legen hofften. Es muss eine von den Federn
gewesen sein, mit denen Sie im Jahr 1913
über die neue Kunst schrieben. Hatten
Sie wirklich damals nichts mehr zu ver-
lieren? Ich kenne einige Kritiker, die schon
vor dem April 1920 Wauer, Bauer, Nell
Walden am liebsten in einem Wort geschrie-
ben hätten. Und es gab eine Zeit, da brüllte
das Chor: Wauer, Bauer und Nell Waldern
Und das Echo wiederholte: Wauer, Bauer,
und Nell Walden, bis keiner mehr wusste,
wer’s zuerst gerufen hatte. Demjenigen,
der sich zum mindesten den geistigen Vater
dieses Triple-Klischees nennen darf, haben
Sie nicht nur die Vaterfreude verdorben,
sondern auch die ganze Redensart in Miss-
kredit gebracht. Sie wollten den Pelion
auf den Ossa häufen, der, wenn ich mich
recht erinnere, schon auf den Olymp ge-
stülpt war. “Und Schwitters“ schrien Sie,
um derjenige zu sein, der bei dem Gebrüll
über den längsten Text verfügte. Was
hilfts, dass Sie sich heute das Haar raufen
und die Stunde verwünschen, in der Sie
sich wieder einmal zu einer Nicht-Aner-
kennung haben hinreissen lassen. Mir ist
freilich nicht bang, dass Sie mit Hilfe Ihrer
Technik aus dem Kummer herausfinden
werden. Denn aus welchem Grund hätten
Sie den Schwitters loben sollen? War er
ein Heiliger? Wenn in dem gleichen Monat
April Herr Adolf Behne ein Merzbild
Schwitters für die National-Galerie empfahl,
was ging Sie das an? Und doch wüsste
ich gern, wie Sie mir eineFrage beantworten.
Wenn Herwarth Walden ein Taugenichts
ist, weil er Schwitters ”bringt”, wie Sie’s
nennen, was halten Sie dann von Adolf
Behne, der eines und desselben Schwitters
grösstes Merzbild gleich in der National-
Galerie sehen möchte? Und ebenso gerne
wüsste ich, wie Herr Behne über Sie ur-
teilt, da Sie Wauer, Bauer und Nell Walden
sozusagen via Behne-Schwitters in die Na-
tional-Galerie hineinfluchen. Wenn Wauer,
Bauer und Nell Walden nach Westheim
dem Schwitters gleich sind, so gehören sie,
wenn man den Behne durch den Westheim
ergänzt, gleichfalls in die National-Galerie.
Das ist die Regeldetri der Kunstkritik und
ein verzwickter Handel. Bei einem subtilen
Ehrgefühl dürften Sie voreinander nicht
einmal die Hüte lüften. Einer kann sich
beim andern allemal im Spiegel sehen.
Aber keiner mag vom andern etwas lernen.
Denn wo sich der eine, der Westheim heisst,
ganz irrt, täuscht sich der andere noch zu
drei Vierteln. Und wenn so einer den
Schwitters für eine Landskraft ersten Ranges
hält, brauchen Sie noch keinen Heiligen in
ihm zu sehen. Da er obendrein weder ein
Denunziant noch ein Selbst-Entlaufener war,
so mochten Sie von seinen Bildern für eine
gute Weile nicht einmal offiziell etwas ver-
stehen. Wenn Ihnen der Kerl erst ein paar
handfeste Differenzen geliefert hat, werden
sich auch seine Bilder bessern. Und sollte
sich zeigen, dass ihn ein Kunsthändler fest
an die Hand nimmt, dann können Sie aus
ihm einen gemachten Mann machen. Bis
dahin setzen Sie sich für Leute ein, die in
den Schwitters vergafft sind. Und damit,
Herr Westheim, bringen Sie den Beweis für
Ihren bösen Willen, — falls noch ein
Sonderling herumlaufen sollte, der dran
zweifelt. Denn man braucht kein Kunst-
schütze zu sein, um zu bemerken, dass
einer die Flinte verkehrt hält. Sie tadeln
sogar den, der ins Schwarze trifft, da Sie
gefälligst die Güte haben werden, mir das
nicht als plumpe und dreiste Unterstellung
zu vermerken. Ich würde gern was prophe-
zeihen, wenn ich nicht glaubte, dass Ihnen
mehr einfallen wird als mir, womit Sie in
ein paar Jahren Ihr neues Urteil über
Schwitters mit dem alten ausbalancieren
können. Aus dem ehemaligen Akrobaten
Kandinsky haben Sie zuletzt einen hoch-
feinen Esoteriker gemacht Der Schwitters
kann es bei Ihnen zu was bringen. Viel-
leicht wird er einmal sagen: Ich erwachte
und war von Westheim gelobt. Und darum
wird es die höchste Zeit, dass wir erfahren,
wie Sie im April 1920 so recht genau über
den Schwitters geurteilt haben. Zwar glaube
ich mich zu erinnern, dass Sie ihn und
seine Konsorten den Fröhlich und Loe gleich-
stellten. Aber wer möchte sich getrauen,
Ihre Äusserungen mit dem gemeinen Ver-
stand auszulegen? Und da ich’s noch ein-
mal lese, bin ich glücklich, mich weder
auf mein ausgezeichnetes Gedächtnis noch
auf den gemeinen Verstand verlassen zu
haben:
„In der Tat, das, was er jetzt bringt: Wauer,
Bauer, Nell Walden, Schwitters ist im Wesen
das gleiche.“
Ich kann mir Einen vorstellen, der Ihnen
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gewesen sein, mit denen Sie im Jahr 1913
über die neue Kunst schrieben. Hatten
Sie wirklich damals nichts mehr zu ver-
lieren? Ich kenne einige Kritiker, die schon
vor dem April 1920 Wauer, Bauer, Nell
Walden am liebsten in einem Wort geschrie-
ben hätten. Und es gab eine Zeit, da brüllte
das Chor: Wauer, Bauer und Nell Waldern
Und das Echo wiederholte: Wauer, Bauer,
und Nell Walden, bis keiner mehr wusste,
wer’s zuerst gerufen hatte. Demjenigen,
der sich zum mindesten den geistigen Vater
dieses Triple-Klischees nennen darf, haben
Sie nicht nur die Vaterfreude verdorben,
sondern auch die ganze Redensart in Miss-
kredit gebracht. Sie wollten den Pelion
auf den Ossa häufen, der, wenn ich mich
recht erinnere, schon auf den Olymp ge-
stülpt war. “Und Schwitters“ schrien Sie,
um derjenige zu sein, der bei dem Gebrüll
über den längsten Text verfügte. Was
hilfts, dass Sie sich heute das Haar raufen
und die Stunde verwünschen, in der Sie
sich wieder einmal zu einer Nicht-Aner-
kennung haben hinreissen lassen. Mir ist
freilich nicht bang, dass Sie mit Hilfe Ihrer
Technik aus dem Kummer herausfinden
werden. Denn aus welchem Grund hätten
Sie den Schwitters loben sollen? War er
ein Heiliger? Wenn in dem gleichen Monat
April Herr Adolf Behne ein Merzbild
Schwitters für die National-Galerie empfahl,
was ging Sie das an? Und doch wüsste
ich gern, wie Sie mir eineFrage beantworten.
Wenn Herwarth Walden ein Taugenichts
ist, weil er Schwitters ”bringt”, wie Sie’s
nennen, was halten Sie dann von Adolf
Behne, der eines und desselben Schwitters
grösstes Merzbild gleich in der National-
Galerie sehen möchte? Und ebenso gerne
wüsste ich, wie Herr Behne über Sie ur-
teilt, da Sie Wauer, Bauer und Nell Walden
sozusagen via Behne-Schwitters in die Na-
tional-Galerie hineinfluchen. Wenn Wauer,
Bauer und Nell Walden nach Westheim
dem Schwitters gleich sind, so gehören sie,
wenn man den Behne durch den Westheim
ergänzt, gleichfalls in die National-Galerie.
Das ist die Regeldetri der Kunstkritik und
ein verzwickter Handel. Bei einem subtilen
Ehrgefühl dürften Sie voreinander nicht
einmal die Hüte lüften. Einer kann sich
beim andern allemal im Spiegel sehen.
Aber keiner mag vom andern etwas lernen.
Denn wo sich der eine, der Westheim heisst,
ganz irrt, täuscht sich der andere noch zu
drei Vierteln. Und wenn so einer den
Schwitters für eine Landskraft ersten Ranges
hält, brauchen Sie noch keinen Heiligen in
ihm zu sehen. Da er obendrein weder ein
Denunziant noch ein Selbst-Entlaufener war,
so mochten Sie von seinen Bildern für eine
gute Weile nicht einmal offiziell etwas ver-
stehen. Wenn Ihnen der Kerl erst ein paar
handfeste Differenzen geliefert hat, werden
sich auch seine Bilder bessern. Und sollte
sich zeigen, dass ihn ein Kunsthändler fest
an die Hand nimmt, dann können Sie aus
ihm einen gemachten Mann machen. Bis
dahin setzen Sie sich für Leute ein, die in
den Schwitters vergafft sind. Und damit,
Herr Westheim, bringen Sie den Beweis für
Ihren bösen Willen, — falls noch ein
Sonderling herumlaufen sollte, der dran
zweifelt. Denn man braucht kein Kunst-
schütze zu sein, um zu bemerken, dass
einer die Flinte verkehrt hält. Sie tadeln
sogar den, der ins Schwarze trifft, da Sie
gefälligst die Güte haben werden, mir das
nicht als plumpe und dreiste Unterstellung
zu vermerken. Ich würde gern was prophe-
zeihen, wenn ich nicht glaubte, dass Ihnen
mehr einfallen wird als mir, womit Sie in
ein paar Jahren Ihr neues Urteil über
Schwitters mit dem alten ausbalancieren
können. Aus dem ehemaligen Akrobaten
Kandinsky haben Sie zuletzt einen hoch-
feinen Esoteriker gemacht Der Schwitters
kann es bei Ihnen zu was bringen. Viel-
leicht wird er einmal sagen: Ich erwachte
und war von Westheim gelobt. Und darum
wird es die höchste Zeit, dass wir erfahren,
wie Sie im April 1920 so recht genau über
den Schwitters geurteilt haben. Zwar glaube
ich mich zu erinnern, dass Sie ihn und
seine Konsorten den Fröhlich und Loe gleich-
stellten. Aber wer möchte sich getrauen,
Ihre Äusserungen mit dem gemeinen Ver-
stand auszulegen? Und da ich’s noch ein-
mal lese, bin ich glücklich, mich weder
auf mein ausgezeichnetes Gedächtnis noch
auf den gemeinen Verstand verlassen zu
haben:
„In der Tat, das, was er jetzt bringt: Wauer,
Bauer, Nell Walden, Schwitters ist im Wesen
das gleiche.“
Ich kann mir Einen vorstellen, der Ihnen
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