Der Meister der Rufacher Beweinung
punkt seiner Frühzeit gewesen zu sein. Die Ammerschweierer Pieta ist vielleicht das früheste uns greifbare
Werk. Im Beweinungsaltar der Kaysersberger Pfarrkirche vollzieht sich ein bedeutsamer Entwicklungsvorgang:
der Meister beginnt hier schon die volle Rundung plastischer Gestaltung mit einzelnen eindeutig zum Flach-
relief neigenden und zur Schematisierung drängenden Elementen zu durchsetzen. Die Figur des hl. Fridolin
geht hierin am weitesten. Die mächtige Gestalt des Kaisers Heraklius auf dem Brunnen vor der Kirche stellt
ihm eine Aufgabe monumentaler Plastik, die ihn auf der Scheide zwischen den beiden Grundzügen seines
Willens zeigt: noch verhilft ihm ein entschiedenes Renaissanceempfinden dazu, die Figur in ihrer denkmal-
haften Freiheit als einheitlichen Block zu geben, aber gleicher Zeit mahnt ihn sein Streben zu Schematisierung,
der Gestalt nicht die ihr gehörige warme Lebensfülle zu geben. Er ist weit davon entfernt, kräftige lebens-
bejahende Gestalten zu geben, wie es die Holzarbeiten des Altars versprechen konnten. Das Sulzbacher Grab-
mal zeigt, wie sehr er bemüht ist, das einseitige Wunschbild seiner müde schwärmerischen Gesichtstypen auszu-
bilden; auch da, wo man in dieser Zeit Porträtähnlichkeit oder eine dem Naturalistischen analoge Gestaltung
des Vorstellungsbildes erwarten könnte. Das Grabmal gibt in einer Inschrift als einziges Werk des Rufacher
Meisters ein Datum. Der Ritter Jakob von Hattstadt starb 1514, nachdem seine Frau schon 1511 verstorben
war. Es ist wahrscheinlich, daß der Graf schon nach dem Tode der Frau das Grabmal hat arbeiten lassen,
spätestens aber ist es unmittelbar nach seinem Tode 1514 ausgeführt worden. Somit wird man die nachweis-
baren Frühwerke noch vor die Jahrhundertwende datieren müssen; zwischen dem Sulzbacher Grabmal und
der Rufacher Beweinung dürfte nicht ganz ein Jahrzehnt liegen. Daß er während dieser Zeit ebenfalls in der
engeren Umgebung der Vogesentäler zwischen Colmar und Rufach blieb, beweist eine stehende Maria mit
dem Kinde aus Marbach, die heute im Unterlinden-Museum zu Colmar aufbewahrt wird9 (Taf. 73, Abb. 1).
Sie schließt sich an die fortschrittlicheren Arbeiten in Kaysersberg an, setzt aber auch schon das Sulzbacher
Grabmal voraus.
Eine Gegenüberstellung der Marbacher Madonna mit dem Fridolin der Kaysersberger Michaelskapelle
erübrigt lange Auseinandersetzungen. Die Führung der Falten im Ganzen und im Einzelnen ist sich so eng
verwandt, daß an der gleichhändigen Ausführung kein Zweifel aufkommen kann. Die Marbacher Maria
führt den Kaysersberg-Sulzbacher Stil des Meisters zu einer entschiedenen Überfeinerung und Überspitzung,
so daß sie als unbedingte Voraussetzung zur Rufacher Beweinung aufzufassen ist. Die gelinde Ungelenkigkeit
der Kaysersberger Einzelfiguren ist zu einem schwingenden Bewegungsfluß geworden und der stille, in sich
ruhende Stolz der jugendlichen Heiligen dort strahlt als königliche Unnahbarkeit von der Marbacher Maria
aus. Ihr Antlitz ist das von jeder Bürgerlichkeit befreite Gesicht der Magdalena in der Michaelskapelle, es
ist die zu freiem Leben erweckte, von der Enge mittelalterlicher Frauentracht erlöste Hattstädterin. Schon
die Ammerschweierer Maria besitzt den schmalen scharfen Augenschnitt, und die Kaysersberger Magdalena
wirft ähnlich der Marbacher Maria mit langsam sich schließenden Augen den Kopf leise unter der Last ihres
üppigen Haares zurück. Doch kennt die Marbacher Gestalt nicht mehr den festen, rund um die Gestalt fühl-
baren Stand, sondern sie spielt ihre wieder ganz gotisch gewordene Bewegung reliefgemäß in einer Ebene aus.
Der Körper besitzt die Schlankheit der Dangolsheimer Madonna, aber er ist nicht wie dort in der Schatten-
tiefe des umschlingenden Mantels geborgen. Er verliert sich in der Gewandmasse, der die schmale Büste
9 Champion, Claude, Le Musee d’Unterlinden a Colmar, Catalogue des peintures, sculptures et objets d’art. Paris 1925.
S. 90, Nr. 113. — Herzog, E., Marbach, L’abbaye — Le preventorium — Les environs, Colmar 1928, S. 96. — Futterer, Ilse,
Zur gotischen Plastik im Elsaß (Oberrheinische Kunst, 3. Jahrg. Heft 1/2). Freiburg (Brsg.) 1928. S. 53, Taf. 30, 2.
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punkt seiner Frühzeit gewesen zu sein. Die Ammerschweierer Pieta ist vielleicht das früheste uns greifbare
Werk. Im Beweinungsaltar der Kaysersberger Pfarrkirche vollzieht sich ein bedeutsamer Entwicklungsvorgang:
der Meister beginnt hier schon die volle Rundung plastischer Gestaltung mit einzelnen eindeutig zum Flach-
relief neigenden und zur Schematisierung drängenden Elementen zu durchsetzen. Die Figur des hl. Fridolin
geht hierin am weitesten. Die mächtige Gestalt des Kaisers Heraklius auf dem Brunnen vor der Kirche stellt
ihm eine Aufgabe monumentaler Plastik, die ihn auf der Scheide zwischen den beiden Grundzügen seines
Willens zeigt: noch verhilft ihm ein entschiedenes Renaissanceempfinden dazu, die Figur in ihrer denkmal-
haften Freiheit als einheitlichen Block zu geben, aber gleicher Zeit mahnt ihn sein Streben zu Schematisierung,
der Gestalt nicht die ihr gehörige warme Lebensfülle zu geben. Er ist weit davon entfernt, kräftige lebens-
bejahende Gestalten zu geben, wie es die Holzarbeiten des Altars versprechen konnten. Das Sulzbacher Grab-
mal zeigt, wie sehr er bemüht ist, das einseitige Wunschbild seiner müde schwärmerischen Gesichtstypen auszu-
bilden; auch da, wo man in dieser Zeit Porträtähnlichkeit oder eine dem Naturalistischen analoge Gestaltung
des Vorstellungsbildes erwarten könnte. Das Grabmal gibt in einer Inschrift als einziges Werk des Rufacher
Meisters ein Datum. Der Ritter Jakob von Hattstadt starb 1514, nachdem seine Frau schon 1511 verstorben
war. Es ist wahrscheinlich, daß der Graf schon nach dem Tode der Frau das Grabmal hat arbeiten lassen,
spätestens aber ist es unmittelbar nach seinem Tode 1514 ausgeführt worden. Somit wird man die nachweis-
baren Frühwerke noch vor die Jahrhundertwende datieren müssen; zwischen dem Sulzbacher Grabmal und
der Rufacher Beweinung dürfte nicht ganz ein Jahrzehnt liegen. Daß er während dieser Zeit ebenfalls in der
engeren Umgebung der Vogesentäler zwischen Colmar und Rufach blieb, beweist eine stehende Maria mit
dem Kinde aus Marbach, die heute im Unterlinden-Museum zu Colmar aufbewahrt wird9 (Taf. 73, Abb. 1).
Sie schließt sich an die fortschrittlicheren Arbeiten in Kaysersberg an, setzt aber auch schon das Sulzbacher
Grabmal voraus.
Eine Gegenüberstellung der Marbacher Madonna mit dem Fridolin der Kaysersberger Michaelskapelle
erübrigt lange Auseinandersetzungen. Die Führung der Falten im Ganzen und im Einzelnen ist sich so eng
verwandt, daß an der gleichhändigen Ausführung kein Zweifel aufkommen kann. Die Marbacher Maria
führt den Kaysersberg-Sulzbacher Stil des Meisters zu einer entschiedenen Überfeinerung und Überspitzung,
so daß sie als unbedingte Voraussetzung zur Rufacher Beweinung aufzufassen ist. Die gelinde Ungelenkigkeit
der Kaysersberger Einzelfiguren ist zu einem schwingenden Bewegungsfluß geworden und der stille, in sich
ruhende Stolz der jugendlichen Heiligen dort strahlt als königliche Unnahbarkeit von der Marbacher Maria
aus. Ihr Antlitz ist das von jeder Bürgerlichkeit befreite Gesicht der Magdalena in der Michaelskapelle, es
ist die zu freiem Leben erweckte, von der Enge mittelalterlicher Frauentracht erlöste Hattstädterin. Schon
die Ammerschweierer Maria besitzt den schmalen scharfen Augenschnitt, und die Kaysersberger Magdalena
wirft ähnlich der Marbacher Maria mit langsam sich schließenden Augen den Kopf leise unter der Last ihres
üppigen Haares zurück. Doch kennt die Marbacher Gestalt nicht mehr den festen, rund um die Gestalt fühl-
baren Stand, sondern sie spielt ihre wieder ganz gotisch gewordene Bewegung reliefgemäß in einer Ebene aus.
Der Körper besitzt die Schlankheit der Dangolsheimer Madonna, aber er ist nicht wie dort in der Schatten-
tiefe des umschlingenden Mantels geborgen. Er verliert sich in der Gewandmasse, der die schmale Büste
9 Champion, Claude, Le Musee d’Unterlinden a Colmar, Catalogue des peintures, sculptures et objets d’art. Paris 1925.
S. 90, Nr. 113. — Herzog, E., Marbach, L’abbaye — Le preventorium — Les environs, Colmar 1928, S. 96. — Futterer, Ilse,
Zur gotischen Plastik im Elsaß (Oberrheinische Kunst, 3. Jahrg. Heft 1/2). Freiburg (Brsg.) 1928. S. 53, Taf. 30, 2.
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