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gang ist der, daß man nach Neapel die jeweils bedeutendsten Kräfte aus dem übrigen
Italien beruft; daß sie hier ungestört und fleißig schaffen (die oft wiederkehrende
Behauptung, man habe den fremden Künstlern in Neapel gewöhnlich das Leben so
sauer gemacht, daß sie bald und gern wieder davongegangen seien, ist im allgemeinen
nicht haltbar); daß sie auch einheimische Kräfte bei der Ausführung von meist sehr
umfangreichen Arbeiten heranbilden; daß diese Kräfte aber sich nicht zu selbständigen
Meistern zu entwickeln vermögen, um die herum nun eine neapolitanische eigenartige
Kunst sich hätte entwickeln können. Es versteht sich ja von selbst, daß die jahre-
lange Tätigkeit von großen Meistem auf einem so empfänglichen Boden wie dem
Neapels nicht spurlos vorübergehen kann. Dies geschieht aber nicht in der Weise,
daß sich fremde und heimische Kraft zur Zeugung eines kräftig emporblühenden Neuen
mischen, sondern wir finden gewöhnlich nichts als die oberflächlich nachahmende
Arbeit der heimischen Werkstattgenossen. Nichts Neues, nichts Eigenes, nichts Ent-
wicklungsfähiges, das nun den Anfang zu einer selbständigen Entfaltung neapoli-
tanischer Kunst bilden würde, wohl aber Entartung, oberflächliche Nachahmung, Ver-
zetteln und träges Nachempfinden des schnell in großer Schule Gelernten.
Als gewandte Schüler und Gehilfen von schneller Begabung sind sie zahlreich bei
den großen Arbeiten, die fremde Meister auszuführen haben, beteiligt, und eine der Haupt-
aufgaben des Forschers in Neapel ist es, im Werke jener die Hände dieser herauszufinden.
Allgemein gesprochen besteht der den fremden Meistern zugeführte neapolitanische Be-
standteil meist in einer lebhafteren Note der Farbe und Bewegung, einer äußerlichen, oft
recht geräuschvollen Rhetorik, die bei lässiger Ausführung leicht zu deklamatorischer
Alltäglichkeit herabgleitet. Wohl wird man daher größerer Beweglichkeit, lauterem
Gebaren, kräftigerer Farbe, selten dagegen einer verfeinerten Veredlung oder Ver-
tiefung begegnen. Die liegen dem Neapolitaner nicht. Und so ist zu keiner Zeit von
dieser Stätte unaufhörlichen Genießens der Anstoß zur Entwicklung einer neuen Kunst
ausgegangen, die nur, wie jede andere kulturelle Tätigkeit, einem zähe und nachhaltig
bearbeiteten Boden in langsamer Entwicklung und mühsamer Pflege entspringen kann.
Im 14. Jahrhundert holt Neapel seine Künstler aus Rom und Siena, im 15. Jahr-
hundert aus Mailand, Florenz, Venedig, Spanien. In allen diesen Fällen hat man
bisher zwar deutlich genug die führende Meisterschule nachzuweisen versucht; man
pflegte aber leicht die neapolitanischen Zutaten zu vergessen, und verwickelte sich
so in eigentümliche Widersprüche. Der nirgends zu innerer Verschmelzung gediehene
Neapeler Synkretismus, d. h. das unvermischte Nebeneinander fremder Kunst und
Neapeler ausführenden Handwerks tritt bei allen Gelegenheiten hervor, wo es sich um
die großen Aufträge der fremden Meister handelt. Da nun aber der Neapeler
gewandte Gehilfe ganz ebenso fertig »römisch« wie »sienesisch« oder »toskanisch«
zu malen verstand, so konnte man zum Beispiel die Bilder der Inkoronata bald
als jottesk, bald als sienesisch hinstellen; in den Fresken von Donna Regina die
verschiedenen Schulen Sienas suchen, ohne einer besonderen habhaft zu werden;
in den Wandbildern des Platanenhofes so ziemlich alle norditalienischen Maler-
Rolf s, Geschichte der Malerei Neapels
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gang ist der, daß man nach Neapel die jeweils bedeutendsten Kräfte aus dem übrigen
Italien beruft; daß sie hier ungestört und fleißig schaffen (die oft wiederkehrende
Behauptung, man habe den fremden Künstlern in Neapel gewöhnlich das Leben so
sauer gemacht, daß sie bald und gern wieder davongegangen seien, ist im allgemeinen
nicht haltbar); daß sie auch einheimische Kräfte bei der Ausführung von meist sehr
umfangreichen Arbeiten heranbilden; daß diese Kräfte aber sich nicht zu selbständigen
Meistern zu entwickeln vermögen, um die herum nun eine neapolitanische eigenartige
Kunst sich hätte entwickeln können. Es versteht sich ja von selbst, daß die jahre-
lange Tätigkeit von großen Meistem auf einem so empfänglichen Boden wie dem
Neapels nicht spurlos vorübergehen kann. Dies geschieht aber nicht in der Weise,
daß sich fremde und heimische Kraft zur Zeugung eines kräftig emporblühenden Neuen
mischen, sondern wir finden gewöhnlich nichts als die oberflächlich nachahmende
Arbeit der heimischen Werkstattgenossen. Nichts Neues, nichts Eigenes, nichts Ent-
wicklungsfähiges, das nun den Anfang zu einer selbständigen Entfaltung neapoli-
tanischer Kunst bilden würde, wohl aber Entartung, oberflächliche Nachahmung, Ver-
zetteln und träges Nachempfinden des schnell in großer Schule Gelernten.
Als gewandte Schüler und Gehilfen von schneller Begabung sind sie zahlreich bei
den großen Arbeiten, die fremde Meister auszuführen haben, beteiligt, und eine der Haupt-
aufgaben des Forschers in Neapel ist es, im Werke jener die Hände dieser herauszufinden.
Allgemein gesprochen besteht der den fremden Meistern zugeführte neapolitanische Be-
standteil meist in einer lebhafteren Note der Farbe und Bewegung, einer äußerlichen, oft
recht geräuschvollen Rhetorik, die bei lässiger Ausführung leicht zu deklamatorischer
Alltäglichkeit herabgleitet. Wohl wird man daher größerer Beweglichkeit, lauterem
Gebaren, kräftigerer Farbe, selten dagegen einer verfeinerten Veredlung oder Ver-
tiefung begegnen. Die liegen dem Neapolitaner nicht. Und so ist zu keiner Zeit von
dieser Stätte unaufhörlichen Genießens der Anstoß zur Entwicklung einer neuen Kunst
ausgegangen, die nur, wie jede andere kulturelle Tätigkeit, einem zähe und nachhaltig
bearbeiteten Boden in langsamer Entwicklung und mühsamer Pflege entspringen kann.
Im 14. Jahrhundert holt Neapel seine Künstler aus Rom und Siena, im 15. Jahr-
hundert aus Mailand, Florenz, Venedig, Spanien. In allen diesen Fällen hat man
bisher zwar deutlich genug die führende Meisterschule nachzuweisen versucht; man
pflegte aber leicht die neapolitanischen Zutaten zu vergessen, und verwickelte sich
so in eigentümliche Widersprüche. Der nirgends zu innerer Verschmelzung gediehene
Neapeler Synkretismus, d. h. das unvermischte Nebeneinander fremder Kunst und
Neapeler ausführenden Handwerks tritt bei allen Gelegenheiten hervor, wo es sich um
die großen Aufträge der fremden Meister handelt. Da nun aber der Neapeler
gewandte Gehilfe ganz ebenso fertig »römisch« wie »sienesisch« oder »toskanisch«
zu malen verstand, so konnte man zum Beispiel die Bilder der Inkoronata bald
als jottesk, bald als sienesisch hinstellen; in den Fresken von Donna Regina die
verschiedenen Schulen Sienas suchen, ohne einer besonderen habhaft zu werden;
in den Wandbildern des Platanenhofes so ziemlich alle norditalienischen Maler-
Rolf s, Geschichte der Malerei Neapels
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