Ich muss fort.
Du wirfst uns also hinaus. Gut, wir wer-
den es uns merken. Und wir werden
uns hüten, Dir je wieder beizustehen, nicht
Erna.
Dem Ernst gönne ich ja nichts. Aber Dich
gönne ich ihm. Mahlzeit.
Fortsetzung folgt
Zur Geschichte des Sturm und
des deutschen Journalismus
Briefe gegen Paul Westheim
Elfter Brief
Wenn man Ihnen vorwirft, dass Sie vor
zehn Jahren sich als unfähiger Kritiker er-
wiesen haben und bis heute ein solcher
geblieben sind, dass Sie den Wechsel Ihrer
Kunstanschauungen, anstatt ihn zu be-
gründen, verschleiert haben, um sich als
Förderer der neuen Kunst aufzuspielen,
dann schreiben Sie allerlei wirres Zeug
von Künstlern, die sich erst entwickeln
müssen, setzen sich in eine klapprige Re-
tourkutsche und bemerken schliesslich:
„Nebenbei, warum entlaufen immer mehr
alle die Künstler, die nicht bloss nur „Sturm-
künstler“ sind, dem Geschäftsbetrieb des
Herrn Walden: Kokoschka, Klee, Feininger,
ganz zu schweigen von den Fällen Marc,
Macke, Essig, Jawlensky, Chagall? Sollte
der Grund der Aufregung vielleicht“ sein,
dass gerade Künstler dieser'* Art immer
mehr Vertrauen zum Kunstblatt zu fassen
scheinen.“
„Nebenbei“ wollen Sie diese Äusserung
getan haben. Was ein Schriftsteller neben-
bei schreibt, gehört nicht zur Hauptsache.
Und so enthielte Ihre Bemerkung nichts
Wesentliches? Sie beginnen mit der Frage,
warum immer mehr alle die Künstler,
die nicht nur oder, wie Sie mit einem
fehlerhaften Pleonasmus schreiben, nur
bloss „Sturmkünstler“ sind, demGeschäfts-
betrieb des Herrn Walden entlaufen. Wenn
Sie nicht von der Art des Schulbuben sein
wollen, der bei einem Puff ruft: „Der Fritz
schlägt mich immer“, dann hätten Sie
den Mund weniger voll nehmen sollen.
Eben scheinen Sie unübersehbare Scharen
Entlaufener anzukündigen, Sie setzen einen
Doppelpunkt, nennen Kokoschka, Klee,
Feininger, und dann fällt Ihnen keiner
mehr ein, der so geartet ist, wie Sie sagen,
und darum entlief. Ich habe nicht ver-
gessen, dass Sie ein halbes Jahr später aufs
Neue von Entlaufenen berichtet haben. Da
Sie mich aber nicht im Zweifel liessen,
dass Ihre zweite Serie auf einer neuen
Kenntnis beruhte, da Sie auch nicht der
Mann sind, der mit solchen Herrlichkeiten
ein halbes Jahr hinterm Berg hält, so sieht
es doch so aus, als seien Sie von der Art
des Schulbuben. Wenn Kokoschka, Klee
und Feininger entlaufen, schreien Sie, dass
„alle Künstler immer mehr entlaufen“.
Oder ich muss glauben, dass Sie auch die-
jenigen zu Ihren Entlaufenen zählen, von
denen es im zweiten Teil Ihrer Neben-
bemerkung heisst: „...ganz zu schweigen
von den Fällen Marc, Macke, Essig, Jaw-
lensky, Chagall? — Ganz zu schweigen?
Wer schweigt? Wer will schweigen? Etwa
Sie? Da Sie grade anfangen, mehr zu
reden, als Sie bis ans Ende Ihres Daseins
verantworten können? Aber selbst wenn
ich Ihnen die Verwendung dieser albernen
Redensart nachsehe, kann ich noch nicht
glauben, dass Sie derjenige sind, der schweigt
oder schweigen will. Wo wäre denn von
Ihnen die Rede? Lassen Sie mich Ihnen
sagen, dass in Ihrem Infinitiv-Nebensatz
nur das Subjekt des Hauptsatzes herrschen
kann. Und also haben Sie verstanden, dass
es Ihre entlaufenen Künstler sind, die von
den Fällen Marc bis Chagall schweigen
wollen. So gewiss Sie aber solches ver-
drehtes Zeug schreiben, so wenig kann ich
glauben, dass Sie es haben behaupten wollen.
Ich muss Ihnen also nicht nur die alberne
Redensart zu Gute halten, sondern obendrein
noch ein Subjekt für Ihren herrenlosen
Satz suchen. Wollen wir aus Ihrem „Neben-
bei“ einen kleinen Satz machen? Viel ist
an dem Wort nicht zu verlieren, und Ihr
Satz bekommt, wenn auch nicht Hand und
Fuss, so doch endlich wenigstens eine
Nase. .Ich, Pa u 1 We st h ei m , frage
nebenbei: warum entlaufen die Künstler
1—3, um ganz zu schweigen von
den Fällen 4—8.“ Ich, Paul Westheim, frage,
um zu schweigen. Ich hätte noch manches
an diesem Satz zu tadeln, aber Ihnen wird
nichts einfallen, das Sie gegen diese Restau-
rierung Ihres verkrüppelten Satzes vor-
bringen könnten. Denn Sie werden noch
148
Du wirfst uns also hinaus. Gut, wir wer-
den es uns merken. Und wir werden
uns hüten, Dir je wieder beizustehen, nicht
Erna.
Dem Ernst gönne ich ja nichts. Aber Dich
gönne ich ihm. Mahlzeit.
Fortsetzung folgt
Zur Geschichte des Sturm und
des deutschen Journalismus
Briefe gegen Paul Westheim
Elfter Brief
Wenn man Ihnen vorwirft, dass Sie vor
zehn Jahren sich als unfähiger Kritiker er-
wiesen haben und bis heute ein solcher
geblieben sind, dass Sie den Wechsel Ihrer
Kunstanschauungen, anstatt ihn zu be-
gründen, verschleiert haben, um sich als
Förderer der neuen Kunst aufzuspielen,
dann schreiben Sie allerlei wirres Zeug
von Künstlern, die sich erst entwickeln
müssen, setzen sich in eine klapprige Re-
tourkutsche und bemerken schliesslich:
„Nebenbei, warum entlaufen immer mehr
alle die Künstler, die nicht bloss nur „Sturm-
künstler“ sind, dem Geschäftsbetrieb des
Herrn Walden: Kokoschka, Klee, Feininger,
ganz zu schweigen von den Fällen Marc,
Macke, Essig, Jawlensky, Chagall? Sollte
der Grund der Aufregung vielleicht“ sein,
dass gerade Künstler dieser'* Art immer
mehr Vertrauen zum Kunstblatt zu fassen
scheinen.“
„Nebenbei“ wollen Sie diese Äusserung
getan haben. Was ein Schriftsteller neben-
bei schreibt, gehört nicht zur Hauptsache.
Und so enthielte Ihre Bemerkung nichts
Wesentliches? Sie beginnen mit der Frage,
warum immer mehr alle die Künstler,
die nicht nur oder, wie Sie mit einem
fehlerhaften Pleonasmus schreiben, nur
bloss „Sturmkünstler“ sind, demGeschäfts-
betrieb des Herrn Walden entlaufen. Wenn
Sie nicht von der Art des Schulbuben sein
wollen, der bei einem Puff ruft: „Der Fritz
schlägt mich immer“, dann hätten Sie
den Mund weniger voll nehmen sollen.
Eben scheinen Sie unübersehbare Scharen
Entlaufener anzukündigen, Sie setzen einen
Doppelpunkt, nennen Kokoschka, Klee,
Feininger, und dann fällt Ihnen keiner
mehr ein, der so geartet ist, wie Sie sagen,
und darum entlief. Ich habe nicht ver-
gessen, dass Sie ein halbes Jahr später aufs
Neue von Entlaufenen berichtet haben. Da
Sie mich aber nicht im Zweifel liessen,
dass Ihre zweite Serie auf einer neuen
Kenntnis beruhte, da Sie auch nicht der
Mann sind, der mit solchen Herrlichkeiten
ein halbes Jahr hinterm Berg hält, so sieht
es doch so aus, als seien Sie von der Art
des Schulbuben. Wenn Kokoschka, Klee
und Feininger entlaufen, schreien Sie, dass
„alle Künstler immer mehr entlaufen“.
Oder ich muss glauben, dass Sie auch die-
jenigen zu Ihren Entlaufenen zählen, von
denen es im zweiten Teil Ihrer Neben-
bemerkung heisst: „...ganz zu schweigen
von den Fällen Marc, Macke, Essig, Jaw-
lensky, Chagall? — Ganz zu schweigen?
Wer schweigt? Wer will schweigen? Etwa
Sie? Da Sie grade anfangen, mehr zu
reden, als Sie bis ans Ende Ihres Daseins
verantworten können? Aber selbst wenn
ich Ihnen die Verwendung dieser albernen
Redensart nachsehe, kann ich noch nicht
glauben, dass Sie derjenige sind, der schweigt
oder schweigen will. Wo wäre denn von
Ihnen die Rede? Lassen Sie mich Ihnen
sagen, dass in Ihrem Infinitiv-Nebensatz
nur das Subjekt des Hauptsatzes herrschen
kann. Und also haben Sie verstanden, dass
es Ihre entlaufenen Künstler sind, die von
den Fällen Marc bis Chagall schweigen
wollen. So gewiss Sie aber solches ver-
drehtes Zeug schreiben, so wenig kann ich
glauben, dass Sie es haben behaupten wollen.
Ich muss Ihnen also nicht nur die alberne
Redensart zu Gute halten, sondern obendrein
noch ein Subjekt für Ihren herrenlosen
Satz suchen. Wollen wir aus Ihrem „Neben-
bei“ einen kleinen Satz machen? Viel ist
an dem Wort nicht zu verlieren, und Ihr
Satz bekommt, wenn auch nicht Hand und
Fuss, so doch endlich wenigstens eine
Nase. .Ich, Pa u 1 We st h ei m , frage
nebenbei: warum entlaufen die Künstler
1—3, um ganz zu schweigen von
den Fällen 4—8.“ Ich, Paul Westheim, frage,
um zu schweigen. Ich hätte noch manches
an diesem Satz zu tadeln, aber Ihnen wird
nichts einfallen, das Sie gegen diese Restau-
rierung Ihres verkrüppelten Satzes vor-
bringen könnten. Denn Sie werden noch
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