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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 3
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Schwitters, Kurt: Merz
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0053

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Merz
Kurt Schwitters
Merz ist Weltanschauung. Sein Wesen ist
absolute Unbefangenheit, vollständige Unvor-
eingenommenheit. Darauf beruht die Art, im
Sinne von Merz zu schaffen. In keinem Augen-
blick des Schaffens gibt es für den Künstler
Hemmungen, Vorurteile. In jedem Stadium
vor der Vollendung ist das Werk für den
Künstler nur Material für die nächste Stufe
der Gestaltung. Nie ist ein bestimmtes Ziel
erstrebt außer der Konsequenz des Gestaltens
an sich. Das Material ist bestimmt, hat Ge-
setze, hat Vorschriften für den Künstler, das
Ziel nicht. Die Konsequenz beaufsichtigt das
Schaffen. Entscheidend bei Beurteilung der
Qualität eines Werkes ist der Grad der er-
zielten Konsequenz im Schaffen. Ist der Künst-
ler zu größerer Konsequenz fähig, so hat er
auch die Pflicht dazu. Unfähigkeit entschul-
digt nicht, denn ein Mindestmaß von Können
ist für jeden Künstler notwendig. Nach der
inneren Konsequenz seines Kollegen zu arbei-
ten, heißt Imitation. Imitatoren glauben es
ebensogut zu machen, wie das kopierte Ori-
ginal. Nur fehlt ihnen das, worauf es allein
ankommt, das Schöpfertum, die elementare
Kraft, mit der der originelle Künstler schafft.
Das Publikum fürchtet nichts so sehr, wie
elementare Kraft, die es stets wittert. Denn
elementare Kraft kann die Ruhe des Publi-
kums stören. Elementare Kraft pflegt man
gefangen zu setzen oder zu vernichten. „Wohl-
tätig ist des Feuers Kraft, wenn sie der
Mensch bezähmt, bewacht, doch furchtbar
wird die Himmelsmacht, wenn sie der Fessel
sich entrafft, einhertritt auf der eigenen Spur,
die freie Tochter der Natur.“ Darum wurde
Christus gekreuzigt, Galiläi gefoltert. Das
Publikum bewertet den Imitator höher als

das Original, weil es mit feinem Instinkt die
Abwesenheit alles Elementaren erkennt. An
der Kraft der Ablehnung, an der Größe der
Empörung des Publikums erkennt der Künst-
ler die elementare Kraft seiner Werke. An
dem Grade der Zuneigung eines großen Pu-
blikums zu einem Künstler erkennt der Kluge
den Grad der Imitation in den Werken dieses
Künstlers. Der absolute Imitator, der Kit scher,
hat die meisten Freunde beim Publikum, bei
seinen Werken fühlt das große Publikum sich
so heimisch, so zu Hause, so unter sich, es
fühlt sich zufrieden. Statt des Imitators schlägt
es lieber die elementare Kraft tot: „Kreuzige,
kreuzige!“ Doch das ist Täuschung, denn
es kann zwar den Künstler, nicht die Kraft
totschlagen. Elementare Kraft tritt nie ver-
einzelt auf, sie wächst aus der Zeit hier und
da. Schlagt Ihr den Einen tot, so leben
noch Hundert.
Merz ist Konsequenz. Merz bedeutet Bezie-
hungen schaffen, am liebsten zwischen allen
Dingen der Welt.
Uber den Sternen
Schmerzen stolpern meine Tage einer nach
dem andern über Felsen
Wolkenschatten wandern neben mir vertraut
und fremd
Irgendwo in einem Tal scheint der Mond den
Menschen Schlaf Und Trost
Irgendwo auf weichen Hügeln leuchtet Sonne
tausend frohen Blüten
Klart klimmt mein Weg
Wolkenschatten fallen fremd zurück
Klar klimmt mein Weg
Und steilt
Hellhoch
Mein Weg
Kalte Blumen blüht der Schnee in meinen
Bergen

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