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Peust, Carsten
Das Napatanische: ein ägyptischer Dialekt aus dem Nubien des späten ersten vorchristlichen Jahrtausends ; Texte, Glossar, Grammatik — Göttingen, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.31318#0014

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l Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
Die Geschichte Nubiens zwischen der Epoche der ägyptischen Kolonialisierung im zweiten vorchristlichen Jahrtau-
send und der Christianisierung im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung lässt sich etwa in drei Abschnitte eintei-
len. Ein selbständiges nubisches Reich tritt im frühen achten Jahrhundert in unser Blickfeld, als es über Ägypten die
Herrschaft gewinnt und die sogenannte 25. Dynastie in der Chronologie der ägyptischen Königshäuser konstituiert.
Diese Periode ist in der Ägyptologie nach altgriechischem Sprachgebrauch als Äthiopenzeit bekannt und
wird unter diesem Terminus etwa von Hofmann (1971: 10) von der auf den Verlust der Vorherrschaft über Ägypten
folgenden Epoche der nubischen Geschichte abgegrenzt, welche sie als ganze mit dem Terminus meroitisch
belegt. Andere differenzieren die Geschiehte Nubiens nach seinem Rückzug aus Ägypten terminologisch noch einmal
in zwei Teile und stellen die Periode bis etwa zum dritten vorchristlichen Jahrhundert als napatanische Peri-
ode der anschließenden meroitischen Periode gegenüber, wobei dann der Begriff der napatanischen Periode iiblicher-
weise die Zeit der 25. ägyptischen Dynastie mit einschließt.1 Der Einschnitt zwischen der napatanischen und der
meroitischen Periode manifestiert sich zunächst einmal, wie schon der Name es sagt, allgemein gesprochen in einer
Verlagerung des Reichsmittelpunktes von Napata nach Meroe, was sieh primär an den Bestattungsorten der Könige
festmachen lässt (el-Kurru und Nuri bei Napata in der napatanischen Periode; Meroe, allerdings auch Gebel Barkal in
der meroitischen Periode).2 Noch klarer definiert sich der historische Einschnitt durch den Wechsel der vorherr-
schenden Schriftsprache vom Ägyptischen in der napatanischen Periode zum Meroitischen in der meroitischen Peri-
ode. Auch in anderen kulturellen Bereichen wie der Religion und der Kunst ist die meroitische Zeit generell durch
eine Loslösung von der ägyptischen Tradition gekennzeichnet.
Die Sprache der frühen napatanischen Periode zur Zeit der 25. Dynastie zeigt keine regionalen Besonderheiten. Das
Ägyptische war die einzige verfügbare Schriftsprache und wurde von den Nubiem während der Reichseinheit Nubiens
mit Ägypten offenbar mit Perfektion rezipiert, wenn nicht die meisten der erhaltenen Texte überhaupt von Ägyptern
verfasst wurden. In der Zeit nach dem Rückzug aus Ägypten wird man eher vermuten, dass die erhaltenen Texte
weitgehend von Einheimischen produziert wurden. Priese (1972) hat die Sprache solcher Texte aus der Epoche bis zu
Irike-Amanote (5. Jhdt.) untersucht, die er als mittelnapatanisch bezeichnet (Priese 1972: 99). Es handelt
sich hierbei um ein Neomittelägyptisch mit wechselnden Anteilen an Neuägyptizismen und gelegentlich Demotismen,
das allerdings zumindest auf den ersten Blick noch immer keinen spezifisch regional-nubischen Spracheharakter
erkennen lässt. Dies ändert sich grundlegend in der folgenden, sich bis etwa zum dritten Jahrhundert erstreckenden
Periode, die wir als spätnapatanisch bezeichnen können, einer Zeit, in welcher mit Ägypten nur mehr ein
sehr beschränkter kultureller Austausch stattfand. Hier treten plötzlich Texte in Erscheinung, die in einer sonst nicht
bekannten Variante des Agyptischen abgefasst sind, welche eindeutig regional beschränkt ist und somit im eigentli-
chen Sinne als D i a 1 e k t gelten kann. Diese Sprachform, die ich verkürzend Napatanisch (statt eigentlich
exakterem “Spätnapatanisch”) nenne, stellt die bislang einzige klar als solche erkennbare regionale Ausprägung des
vorkoptischen Ägyptisch dar. Trotz der schriftlichen Fixierung in Hieroglyphen handelt sich dabei nicht um eine Ent-
wicklung aus dem Neomittelägyptischen, sondern um einen Dialekt des Jüngeren Ägyptisch, der enge Beziehungen
zum in Ägypten zeitgleichen Demotischen aufweist.
Dieses bislang nicht systematisch untersuchte Napatanische bildet den Gegenstand meiner Untersuchung. Sie beruht
auf den drei bedeutendsten Inschriften dieser Zeit, nämlich der Stele des Harsijotef, der Stele des Nastasen und der
Stele des Ari. Daneben existieren eine Reihe besonders fragmentarischer oder aus anderen Gründen unergiebiger
Nebenzeugnisse des Napatanischen, die ich in meine Darstellung nicht einbeziehe (zu diesen Nebenzeugnissen ES3
§ 2.2).
Viele Stellen in den napatanischen Texten sind für den ägyptologischen Betrachter zunächst un- oder missverständ-
lich. Dies liegt teils an einem Wortschatz, der zwar kaum im eigentlichen Sinne dialektspezifisch ist, jedoch einem
sehr jungen sprachgeschichtlichen Zustand des Ägyptischen angehört, wie man ihn in hieroglyphischen Inschriften
nicht erwartet; teils liegt es auch an graphischen Besonderheiten; am meisten aber wird man durch die erheblich vom

1 “Napatanisch” und “meroitisch” werden in diesem Sinne erstmals von Reisner (1923: 34) verwendet, dann in
jüngerer Zeit von Priese (1974: Anm. 2 auf S. 7), Adams (1977: 250-254), O’Connor (1993: 70T) und vielen
anderen.
2 Die eigentliche königliche Residenz wurde aber schon früher, auf jeden Fall vor Harsijotef, also mitten in der
“napatanischen” Periode von Napata nach Meroe verlegt. Zu der vieldiskutierten zeitlichen Festlegung dieses
Ereignisses siehe z.B. Hofmann (1971: 65-73).
 
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