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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 12
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Walden, Herwarth: Aus der Zeit für die Zeiten, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0189

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Aus der Zeit für die Zeiten
Herwarth Walden
Drei Wünsche
Im Filmtheater des kleinen Mannes und
der kleinen Frau. Ein Großkapiialist gibt
einem Uebergroßkapitalisten Aktien, die
kleine Sparer bei ihm hinterlegt haben. Er
muß sich flüssig machen, um nebst Familie
weiter filmgemäß auftreten zu können.
Hausjoppe mit Chindullabesatz. Der Ueber-
großkapiialist will ihm das Darlehen nicht
weiter prolongieren und die Deckung der
kleinen Sparer wäre verloren, wenn nicht
die Liebe zu einer blöden, reinen Jungfrau
im weißen, weiten Kleid ihn veranlassen
würde, Gnade für Unrecht ergehen zu lassen.
Dieses Mädchen wünscht nur einen engels-
guten Mann standesamtlich zu lieben. Die
Zeitungen schreiben Artikel über die Großtat
des „Freundes der Kleinkapitalisten“. Die
Jungfrau kann vor so viel Edelmut sich und
ihn nicht lassen und wirft das weiße Kleid
an den Smoking. Mit den bekannten
Folgen. Das alles soll außerdem nach einer
berühmten Novelle verfaßt sein, die vermut-
lich von einem Träger des Schillerpreises
stammt. Die Zähne des Hauptdarstellers
fallen mir schon das zweite Mal auf, sodaß
ich mir beim dritten Mal den Namen des
Zahnkünstlers merken werde.
Alraune
Im Filmtheater des reichen Mannes und der
reichen Frau. Also dämonisch. Der Ver-
fasser soll einen „Namen“ haben. Ein
Wissenschaftler erzeugt faute de mieux auf
physioanalytischem Wege ein Kind weib-
lichen Geschlechts durch Verkuppelung eines
gehenkten Mörders mit einer Dirne. Also
die schlechteste Gesellschaft, die eine gute

Gesellschaft sich gern bieten läßt. Hieraus
ergibt sich Psychologie. Das Mädchen treibt
es beim reiferen Alter gar schlimm. Sie
wendet Parfüm an, setzt einer katholischen
Erzieherin einen evangelischen Maikäfer auf
die Amtslracht, trinkt Sekt und trägt ohne
Scham die feinsten Kleider und den teuersten
Schmuck, den ihr der Wissenschaftler schenkt
und der sich aus psychoanalytischen Gründen
ihr gegenüber als sogenannter leiblicher
Vater ausgibt. Das Mädchen kommt aber
hinter die Schliche des Vaters, der alles in
einem Tagebuch aufgeschrieben hat, um die
Katastrophe für den Autor herbeizuführen.
Das Mädchen beschließt, sich für seine nicht
übliche Erzeugung zu rächen. Wie alte
Herren nun einmal sind, verliebt sich der
Wissenschaftler in die Kleidung und in den
Schmuck, den er seinem Erzeugnis auf-
gehängt hat. Das Mädchen, eingedenk
ihrer unbürgerlichen Herkunft, weist die
Liebesanträge des alten Herren zwar nicht
empört, aber dämonisch kalt zurück. Der
alte Herr erschießt sich wegen der Verhin-
derung, das Mädchen heiratet einen reichen
Lord aus prima Familie. So wird die
Schamlosigkeit der Geburt wieder gut-
gemacht. Die Herren und Damen des
Kurfürstendamms werden leicht erstaunt
sein, was ein deutscher Autor für unsittlich
hält. So etwas haben schon Herrschaften
von ganz anderer Geburt getrieben. Dämonie
stellt man auf dem Film auch durch Zähne
dar. Durch Zähnebiecken.
Der Dämon
Im Moskauer hebräischen Künstlertheater
„Habima".
Das Drama D y b u k soll ein National-
heiligtum sein. Zwei Eltern haben ihre
Kinder einander zur Ehe versprochen. Die
Kinder wollen später nicht. Die Jungfrau

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