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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 18.1927-1928

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Heft 7
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Palasowsky, Edmund: Acht Seligkeiten und Mandelblüten
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https://doi.org/10.11588/diglit.47218#0103

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„Selig sind, die nicht einmal reines Herzens
sind, denn sie sind die wahren Kostenden,
sie sind die echten Reisenden über Tal, über
Gipfel, über das Meer — Fieber ist in ihren
Knochen, der Schlamm, der sprudeln möchte,
wie Blut, es treibt sie der Schlamm, wie ein
Kapitän, denn es schmerzt, was unrein ist und
es entzündet sich was schmerzt. Tick-tack,
tick-tack, zu unterst in allem wohnt das-
selbe, kräuselt sich dasselbe.“
Küsse, Küsse. Ein wirbelnder Wind vom
fernen Weltteile riß ihn mit sich. Vom Süden,
irgendwoher ganz vom Süden.
„Selig sind die Zügellosen, selig die, die
zerbrechen, selig sind die Angreifer, die an-
dern etwas zuleide tun. Was nehmen sie
an? Schmerzen, sie entzünden sie, sie öff-
nen. Es tut weh, was i s t. Greift an mit
Kuß, mit Schönheit, mit steilen Welten.“
Irgendein schwerer Zauber hielt alle Men-
schen im Bann. Man spürte schon, daß es
ihm um ein böses Spiel geht. Doch, wie die
im Stalle eingesperrten Tiere vor dem Erd-
beben, röchelnd und ächzend wühlten sie in
den Bänken, ohne daß sie sagen könnten,
was für eine Gefahr da ist, dessen Annähe-
rung Schleifen in ihnen aufreißt, ihre Kehle
zusclmürt und wie eine undurchsichtige Wolke
aufs Gehirn drückt.
Es konnte schon Pater Gä nichts zurück-
halten. Es jagten ihn unbesonnene Liebe. Sage
das! sage das! neckten sie ihn, sage alles
aus, was Aprikosenbäume, sind, alles, was
Mandelblüten! Blaue Seiden wogten und ein
Südwind wehte, ein Südwind wehte.
„Selig sind, die da unbarmherzig sind, denn
unbarmherzig sind die Bäume und die Trop-
fen, unbarmherzig die verliebten Schöße, die
Nähe, die Ferne, das Entgegenstehen, un-
barmherzig ist das Licht! Die Erinnerung,
die Geburt, das Spiel — unbarmherzig ist
alles, was völlig in uns und um uns herum
ist.“
Plötzlich erhoben sich schwankende Schatten.
Keuchend. Von hier und von dort. Aber es

war nur erst die sechste Seligkeit. Pater Gä
änderte seine Farbe und wurde bläulich.
„Selig sind die Unruhigen, die da wogen,
denn es sind Stürme auf und über der Erde,
fortwährend sich gestaltende Aenderungen,
immer sich ändernde Dauer. Selig sind, die
da unzufrieden in ihren bitteren Hemden;
die Widerstrebenden, die zusammenschlagen
wie Mann und Weib; die Zerlegenden, die
toben und die warmen Kräfte der Natur,
und frei sind, frei, wie die lieben Katastro-
phen, die gleichmäßig schöpfen und verhee-
ren — und tun es wohl.“
Der Tanz der Aprikosenbäume wurde immer
wilder. Es trieb sich ein Wald herum. Jetzt
— vor dem Gesicht der ganzen Gemeinde
— kam ein blühender Mandelbaum durch die
Mauer und durchschnitt die Halle schräg.
Er schwamm langsam gegen die Decke. Es
sickerte von den Bänken bis zur Kanzel das
schwere Winseln. Pater Gä aber hörte gar
nichts von diesem allen. „Sag mich aus!
sag mich aus!“ neckte ihn der Mandelbaum.
„Wovon du also gekomen bist?“ wollte Pa-
ter Gä fragen. „Ich hatte geglaubt, daß du in
mir lebst.“ Ob was geschehen wird? Kann
man diesen strahlenden Strauch ertragen?
„Selig sind die Mutigen, die Freien, die nie
einen Abbruch erleiden, die Irnmeraufpassen-
den, die mit heißem Strombett, die Zertrüm-
mernden, die nie sich verspäten; die sich
vertiefen und sich wälzen — und sich zer-
streuen, daß sie wieder sich begegneten.“ —
Der blühende Mandelstrauch zog langsam
nach der Decke. Er rieb mit einem Zweige
den Papst. Es schien dann, als wenn die
ganze Halle mit einem ungeheueren Dröhnen
entzweikrachte, wie eine Eistafel, — der Geist-
liche mit der Kanzel in die Höhe schwinge,
und die übrigen sänken —- untergingen —
mit ihren stürmenden Flüchen. —• —-
Der Zauber ist gebrochen. Fäuste und hun-
dertfaches rachsüchtiges Krächzen erhob sich
gegen den Priester. Es erdröhnte ein Schuß.
Pater Gä wurde groß, dehnte sich, wie ein

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