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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 9
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Walden, Herwarth: Maenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0144

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Maenz
Herwarth Walden
An zwölf Tischen hundert Menschen. Fünfzig
Weitere suchen verzweifelnd Platz Zwei
Kellnerinnen spielen bayrische Derbheit und
stoßen die kleinen und die großen Hellen
durch die Verzweifelten. Die Sitzenden fühlen
sich und lärmen. Berliner Humor. Aber
es ist ernst. Hier versammelt man sich,
um Künstler zu sehen. Und Künstlerinnen.
Guibürgerliches Publikum. Der Kurfürsten-
damm ist nahe. Die Frau Doktor hat sofort
den Hilfsregisseur des Weltkonzerns entdeckt.
Mit wem er wohl sprechen mag. Sicher mit
einer Künstlerin. Mit einer Größe. Das
Gesicht sieht bekannt aus. Die Größe pudert
sich und läßt die Tasche zu Boden fallen.
Das ist die gesuchte Gelegenheit für den
Generaldirektor, die Bekanntschaft der Künst-
lerin zu machen. Man rückt zusammen und der
Hilfsregisseur überlegt bereits die Höhe der
Hypothek, die sich auf die gefallene Tasche
nehmen läßt. Der Kunstmaler am Nebentisch
erklärt einigen reiferen Frauen, daß man jetzt
wieder Christus malen dürfe. Er habe sogar
dafür eine eigenartige Auffassung. Die reife-
ren Damen sind auch für erkennbare Bilder.
Sie haben sich zu Ehren des Künstler-Lokals
nicht nur Bubikopf, sie haben sich auch Bubi-
tracht zugelegt. Drei junge Corpsstudenien
am Nebentisch sind sich über ihre Situation
noch nicht ganz klar. Einerseits wollen sie
Beziehungen anknüpfen, anderseits möchten
sie das Judentum vermeiden, was durch die
neuesten Damenhüte erheblich ersdiwert ist.
Jetzt durchschreitet der weltberühmte Kunst-
Professor im Smoking mit kurzem braunen
Sommerüberzieher die Massen. Er überhört
mit befriedigtem Lächeln seinen Namen
flüstern. Ein junger Buchhalter mit Monokel

und Manuskript harrt auf die Bekanntschaft
eines Redakteurs. Er harrt schon die vierte
Woche. In der äußersten Ecke, von dichten
Rauchwolken dezent verborgen, der Stamm-
tisch der Prominenten. Er wird von einem
besonderen Kellner bedient, dtr zur ewigen
Erinnerung an seine Vorgängerin Lieschen
genannt wird. Andere Historiker behaupten,
daß er den Namen seinem fraulichen Wesen
verdanke. Am Stammtisch haben vorläufig
bis auf Widerruf die Kunstfreunde mit Familie
Platz genommen, die ein Recht auf Prominente
zu haben glauben. Oberhalb des Stamm-
tisches hängen sie bereits im Bilde. Alle.
Theater. Film. Literatur. Alles, wonach
sich die nichtprominente Menschheit sehnt.
Alle Bilder haben Widmungen. Seiner lieben
Frau Maenz. Von Conrad Veidt persönlich.
Ihrer lieben Frau Maenz. Von Fritzi Massary
persönlich. Und in solche Lokale soll man
etwa nicht gehen. Und warten. In der
Erwartung spielen die Kunstfreunde Künstler-
völkchen. Ein junges Mädchen, bleu, offenbar
mit vielen Hellen im Leibe, schwingt sich auf
den Schoß eines dicken Herren mit dickerer
Zigarre. Das Mädchen hat eigentlich dazu
kein Recht. Es ist eine Bakteriologin, wie
ein Fachmann des Lokals mitteilt. Die Frau
Doktor, die den Hilfsregisseur gleich erkannt
hat, macht ihre Sippschaft auf das Phänomen
aufmerksam. Sie erklärt strahlend als Kunst-
kennerin, diese Dame sei der neue große Star
des letzten Operettenwelterfolgs. Die Sipp-
schaft sinkt vor Bewunderung über die Kunst-
kennerschaft des Familienmitgliedes und über
das freizügige Wesen der Diva in sich zu-
sammen. „Siehst Du, Schatz", bemerkt die
Frau Rechtsanwalt, „man trägt doch wieder
bleu. Also brauche ich meins nicht färben zu
lassen.“ Der Rechtsanwalt bestellt schleunigst
ein großes Helles. Ausgleich im Etat und für
das Seelenleben. Der dicke Herr mit der

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