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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 8
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Blümner, Rudolf: Kleist-Feier: Dramatischer Entwurf
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0127

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Kleist-Feier
Dramatischer Entwurf
Rudolf Blümner
Vorspiel
33 Bürgermeister stehen um Kleists Grab.
Bürgermeister Nr. 28: Und nicht an-
ders als die verehrten Kollegen Nummer 3,
8, 11, 16, 21 und 25 schließe ich mit dem Ruf:
„In Staub mit allen Feinden Brandenburgs.“
Bürgermeister Nr. 3 zu Nr. 11: Der
Kollege scheint auch nur den Prinzen von
Hornberg zu kennen.
Nummer 11: Homburg, Kollege, nicht
Hornberg. Sie verwechseln das mit dem
Schießen.
Nummer 29: Diese Stätte wird uns ein
Heiligtum bleiben. Der Schuß vom 21. No-
vember 1811 ist nicht umsonst gefallen.
Könnte es heute noch geschehen, daß eine
Eingabe um 20 Louisdor, falls sie den For-
malitäten entspricht, sage und schreibe zwei
Monate in der Kanzlei liegen bleibt, bis sie,
wie beim vorliegenden Toten, den Vermerk
erhält: „Z. d. A., da der p. v. Kleist 21.11.11.
nicht mehr lebt.“ Wir weisen das mit Ent-
rüstung von uns.
Chor der 33: Und erheben flammenden
Protest.
Nummer 29: Auch lebt heute ein an-
deres Geschlecht von Dichtern, das, durch
Sport hinlänglich gestählt, dem Hunger einen
dauerhafteren Widerstand zu leisten in der
Lage ist. (Rufe: Es lebe der Sport!) Lassen
Sie uns darum in dieser Weihestunde ge-
loben, in der Förderung des Sports nimmer
zu ruhen, eingedenk des Spruchs: Mens sana
in corpore sano. (Rufe: „Bravo.“ „Sehr
richtig.“ „Wir geloben es in corpore.“)
Nummer 30: Ich danke den Vorrednern
für ihre klug abgewogenen Worte. Auch ich
schließe mich den Worten des Dichters: In

Staub usw. aus jubelnder Kehle an. Die Ku-
gel vom 21. 11. 1811 hat reife Früchte ge-
tragen. Wie ein Mene Tekel steht sie vor
dem Geiste der schaffenden Geister. Wie eine
Stimme aus dem Grabe ruft sie unseren rin-
genden Poeten zu: Harrt aus, auch eure Zeit
wird kommen. Es war das schönste Vorrecht
des Genies, von seiner Zeit nicht verstanden
zu werden. Die Kugel vom Kleinen Wann-
see hat auch darin Wandel geschaffen. Heute
braucht sich kein Genie zu erschießen. (Rufe:
Bravo!) Die moderne Technik hat Garan-
tien geschaffen, wie sie vor hundert Jahren
kaum geahnt wurden. Jeder darf heute zu
Worte kommen. Wir hören alle.
Nummer 20 zu 21 (leise): Mit Ausnahme
des Genies. Pscht!
Nummer 31: Ist auch ein freimütiges
Wort erlaubt? Schon die Angst, daß wir ein
Genie in den Tod treiben könnten, treibt uns
— (Rufe: Sehr gut!) — treibt uns zur An-
erkennung auf breitester Basis. Aus dem
Leben unseres Volks ist Kleist schlechthin
nicht mehr wegzudenken. Würden wir Kleist
so lieben, wenn er sich nicht erschossen
hätte? Nein, die Kugel vom Kleinen Wannsee
hat uns für immer die Augen geöffnet.
Nummer 32: Auch ich mache mir des
Dichters Wort zu eigen: In Staub und so
weiter. Wahrlich, hier hat ein Poet mit eher-
nem Griffel vorausgeahnt, was heute zur
bitteren Wahrheit geworden ist. Wer das
vermag, der hat den Besten seiner Zeit ge-
nügt. Nehmt alles nur in allem. Und also
braucht heute kein Geist mehr zu verhungern.
Wo fünf satt werden, wird auch ein Sechster
satt. (Ruf: Goldene Worte!)
Nummer 33: Ehe wir uns in den rau-
schenden Festtrubel stürzen, lege ich als letz-
ter, aber Kleists Herzen nicht der letzte (Ruf:
Sehr gut!) namens der Lustbarkeitssteuerbc-
hörde meiner Stadt diesen Kranz nieder.
Wiegt er auch jene 20 Louisdor nicht auf,
die einst durch ein bedauerliches Versehen
dem Dichter nicht mehr zugehen konnten.

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