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Rolfs, Wilhelm
Geschichte der Malerei Neapels: mit einem Titelbild in Heliogravüre, mit 13 Textfiguren und 138 Abbildungen auf 112 Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.56470#0040
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der Beckenschläger und Bläser vorauseilen (bekannte Gestalten auch auf den Bildern
Jottos), mit scheuer Achtung von mehreren Frauen vor dem Freudenhause empfan-
gen. Darunter sehen wir den toten Jüngling, der zu den Füßen des Präfekten
liegt: Agnes erweckt ihn und geht unversehrt aus den Flammen hervor, zu denen
man sie verurteilt hat Ihr Tod erfolgt schließlich durch den Dolch eines Soldaten,
den er ihr von rückwärts in den Hals stößt, als könne er den Blick der Heiligen
nicht ertragen. Auf dem letzten sichtbaren Bilde erscheint sie der vor dem prächtigen
Kosmatensarge der hl. Agnes liegenden Tochter des Kaisers Konstantin, Konstanze,
der Gründerin von S. Agnese, die schwer am Aussatze leidet Links kniet die Ge-
heilte, und hinter ihr erhebt sich ein prachtvolles Gebäude, ein seltsamer Rundbau
mit zwei Türmen mit Nischen, die mit Standbildern ausgefüllt sind (Abb. 13). Wäre
dieser Teil der Fresken eigenhändig, so würde uns Kavallini, der die Grabkirche der
hl. Konstanza von Augenschein kennen mußte, wohl ein getreueres Abbild davon
gegeben haben, als diesen fantastischen romanischen Rundbau mit zwei flankierenden
Türmen, der keinem Architekten einfallen würde.
Die großartigen Köpfe der Profeten und Apostel dieser Wand gehören ohne
Zweifel demselben Künstler wie auf der Ostwand. Anders dagegen gibt sich der
Meister der beiden Legenden, für den wir eine verschiedene Hand annehmen möchten,
worauf zurückzukommen ist, wenn wir die Prüfung auch der Stirnwandbilder abge-
schlossen haben.
Diese sind von dem denkbar großartigsten Wurfe! Die ganze weite Fläche, die
durch zwei lange gotische Fenster und in der Mitte darüber durch eine Rose1) durch-
brochen ist, bedeckt eine nach Inhalt und Ausführung gleich bedeutende Darstellung
des Jüngsten Gerichtes (Fig. 2). Auch die Wandfläche darunter am Sockel war bemalt,
vermutlich mit ähnlichen Parallelpaaren von Gestalten des alten und neuen Bundes,
wie wir sie an den Seitenwänden fanden. Noch bis zum Jahre 1865 waren die zwei
Halbfiguren der Apostel Andreas und Bartolomäus sichtbar: dann sind sie mit
der gleichen Rücksichtslosigkeit, die in Neapel so viel jahrhundertelang Erhaltenes
auf immer verdirbt, wieder übertüncht worden!
Wir betrachten zuerst die Mittelfläche (I) zwischen den Fenstern, dann die rechte
Seite (II), endlich die linke Seite (III).
Die Auferstehenden des Mittelbildes kommen nicht aus Särgen, sondern werden
noch nach bizantinischer Auffassung von Ungeheuern herausbefördert. Die Posaunen-
stöße von vier mächtigen Engeln erwecken sie; ihnen gegenüber halten vier Heilige,
Joel, Daniel, Malachias und die gerechte Judit mit Krone die Schriftrollen des alten
Bundes. Von ihnen schwebt mit prachtvoll entfalteten Schwingen — den gleichen
wie auf dem Triumfbogen — ein weißer Engel aufwärts, der in bizantinischer Er-
innerung Sonne, Mond und Sterne auf einer gewaltigen (einst blauen, jetzt geschwärzten)
Rolle als Darstellung des Himmelsgewölbes trägt. Mehr noch als bei den anderen
1) Die 1520 eingezogene Holzdecke schneidet sie in der unteren Hälfte, so daß der
ganze obere Teil der Malereien am Giebel verdeckt wird.
 
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