist ein einziger großer Akzent, der diese Bewegung ausmacht, die eine restlose,
glücklich schmerzvolle Hingabe ausdrückt. Johannes bebt im Wechsel der Gefühle: aus der Biegung seines
schlanken Körpers wendet der leidvolle Kopf sich fort, während die Hände zart nach Christi Haupt greifen.
Diese Jüngergestalt bringt in die harte pfostenartige Begrenzung des linken Reliefrandes eine wundervoll sich
bäumende Bewegung, die der über Johannes stehende Bärtige in der parallelen Handhaltung hemmt und die
in der gegensätzlichen Wendung des Kopfes wieder weitergeleitet wird. Eine ähnlich schwingende Wellen-
linie gleitet von Johannis Händen aus quer durch die Komposition über Christi linken Arm hinüber zu
Magdalena.
Zwischen diesen großen Zügen des Bildwerkes steht manches Andere als tötende Pause, voll Öde und
Enttäuschung. Zumal scheint in der geistlosen Fassung des 19- Jahrhunderts das eine oder andere besonders
unglücklich betont worden zu sein und ein bloßes Schwanken der Güte wurde dadurch zu einem völligen
Versagen gesteigert. Die Köpfe haben darunter am meisten gelitten. Allen eignet eine hochgradige Empfind-
samkeit, alle tragen sie eine gewisse Bedeutungslosigkeit des Typs unbewußt zur Schau. Der Johanneskopf
scheint am klarsten das auszudrücken, was dem Meister am Herzen lag: ein nicht mehr tragbarer, weher Schmerz,
der in Schönheit zu sterben bereit ist. Für einen gesund und kräftig empfindenden Menschen mag das weit
über die Grenze des Erträglichen hinausgehen, aber selbst liebevoll eingehender Betrachtung sind Dinge wie
der Kopf Magdalenas nicht mehr erfreulich. Zwar mag gerade hier die Bemalung den Zügen etwas unan-
genehm Glattes, etwas wie eine zu verbergende Nacktheit gegeben haben, aber die hysterische Schmalheit des
Schädels, das fleischige Ohr, jede der Einzelheiten führt wieder zu der Frage, ob hier nicht das Können des
Meisters versagt. Ein Teilstück wie die knochenlose, schlaffe Hand des zweiten Bärtigen in der oberen Reihe
spricht wenig zu Gunsten des Meisters.
Was bei der Physiognomik nicht ganz klar wird, bleibt zweifelsfrei bei der Beobachtung der Gewand-
gebung. Die Ähnlichkeit der Motive springt in die Augen. Den Körper verneinend hängen die Tuchbahnen
in strähnigen Parallelfalten wie gefroren herab. Selten wird da und dort ein Glied oder ein Gelenk heraus-
gearbeitet, und die schöne, sprechende Bewegung der Arme wird erbarmungslos mit kurzen, schematischen
Querfalten zerhackt. Wahllos gequetscht, ziellos auseinander gezerrt wird mit den Gewandmassen Leerraum
gefüllt, wobei eine von sich überzeugte Rücksichtslosigkeit rezeptmäßig verfährt.
Alles in allem sind das wenig erfreuliche Charakteristika, aber die Einzelschönheiten heben sich dennoch
inselgleich aus dem müden Ganzen hervor. Man darf wohl kaum diese Ungleichheiten dahin auslegen, es
seien mehrere Hände an dem Werke beteiligt, noch weniger wird man sie etwa mit der Jugend und Unreife
des Schöpfers entschuldigen können. Die Arbeit der Rufacher Beweinung ist zu souverän, als Handwerk zu
gewandt und beherrscht. Die Defekte, unter denen sie leidet, sind viel zu offen, als daß sie ein Junger sich
hätte leisten können. Von der Ansicht ausgehend, hier ein Spätwerk vor sich zu haben, soll versucht werden,
aus ihm als aus einem Sammelbecken die betonten Einzelzüge an anderen vermuteten Werken derselben Hand
nach rückwärts zu verfolgen.
Als Erstes bietet sich ein überaus anschaulicher Vergleich mit einer Arbeit, die unter noch schlimmeren
Verhältnissen sich in Kaysersberg erhalten hat.

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