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Peust, Carsten
Das Napatanische: ein ägyptischer Dialekt aus dem Nubien des späten ersten vorchristlichen Jahrtausends ; Texte, Glossar, Grammatik — Göttingen, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.31318#0082

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Ansatz dann von mehreren Nachfolgern ernstgenommen und ausgebaut worden, und so nehmen einige besonders
krasse Beispiele für sprachlichen Omnikomparatismus gerade das Meroitische zum Ausgangspunkt. Winters
(1984) entsehlüsselt das Meroitische auf der Basis des Dravidischen und Tocharischen, Böhm (1988: 147-171)
vergleicht es im Rahmen seiner “indonilotischen” Hypothese mit dem Ural-Altaiischen und weiteren zahlrei-
chen Sprachen Asiens und Afrikas (u.a. Neupersisch, Sumerisch, Daghestan-Sprachen, Zande). Ganz ähnlich,
allerdings offenbar ohne Kenntnis von Böhm, deutet Hummel (1992) das Meroitische auf der Grundlage eines
“protoaltaischen Substrats”; dieses reicht seiner Meinung nach
“vom ural-altaischen Raum über den Kaukasus ([Buruschaski], K’art’weli) bis zu den Basken, über das
gesamte Mittelmeergebiet (Etrusker) und Nordafrika (Berber) bis zu den Kanarischen Inseln, aber auch
ins Sumerische, in den ausgedehnten Raum semitohamitischer Sprachen, ferner über das Türkische und
Mongolische ins Mandschu, über das Tibetische mit seinen Verwandten (Zhang-Zhung, Ch’iang) zu den
Na-Khi und Mo-So, um schließlich bei den Lo-lo und Miao zu versickern.” (Hummel 1992: gf.)

6.2.5 Meroitisch und Nubisch: Erste Indizien für eine genetische Verwandtschaft
Im folgenden plädiere ich dafür, dass eine der unter dem Begriff “Meroitisch” zusammengefassten Sprachen ein
direkter Vorläufer des (Alt-)nubischen ist. Zweifellos ist von einer sprachlichen Kontinuität im nubischen Raum zu-
mindestS*’ von der Zeit des ägyptischen Neuen Reiches bis in die Gegenwart auszugehen:
• Mehrere ägyptische Lehnwörter sind im Meroitischen und im Nubischen, teils noch im Neunubischen, in einer
Lautung belegt, die zeigt, dass sie aus einer ägyptischen Sprachform spätestens des Neuen Reiches stammen
müssen (siehe etwa Hintze 1973b: 332, Vycichl 1993: 334-336, Peust 1999a: § 5.5.4). Die einfachste Schluss-
folgerung hieraus ist die, dass diese Lexeme aus dem Neuägyptischen in eine südlich gelegene Sprache entlehnt
wurden, aus der später in direkter Linie das Meroitische und darauf das Nubische hervorgingen. Das Meroitische
(bzw. eine der unter diesem Begriff zusammengefassten Sprachen) wäre also nichts weiter als eine Frühform des
Nubischen. Wenn man die direkte Entstehung des Nubischen aus dem Meroitischen ablehnt, muss man mindes-
tens einen weiteren Entlehnungsprozess (ins Nubische aus dem Meroitischen oder in beide aus einer dritten
Sprache) annehmen.
• Andererseits scheinen in ägyptischen Texten schon seit der Ramessidenzeit Wörter bezeugt zu sein, die sich aus
dem Nubischen deuten lassen (Hofmann & Tomandl & Zach 1989: 275, Khalil 1988: 73f., Priese 1968).57 Einige
solcher Wörter finden sich auch im Napatanischen, Esf § 14. Daraus sollte man folgern, dass zu den Mutter-
sprachen der Verfasser der napatanischen Texte auch eine Vorform des Nubischen gehörte.
• Mehrere bei klassischen griechischen und lateinischen Autoren gegebene “äthiopische” Namen und Glossen las-
sen sich aus dem Nubischen erklären (SchAfer 1895b; Priese 1976b: 82).
• Auch als Volksname ist “Nubier” schon in der Antike bezeugt. Die Nubier erwähnt erstmals Eratosthenes (3.
Jhdt. v. Chr.), überliefert nur als Zitat bei Strabo, reioypoHjiiKd 17.1.2 (um die Zeitenwende), als N o o ß a 1
(siehe Wenig 1982: 527). Die betreffende Stelle lautet wie folgt (Text nach Eide et al. 1996: 559):
“’Ec, äpioxeptöv 5e xfjq p-ucreoji; xoü NeiXou Noußai KaxoiKoüaiv ev xrj Aißüi], peya e8vo<;, äjto Tfj9 Mepor|<;
äpijäpevoi peypi xräv äyKMvrov, oüy ünoraTTopevoi xoi<; Aiöioyiv, ak'k' i5ia Kaxä nXeiou«; ßaaiXeia; 5iei-
Xrippevoi.”
“Links vom Nilstrom in Libyen wohnen die Nubier, ein großes Volk, beginnend von Meroe bis hin zu den
Nilkrümmungen. Sie sind den Athiopen nicht untergeben, sondern für sich selbst in mehrere Reiche
geteilt.”
Später tauchen die Nubier als Noba in den Ga'az-Inschriften des Ezana von Aksum auf (DS3 Diskussion zu Mdy
in § 20). Daneben kommen auch NoußaSei; vor (für einen Beleg It3? § 6.3). Millet (1996) vermutet eine Bezeich-
nung der Nubier in dem meroitischen Wort nob /nuba/. In ägyptischen Quellen findet sich der Name zwar nicht,
dafür aber im Altnubischen als TOn- tjop (Browne 1996: 2o3) und im Neunubischen, wenn auch nur mehr selten
verwendet, als nob (Vycichl 1978: 359L). Auch der Name der Nobiin (ein Stamm der Nilnubier) wird von dieser
Wurzel abgeleitet sein. Ob der arabische Terminus Nübl “Nubier” aus dem Griechischen oder direkt aus dem
Nubischen übernommen ist, vermag ich nicht zu entscheiden.

56 Die Frage, ob die Nubier in diesem Gebiet seit jeher autochthon sind oder erst zur Zeit des Neuen Reiches in
das Niltal einwanderten, wie es Behrens (1981) und Bechhaus-Gerst (1984/5: n3-n6 und 1996: 37-39)
vermuten, ist für uns nicht von Belang.
57 Daneben werden gewisse in ägyptischen Quellen vom Neuen Reich an belegte afrikanische Personennamen auf
der Basis des Meroitischen — soweit bis jetzt bekannt — gedeutet (Hofmann 1981b).
 
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