Hier werde ich die Wahrheit über den Bol-
schewismus erfahren, auch wenn sie mich
einen Arm kosten sollte. Soviel bin ich be-
reit daranzuwenden. Nach wenigen Minuten
komme ich mir vor wie die gesamte Marok-
kanerschau im Zoologischen Garten. Das
ganze Dorf nebst Kühen, Schweinen und
harmloseren Gänsen hat sich um mich ver-
sammelt. Jede Flucht ist ausgeschlossen. Von
Tätlichkeiten ist vorläufig nichts zu merken,
trotzdem endlich wenigstens einige gefähr-
liche Instrumente bemerkbar sind. Sehr
schlimm scheint es nicht zu werden. Man
wird sich mit der Kravatte und den Schuhen
zufrieden geben, die besonders eindringlich
betrachtet werden. Ein Bauer reicht mir die
Judashand, spricht mich deutsch an. Ehe-
maliger Kriegsgefangener. Er möchte wissen,
wie es dem Lager von Hanau geht. Dieser
menschliche Zug des Bolschewisten rührt mich
sehr. Ich schwärme geradezu von Hanau,
um ihn mir günstig zu stimmen. Sein Blick
zeigt mir, daß er dort ein Glück, ein weib-
liches Glück gefunden hat.
Darüber scheinen auch die Bolschewisten
noch nicht fort zu sein. Der Bauer ladet mich
ein, das Dorf zu besichtigen. Er ist Vor-
sitzender des Sowjets und Bolschewist. Das
ganze Dorf, Menschen und Tiere, folgt uns.
Um auf Zeichen des Führers mir im geeig-
neten Moment den Dolchstoß von hinten zu
geben. Ich betrete die Räume des Sowjets,
ein kleines, ärmliches, aber sehr sauberes
Bauernhaus. Der Vorsitzende öffnet das erste
Zimmer, hier werde ich wohl eingesperrt wer-
den, ich höre schon das Schreien anderer
Unglücklicher. Da liegen etwa dreißig Säug-
linge und ganz kleine Kinder, jedes in einem
primitivem Bettchen auf schneeweißen Laken
mit schneeweißen Decken. Offenbar die Lei-
chentücher für die zu tötenden nichtbolsche-
wistischen Kinder. Eine Bäuerin, in Schwe-
sterntracht verkleidet, gießt aus einem gro-
ßen Eimer eine weiße Flüssigkeit, vermut-
lich Gift, in Flaschen. Der Vorsitzende for-
dert mich auf, die Flüssigkeit zu kosten.
Heroisch, Sokrates, Ende mit Schrecken, tue
ich es. Das Zeug schmeckt wie gute Sahne.
„Hierher bringen die Bäuerinnen ihre Kin-
der, während sie auf dem Felde arbeiten.
Die Kinder werden beaufsichtigt und ernährt.
Als wir das Säuglingsheim eröffneten, trauten
sich nur zwei Bäuerinnen, ihre Kinder her-
zugeben. Heute fehlt uns Raum für vierzig
Kinder.“ Ich bin etwas beschämt, nament-
lich, da ich keine Wirkung des Giftes merke.
Aber jetzt kommt es. Das zweite Zimmer.
An den Wänden Waffen. Kleine Giftflaschen
mit ausdrücklicher Benennung des Giftes und
das Modell eines Flugzeuges. An der Wand
ein buntes Plakat: Herr Chamberlain reißt
den Mund auf, eine bolschewistische Meute
ist im Begriff, auf ihn erbarmungslos zu
schießen. „Das ist das Zimmer der Landes-
verteidigung. Wir bereiten uns auf den Flug-
abwehrkrieg vor. Wir beschäftigen uns mit
Chemie, die wir auch zur Hebung der land-
wirtschaftlichen Produktion verwenden.“ Eine
feine Ausrede für die Erziehung von Gift-
mördern. Wir kommen in das größte Zim-
mer, den Sitzungssaal des Sowjets. Der Vor-
sitzende bittet mich, einer Sitzung beizuwoh-
nen, ich soll Fragen stellen und Fragen be-
antworten.
„Sind alle Sowjetmitglieder Bolschewisten?“
„Außer mir und dem Protokollführer sind
alle parteilos. Von der Dorfgemeinde in öf-
fentlicher Wahl gewählt.“ „Wieso sind ge-
rade die beiden Bolschewisten im Vorstand?“
„Sie sind vom Sowjet in öffentlicher Wahl
gewählt, weil sie das größte Vertrauen im
Dorf haben.“ „Wieviele Mitglieder hat die
bolschewistische Partei in der ganzen Union?“
„600 000 bei einer Einwohnerzahl von 130 Mil-
lionen. Alle übrigen sind parteilos. Jetzt
wünscht man Ihnen einige Fragen zu stel-
len.“ Ein Sowjetmitglied: „Ist es in der Re-
publik Deutschland möglich, daß Ratsmitglie-
der einer Gemeinde arbeiten, so wie ich in
ihrer gewöhnlichen Kleidung und barfuß er-
scheinen.“ Ein anderes Sowjetmitglied: „Müs-
sen in Ihrer Republik auch die Vorstandsmit-
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