23
besser sein können. Sind sie auch arg verstümmelt, so zählen sie doch zu den be-
deutendsten malerischen Werken, die Neapel überhaupt zu bieten vermag (Abb. 2, 3, 4).
Wenn wir diese Gestalten zum Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung
machen, so bemerken wir als Kennzeichen der Kunst Kavallinis die langen schmalen
Augen mit großen Pupillen, die den Gestalten einen selten ernsten und ausdrucks-
vollen Blick geben; schöne runde Stirnen, kurze Oberlippen, breite eiförmige Ohren
mit länglichen Zipfeln, Heiligenscheine mit einfachen Strahlen, Füße mit fast gleich
langen parallel laufenden Zehen, eine mächtige, bauschende Faltengebung. —
Am besten zur Ausmalung geeignet, war die völlig geschlossene Ostwand des
Nonnenkors, zu dem, wie wir sahen, noch das erste Fenster fast ganz hinzugezogen
wurde. Sehen wir zunächst von diesem ab, so zerfällt die Wand in zwei Ge-
schichten von je fünf wagrecht angeordneten Bildern, nämlich der Leidensgeschichte
des Herrn in drei übereinander liegenden Reihen, insgesamt also 15 Bildern, und
der Geschichte der hl. Elisabet von Ungarn in der unteren Reihe von fünf am
meisten verdorbenen Bildern (Fig. 1; die wagrechten Reihen sind mit römischen,
die senkrechten mit arabischen Zahlen bezeichnet). Die einzelnen Bilder sind reich
an Schönheiten. Hervorzuheben ist auf der Auferstehung der am Grabe sitzende
wunderbare Engel mit dem großartigen Schwünge der gewaltigen Flügel, wie er dem
Sinne des Römers besonders gelegen zu haben scheint. Auch die kniende Magdalene,
die mit leidenschaftlicher Bewegung die Hände dem Heilande entgegenstreckt, wie
auch die erhabene Haltung Jesu selber sind Gestalten von einer Größe, die Jotto in
nichts nachsteht. Auf den drei Bildern bei III, 5 ist der erscheinende Heiland im
weißen Gewände dargestellt; der Römer nimmt hier eine malerische Wirkung voraus,
die später Fra Angelico so vortrefflich zur Geltung bringt1) (Abb. 5—10).
Die untere Reihe gibt uns nach der Goldenen Legende die Geschichte der hl.
Elisabet Bild 1 ist bis auf die obere mit reichen palastähnlichen Gebäuden
(Ofener Königsburg?) bedeckte Hälfte verdorben. In dem Palaste selbst sind einzelne
Vorgänge dargestellt. Bild 2 zeigt im oberen Teile in kleinen Figuren einige Szenen
aus der Kinderzeit der Heiligen; im unteren ihre frühe Vermälung mit dem Land-
grafen von Thüringen. Im rechten Bogen der dreifachen luftigen Halle sehen wir
den König und die Königin von Ungarn mit hohen Kronen, im linken eine Schar von
Musikanten. Die Anordnung ist geschickt; und man mag sie mit der ziemlich gleich-
zeitig entstandenen Vermälung Mariens von Jotto in Padua vergleichen, um zu ver-
stehen, wo dieser die Kunst des Aufbaus gelernt hat. Diesem schönen Bilde folgt
1) Selten ist die Darstellung, wie der Heiland vor der Kreuzigung entkleidet wird,
wohl weil der Vorwurf leicht ins Profane fallen konnte. Wie rührend aber begegnet uns
hier der Zug, daß die Mutter dem zum Tode geführten Sohn das Hüftentuch umlegt! In
den 1400 wiederholt Franz von Siena (Francesco di Giorgio; Siena, Akademie) den Vorwurf.
Hier steht aber Maria in schmerzhaftem Gebete dabei. Vielleicht sah der Sienese Kavallinis
Bild in Neapel. Später nimmt dann den Vorwurf Theotokopulos in seinem Altarbilde im
Dome von Toledo (und in München, nach 1584) wieder auf: nun ist aber nur mehr die
Entkleidung übrig geblieben, um die Farbenpracht vielfarbiger Gewänder zu zeigen.
besser sein können. Sind sie auch arg verstümmelt, so zählen sie doch zu den be-
deutendsten malerischen Werken, die Neapel überhaupt zu bieten vermag (Abb. 2, 3, 4).
Wenn wir diese Gestalten zum Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung
machen, so bemerken wir als Kennzeichen der Kunst Kavallinis die langen schmalen
Augen mit großen Pupillen, die den Gestalten einen selten ernsten und ausdrucks-
vollen Blick geben; schöne runde Stirnen, kurze Oberlippen, breite eiförmige Ohren
mit länglichen Zipfeln, Heiligenscheine mit einfachen Strahlen, Füße mit fast gleich
langen parallel laufenden Zehen, eine mächtige, bauschende Faltengebung. —
Am besten zur Ausmalung geeignet, war die völlig geschlossene Ostwand des
Nonnenkors, zu dem, wie wir sahen, noch das erste Fenster fast ganz hinzugezogen
wurde. Sehen wir zunächst von diesem ab, so zerfällt die Wand in zwei Ge-
schichten von je fünf wagrecht angeordneten Bildern, nämlich der Leidensgeschichte
des Herrn in drei übereinander liegenden Reihen, insgesamt also 15 Bildern, und
der Geschichte der hl. Elisabet von Ungarn in der unteren Reihe von fünf am
meisten verdorbenen Bildern (Fig. 1; die wagrechten Reihen sind mit römischen,
die senkrechten mit arabischen Zahlen bezeichnet). Die einzelnen Bilder sind reich
an Schönheiten. Hervorzuheben ist auf der Auferstehung der am Grabe sitzende
wunderbare Engel mit dem großartigen Schwünge der gewaltigen Flügel, wie er dem
Sinne des Römers besonders gelegen zu haben scheint. Auch die kniende Magdalene,
die mit leidenschaftlicher Bewegung die Hände dem Heilande entgegenstreckt, wie
auch die erhabene Haltung Jesu selber sind Gestalten von einer Größe, die Jotto in
nichts nachsteht. Auf den drei Bildern bei III, 5 ist der erscheinende Heiland im
weißen Gewände dargestellt; der Römer nimmt hier eine malerische Wirkung voraus,
die später Fra Angelico so vortrefflich zur Geltung bringt1) (Abb. 5—10).
Die untere Reihe gibt uns nach der Goldenen Legende die Geschichte der hl.
Elisabet Bild 1 ist bis auf die obere mit reichen palastähnlichen Gebäuden
(Ofener Königsburg?) bedeckte Hälfte verdorben. In dem Palaste selbst sind einzelne
Vorgänge dargestellt. Bild 2 zeigt im oberen Teile in kleinen Figuren einige Szenen
aus der Kinderzeit der Heiligen; im unteren ihre frühe Vermälung mit dem Land-
grafen von Thüringen. Im rechten Bogen der dreifachen luftigen Halle sehen wir
den König und die Königin von Ungarn mit hohen Kronen, im linken eine Schar von
Musikanten. Die Anordnung ist geschickt; und man mag sie mit der ziemlich gleich-
zeitig entstandenen Vermälung Mariens von Jotto in Padua vergleichen, um zu ver-
stehen, wo dieser die Kunst des Aufbaus gelernt hat. Diesem schönen Bilde folgt
1) Selten ist die Darstellung, wie der Heiland vor der Kreuzigung entkleidet wird,
wohl weil der Vorwurf leicht ins Profane fallen konnte. Wie rührend aber begegnet uns
hier der Zug, daß die Mutter dem zum Tode geführten Sohn das Hüftentuch umlegt! In
den 1400 wiederholt Franz von Siena (Francesco di Giorgio; Siena, Akademie) den Vorwurf.
Hier steht aber Maria in schmerzhaftem Gebete dabei. Vielleicht sah der Sienese Kavallinis
Bild in Neapel. Später nimmt dann den Vorwurf Theotokopulos in seinem Altarbilde im
Dome von Toledo (und in München, nach 1584) wieder auf: nun ist aber nur mehr die
Entkleidung übrig geblieben, um die Farbenpracht vielfarbiger Gewänder zu zeigen.