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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 6
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Schwitters, Kurt: Pflichtgefühl
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0094

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Pflichtgefühl
Kurt Schwitters
Der Mensch hat es verlernt, was Pflichtge-
fühl ist. Man weiß, daß es die Hingabe des
ganzen Menschen an seine Pflicht, nicht nur
ein vages Gefühl bedeutet. Aber der Mensch
kennt seine Pflicht nicht mehr. Man weiß,
daß man nicht nur Rechte, sondern auch
Pflichten hat, Pflichten durch seine Rechte.
Das Recht der Anderen legt uns Pflichten
auf, wie unser Recht die anderen verpflichtet.
Aber man kennt seine Rechte nicht mehr. Die
neue Zeit ist so kompliziert, daß man sich
nicht mehr auskennt, ohne auf den Grund
der Dinge zurückzugehen. Und so können
wir wieder alles erkennen, auch was dem
Menschen erstes Recht und heiligste Pflicht
ist. Es ist so selbstverständlich, daß ich es
hier fett drucken muß:

DAS ERSTE RECHT DES MENSCHEN IST
SEIN MENSCHENRECHT, und da es das
erste Recht ist, so ist es sein größtes Recht.
Daraus ergibt sich, daß die heiligste Pflicht
des Menschen seine
MENSCHENPFLICHT
ist. Menschenrecht ist das Recht, so zu leben,
wie es eines Menschen würdig ist. Das be-
deutet erstens Recht auf Leben und zweitens
Recht auf Menschenwürde. Daher ist es hei-
ligste Pflicht, den Menschen leben zu lassen
und in seiner Menschenwürde nicht zu krän-
ken. Totschlag und Mord gehören in die
Museen zu den alten Gemälden, sie müssen
tot sein und begraben werden. Es ist die
edelste Tat eines Menschen, selbst seinen
Feinden zu vergeben.
MENSCHEN, SEID MENSCHEN,
MENSCHEN, WERDET MENSCHEN!
Seid würdig, Mensch genannt zu werden,
handelt menschenwürdig.
 
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