Nr. 12 vom 20. März 1932
Beilage der WELTKUNST
DER BIBLIOPHILE
UND
DER GRAPHIKSAMMLER
Werther die Pistolen überreicht“ erwerben zu
können. Auch das früher vermißte Bleistift-
original zu der Lithographie „Goethe auf dem
Totenbett“ von Heinrich Mattaeg findet sich in
der Sammlung.
Nahezu vollständig ist die Reihe der
vom Sammler zusammengebrachten Druck-
werke. Diese Abteilung enthält zunächst die
Gesamtausgaben, die von der Bieler Ausgabe
von 1755 bis zur Ankündigung der nachge-
lassenen Werke durch Cotta vollzählig vor-
handen sind. Mit dem Jahre 1832 schließt
Kippenberg, soweit es sich um eigene Ver-
öffentlichungen Goethes handelt, seine Samm-
lung zeitlich ab. •—• Die Einzelwerke beginnen
mit den „Neuen Liedern“, die 1770 bei Breit-
kopf und Sohn erschienen sind. Die seltensten
Erstdrucke sind hier vorhanden. Der „Brief
Gabriel de Saint-Aubin, Aufführung der „Armide“ in der alten Pariser Oper — „Armide“ dans l’ancienne Salle de l’Opera — „Armide“ in the Opera of Paris
Farbige Zeichnung — Dessin — Drawing, 31:50 cm — Collection: Eremitage, Leningrad
Versteigerung — Vente — Sale: C. G. Boerner, Leipzig, 4. Mai 1932
eine Reihe der seltensten Druckwerke der deut-
schen Literatur.
Die Vielgestaltigkeit von Goethes Beziehun-
gen wird besonders in der Abteilung der Samm-
lung deutlich, die Goethes Veröffentlichungen
in Zeitschriften umfaßt. Als früheste Zeit-
schrift können hier die „Wöchentlichen Nach-
richten und Anmerkungen, die Musik be-
treffend“ genannt werden, deren zweiter Jahr-
gang von 1767 das von Goethe zu Ehren der
Demoiselle Schröter verfertigte Gedicht „Un-
widerstehlich muß die Schöne uns entzücken“'
enthält. Unter den Zeitschriften dürfte
übrigens die größte Rarität ein Exemplar des
„Chaos“ sein. Diese Zeitschrift wurde von
Goethes Schwiegertochter Ottilie in nur
28 Exemplaren, von denen naturgemäß sich
nur ganz wenige erhalten haben, heraus-
gegeben. Das „Chaos“ war
eine Art Geheimjournal
von Ottilies Freunden und
nur wer einen ganzen Tag
in Weimar zugebracht und
irgendeinen literarischen
Beitrag geliefert hatte,
wurde als Mitarbeiter und
als Leser des „Chaos“ in
den Kreis aufgenommen,
während die Zeitschrift
andern Personen nicht ein-
mal gezeigt werden durfte.
Die Namen der Mitarbeiter
wurden verschwiegen, und
zwar zeigen die Beiträge
gar keine Namen oder nur
Chiffern und nur Ottilie
war über die Namen der
Mitarbeiter unterrichtet.
Das Exemplar der Samm-
lung Kippenberg ist des-
halb so besonders reizvoll,
weil in ihm eine große An-
zahl von Beiträgen von
alter Hand namentlich ge-
kennzeichnet sind.
Unter dem Titel „Werke
anderer“ ist auch eine
sonst kaum auffindbare
Seltenheit der Goethe-
Literatur zu finden: „Fünf-
undzwanzig Lieder in
Musik gesetzt von Corona
Schröter“, Weimar 1786.
D ie Goethe->Samrnlung
des Prof. Anton K.ippenberg
des Pastors“ von 1773, natürlich der erste
„Götz“ und selbst „Götter, Helden und Wie-
land“, und ein besonders interessantes Exem-
plar vom „Römischen Carneval“.
Die nicht für den Buchhandel bestimmten
Veröffentlichungen Goethes sind in einer Ab-
teilung „P r i v a t d r u c k e“ vereinigt worden,
die auch die ungemein seltene Dissertation
Goethes „Positiones Juris“ enthält, in einem
Exemplar auf starkem Papier mit dem
Bibliotheksstempel von Goethes Schwager
Schlosser, also sicherlich das Geschenkexemplar
Goethes für den Mann seiner Schwester.
Gerade unter diesen Privatdrucken finden wir
Besondere Abteilungen
umfassen die großen Kreise
„F a u s t“ und „W e r -
t h e r. Kippenberg hat hier
aus allem, was er über die
Figur des Faust vor Goethe
erfassen konnte, ein wahres
Faust-Museum geschaffen.
Ebenso umfassend ist die
Werther-Sammlung, die mit
Handschriften der lebendigen Vorbilder Char-
lotte Buff und Carl Wilhelm Jerusalem be-
ginnt, dessen Selbstmord den Anlaß zum
„Werther“ gab.
Großartig ist die Übersicht, die die Samm-
lung Kippenberg über die Kreise gibt, die die
Person Goethes in näherer und fernerer Weite
umgaben. Handschriften, Druckwerke, Bilder
machen die Familie, das Frankfurt Goethes,
Alt-Weimar und sein Fürstenhaus, die Freunde
und Bekannten lebendig. Am schönsten aber
sind die Originalporträts Goethes mit ihren
Bildern, Büsten und Medaillen. Mit besonderer
Liebe sind Goethe-Silhouetten und Silhouetten
es ist
nicht
etwa
Die Ausstellung der Goethe-Sammlung aus
Besitz von Prof. Anton Kippenberg zu
t.eipzig in der Akademie der Künste
^deutet, daß zum ersten Male in Berlin eine
^hau veranstaltet wird, die das Leben und
ps Werk Goethes in repräsentativer Form
'-fkörpert. Die Goethe-Häuser in Frankfurt
hd Weimar, sowie das Goethe-Schiller-Archiv
>®rgen unendlich mehr
"ige, die von Goethe
'•arnmen und auf Goethe
j)ezUg haben, als in einer
.'Watsammlung je ver¬
trügt werden könnten.
?ber diese Reliquien sind
ihrer überwältigenden
ülle an die Ortschaften
priert, an denen sie auf-
^Wahrt werden. Gewiß
j"rörnt eine Unzahl von
irischen mit Interesse
J'd Andacht durch diese
“°ethestätten, aber es ist
p en den Hütern dieser
°ethemuseen doch
fg lieh gewesen, cvwo.
d 'es, was dem Sinne nach
/'rthin gehört hätte, zu
fassen. Prof. Kippenberg
Der ist es gelungen, ge-
pde den wohl erheblich-
reu dieser membra
fecta außerhalb der
f Seen in seiner Hand zu
Ipeinigen, wie sie im
wndel und auf Auktionen
ftauchten, und vor allem,
es ihm gelang, Nach-
®se aufzuspüren und ver-
lesene Schätze zu heben.
'e drei prachtvoll ausge-
& Steten und vorzüglich
P°rdneten Bände der zwei-
jp Auflage seines großen
aloges, der 1928 er-
[. bienen ist,geben die beste
i.?ersicht über die uner-
ptte Leistung dieses
püimlers und nicht weni-
zeugen sie von dem
ppischen Finderglück, ohne
y’® die Geschlossenheit und
ifhendung dieser Samm-
hg unvorsteibar wäre.
von Kippenberg gesammelten eigen-
p-pdigen Handschriften Goethes be-
uPüen zeitlich geordnet mit einem Blatt aus
jp®m Schulheft Goethes und schließen mit den
phlußversen aus dem „Faust“, dem „Chorus
s pticus“, von dem nur eine einzige Nieder-
sP''ift erhalten ist. Ist es schon fast unvor-
,| eUbar, daß diese heiligen Worte der größten
fischen Dichtung von einem Privatmann ge-
§ t®t werden, so wird der Beschauer der
P'imlung beim Anblick der übrigen Auto-
ff aPhen weiter überrascht. Sie besitzt die
f ginalmanuskripte Goethescher Übersetzun-
n aus Aesop, Corneille und dem „Koran“,
des „Künstlers Morgenlied“, „Edel sei der
Mensch“, die schönste römische Elegie „Froh
empfind ich mich nun auf klassischem Boden
begeistert“, Fragmente aus dem „Götz“, aus
dem „Faust“, Sinngedichte und eine Reihe
herrlicher Briefe. Unter den Briefen ist der
wundervolle erste Brief Goethes an seine
Mutter aus Rom vorhanden, ein entzückendes
Schreiben an Käthchen Schönkopf und Briefe
an Carl August. •— Wenn in letzter Zeit Goethe
als darstellender Künstler mehrfach behandelt
worden ist, so bieten die von Kippenberg ge-
sammelten Handzeichnungen und Radierungen
von Goethes Hand schönes Material zu diesem
Thema. — Die Abteilung der an Goethe ge-
richteten Schreiben enthält wunderbare Briefe
von Schiller, Carl August, Marianne Willemer
und anderen. Mit besonderer Liebe hat Kippen-
berg Originalillustrationen zu Goethes Werken
gesammelt und das wirklich unwahrscheinliche
Glück gehabt, die Originalskizzen von Chodo-
wieckis berühmter Illustration „Wie Lotte
Bücher von außen
h fulich stellte ich beim Betrachten eines
f hladenschaufensters erstaunt fest, daß die
sstg agen lediglich aus Schutzumschlägen be-
(jf den. Vermutlich waren die hineingehören-
f Bücher bereits der Leihbibliothek im
des Ladens eingereiht oder sie sollten
lif nachteiligen Wirkung des Sonnen-
s ausgesetzt sein. Jedenfalls handelte es
f um eine Maßnahme der Sparsamkeit,
h angebrachter Sparsamkeit aber, denn
6 Versammlung leerer Hüllen, ungeschickt
V^nder Atrappen erregte kein Interesse,
p die so wichtige Körperlichkeit des
fs und damit der Anreiz zum Kauf.
Sk '“pichen Bücherfreund durchrieselt nicht
x Gefühl erwartungsvoller Freude, wenn er
vf ehrnen wir den günstigen Fall: mit Geld
en — 'n e'nen Buchladen tritt, um zu
% c‘n und zu kaufen. Da stehen und liegen
J'Ptit ^aPiernen Mittler geistiger Arbeit in
’h f1, Regellosigkeit nebeneinander, bereit,
le Hand genommen, durchblättert, geprüft
eFWorben zu werden. Gerade das zu-
fällige Zusammenstehen von Büchern ver-
schiedener Art, meist am intensivsten bei dem
Stoßtrupp der Neuerscheinungen, erzeugt ein
eigenartiges und kompliziertes Fluidum, das
je nach dem Niveau des Ladens stärker oder
schwächer ist. Es gibt Buchhandlungen genug,
die durch ungeeignete Verkäufer und ungün-
stiges Arrangement so schlecht in Szene ge-
setzt sind, daß dieses Fluidum überhaupt nicht
entsteht, sicher zum Nachteil des Umsatzes.
Es gibt kein Rezept für die Erzeugung dieses
Fluidums. Von der älteren Buchhandlung mit
Spitzwegschen Helldunkeleffekten, die durch
ein reiches und gepflegtes Lager unbegrenztes
Zutrauen und eine Art Jagdfieber erweckt, bis
zum klar gegliederten, hellen Verkaufsraum
des modernen Ladens, der nur ein knappes
Lager unterhält und durch Sachlichkeit zu
werben sucht, gibt es unzählige Möglichkeiten
des Arrangements.
Um auf die oben angeführte Körperlichkeit
des Buches zurückzukommen: nur der ver-
ständnislose Käufer wählt nach einem kurzen
Blick (auf die Superlative der Kritiken, welche
den Schutzumschlag zieren); der wahre
Bücherfreund nimmt das Buch in die Hand,
wie ein Kunstsammler eine Bronze, schaut sich
—• ob er den Verfasser nun kennt oder nicht
— Umschlag, Papier und Druck genau an,
blättert und liest ein bißchen, nimmt, mit einem
Wort, den für ihn so wichtigen ersten Ein-
druck auf, den das Buch auf ihn macht.
Gerade weil diese Zeilen hier im Rahmen eines
Bibliophilenblattes erscheinen, muß ich be-
tonen, daß ich kein Bibliophile bin. Biblio-
philie bedarf besserer finanzieller Funda-
mente und größerer Muße, als ich sie habe,
und bibliophile Neigungen ohne diese Vor-
bedingungen sind eine Disposition zur Klepto-
manie. Ich spreche also vom gewöhnlichen
Buche und seinem Äußeren. Es klingt nun
vielleicht etwas übertrieben, wenn ich sage,
daß der einigermaßen erfahrene Bücherfreund
dem Buche von außen ansieht, welch Geistes
Kind es ist. Format, Einband und Schrifttype,
so ließe sich entgegnen, stehen wohl im
Idealfall, doch bei weitem nicht immer, in un-
mittelbarer Relation zum Inhalt; ein scheuß-
lich aufgemachter Nietzscheband nimmt dem
Text nichts von seinem Wert. (Nun, das tut
er doch, und es soll schon vorgekommen sein.
daß die Inkongruenz von Inhalt und äußerer
Form einen Kauf verhindert hat.) Meine un-
maßgebliche und durch nichts zu beweisende
Ansicht geht dahin, daß der Inhalt eines
Buches im geheimen und unter listiger Aus-
nützung des scheinbar Zufälligen in seinem
Äußeren zu Worte kommt. Ein solides Buch
strömt durch eine unkontrollierbare Kleinig-
keit im Einband und im Druck das Vertrauen
aus, das es verdient. Ein schlechtes Buch
zeigt irgendwo (ich meine nicht den Namen
des Verfassers) seinen Pferdefuß, der es uns
indigniert zurücklegen läßt. Die mißfarbene
Leinwand des Umschlags erweist sich in neun
unter zehn Fällen als Auswirkung eines ge-
ringwertigen, die sympathische Anordnung des
Titelaufdrucks als Zeichen eines guten Textes.
Es sind nur kleine, kaum bemerkbare Hand-
haben, die uns die Körperlichkeit des Buches
bietet; sie sind aber wiederum deutlich genug,
um die aus dem Umgang mit Büchern genähr-
ten Ideenassoziationen entstehen zu lassen,
die sich für Sympathie oder Antipathie ent-
scheiden. Wer ein Buch fünf Minuten lang
von außen betrachtet hat und sich dann noch
nicht über seinen Inhalt im klaren ist, versteht
nichts von Büchern . . . Paradoxie? Nein,
Glaubenssache. Karl Kuber
Beilage der WELTKUNST
DER BIBLIOPHILE
UND
DER GRAPHIKSAMMLER
Werther die Pistolen überreicht“ erwerben zu
können. Auch das früher vermißte Bleistift-
original zu der Lithographie „Goethe auf dem
Totenbett“ von Heinrich Mattaeg findet sich in
der Sammlung.
Nahezu vollständig ist die Reihe der
vom Sammler zusammengebrachten Druck-
werke. Diese Abteilung enthält zunächst die
Gesamtausgaben, die von der Bieler Ausgabe
von 1755 bis zur Ankündigung der nachge-
lassenen Werke durch Cotta vollzählig vor-
handen sind. Mit dem Jahre 1832 schließt
Kippenberg, soweit es sich um eigene Ver-
öffentlichungen Goethes handelt, seine Samm-
lung zeitlich ab. •—• Die Einzelwerke beginnen
mit den „Neuen Liedern“, die 1770 bei Breit-
kopf und Sohn erschienen sind. Die seltensten
Erstdrucke sind hier vorhanden. Der „Brief
Gabriel de Saint-Aubin, Aufführung der „Armide“ in der alten Pariser Oper — „Armide“ dans l’ancienne Salle de l’Opera — „Armide“ in the Opera of Paris
Farbige Zeichnung — Dessin — Drawing, 31:50 cm — Collection: Eremitage, Leningrad
Versteigerung — Vente — Sale: C. G. Boerner, Leipzig, 4. Mai 1932
eine Reihe der seltensten Druckwerke der deut-
schen Literatur.
Die Vielgestaltigkeit von Goethes Beziehun-
gen wird besonders in der Abteilung der Samm-
lung deutlich, die Goethes Veröffentlichungen
in Zeitschriften umfaßt. Als früheste Zeit-
schrift können hier die „Wöchentlichen Nach-
richten und Anmerkungen, die Musik be-
treffend“ genannt werden, deren zweiter Jahr-
gang von 1767 das von Goethe zu Ehren der
Demoiselle Schröter verfertigte Gedicht „Un-
widerstehlich muß die Schöne uns entzücken“'
enthält. Unter den Zeitschriften dürfte
übrigens die größte Rarität ein Exemplar des
„Chaos“ sein. Diese Zeitschrift wurde von
Goethes Schwiegertochter Ottilie in nur
28 Exemplaren, von denen naturgemäß sich
nur ganz wenige erhalten haben, heraus-
gegeben. Das „Chaos“ war
eine Art Geheimjournal
von Ottilies Freunden und
nur wer einen ganzen Tag
in Weimar zugebracht und
irgendeinen literarischen
Beitrag geliefert hatte,
wurde als Mitarbeiter und
als Leser des „Chaos“ in
den Kreis aufgenommen,
während die Zeitschrift
andern Personen nicht ein-
mal gezeigt werden durfte.
Die Namen der Mitarbeiter
wurden verschwiegen, und
zwar zeigen die Beiträge
gar keine Namen oder nur
Chiffern und nur Ottilie
war über die Namen der
Mitarbeiter unterrichtet.
Das Exemplar der Samm-
lung Kippenberg ist des-
halb so besonders reizvoll,
weil in ihm eine große An-
zahl von Beiträgen von
alter Hand namentlich ge-
kennzeichnet sind.
Unter dem Titel „Werke
anderer“ ist auch eine
sonst kaum auffindbare
Seltenheit der Goethe-
Literatur zu finden: „Fünf-
undzwanzig Lieder in
Musik gesetzt von Corona
Schröter“, Weimar 1786.
D ie Goethe->Samrnlung
des Prof. Anton K.ippenberg
des Pastors“ von 1773, natürlich der erste
„Götz“ und selbst „Götter, Helden und Wie-
land“, und ein besonders interessantes Exem-
plar vom „Römischen Carneval“.
Die nicht für den Buchhandel bestimmten
Veröffentlichungen Goethes sind in einer Ab-
teilung „P r i v a t d r u c k e“ vereinigt worden,
die auch die ungemein seltene Dissertation
Goethes „Positiones Juris“ enthält, in einem
Exemplar auf starkem Papier mit dem
Bibliotheksstempel von Goethes Schwager
Schlosser, also sicherlich das Geschenkexemplar
Goethes für den Mann seiner Schwester.
Gerade unter diesen Privatdrucken finden wir
Besondere Abteilungen
umfassen die großen Kreise
„F a u s t“ und „W e r -
t h e r. Kippenberg hat hier
aus allem, was er über die
Figur des Faust vor Goethe
erfassen konnte, ein wahres
Faust-Museum geschaffen.
Ebenso umfassend ist die
Werther-Sammlung, die mit
Handschriften der lebendigen Vorbilder Char-
lotte Buff und Carl Wilhelm Jerusalem be-
ginnt, dessen Selbstmord den Anlaß zum
„Werther“ gab.
Großartig ist die Übersicht, die die Samm-
lung Kippenberg über die Kreise gibt, die die
Person Goethes in näherer und fernerer Weite
umgaben. Handschriften, Druckwerke, Bilder
machen die Familie, das Frankfurt Goethes,
Alt-Weimar und sein Fürstenhaus, die Freunde
und Bekannten lebendig. Am schönsten aber
sind die Originalporträts Goethes mit ihren
Bildern, Büsten und Medaillen. Mit besonderer
Liebe sind Goethe-Silhouetten und Silhouetten
es ist
nicht
etwa
Die Ausstellung der Goethe-Sammlung aus
Besitz von Prof. Anton Kippenberg zu
t.eipzig in der Akademie der Künste
^deutet, daß zum ersten Male in Berlin eine
^hau veranstaltet wird, die das Leben und
ps Werk Goethes in repräsentativer Form
'-fkörpert. Die Goethe-Häuser in Frankfurt
hd Weimar, sowie das Goethe-Schiller-Archiv
>®rgen unendlich mehr
"ige, die von Goethe
'•arnmen und auf Goethe
j)ezUg haben, als in einer
.'Watsammlung je ver¬
trügt werden könnten.
?ber diese Reliquien sind
ihrer überwältigenden
ülle an die Ortschaften
priert, an denen sie auf-
^Wahrt werden. Gewiß
j"rörnt eine Unzahl von
irischen mit Interesse
J'd Andacht durch diese
“°ethestätten, aber es ist
p en den Hütern dieser
°ethemuseen doch
fg lieh gewesen, cvwo.
d 'es, was dem Sinne nach
/'rthin gehört hätte, zu
fassen. Prof. Kippenberg
Der ist es gelungen, ge-
pde den wohl erheblich-
reu dieser membra
fecta außerhalb der
f Seen in seiner Hand zu
Ipeinigen, wie sie im
wndel und auf Auktionen
ftauchten, und vor allem,
es ihm gelang, Nach-
®se aufzuspüren und ver-
lesene Schätze zu heben.
'e drei prachtvoll ausge-
& Steten und vorzüglich
P°rdneten Bände der zwei-
jp Auflage seines großen
aloges, der 1928 er-
[. bienen ist,geben die beste
i.?ersicht über die uner-
ptte Leistung dieses
püimlers und nicht weni-
zeugen sie von dem
ppischen Finderglück, ohne
y’® die Geschlossenheit und
ifhendung dieser Samm-
hg unvorsteibar wäre.
von Kippenberg gesammelten eigen-
p-pdigen Handschriften Goethes be-
uPüen zeitlich geordnet mit einem Blatt aus
jp®m Schulheft Goethes und schließen mit den
phlußversen aus dem „Faust“, dem „Chorus
s pticus“, von dem nur eine einzige Nieder-
sP''ift erhalten ist. Ist es schon fast unvor-
,| eUbar, daß diese heiligen Worte der größten
fischen Dichtung von einem Privatmann ge-
§ t®t werden, so wird der Beschauer der
P'imlung beim Anblick der übrigen Auto-
ff aPhen weiter überrascht. Sie besitzt die
f ginalmanuskripte Goethescher Übersetzun-
n aus Aesop, Corneille und dem „Koran“,
des „Künstlers Morgenlied“, „Edel sei der
Mensch“, die schönste römische Elegie „Froh
empfind ich mich nun auf klassischem Boden
begeistert“, Fragmente aus dem „Götz“, aus
dem „Faust“, Sinngedichte und eine Reihe
herrlicher Briefe. Unter den Briefen ist der
wundervolle erste Brief Goethes an seine
Mutter aus Rom vorhanden, ein entzückendes
Schreiben an Käthchen Schönkopf und Briefe
an Carl August. •— Wenn in letzter Zeit Goethe
als darstellender Künstler mehrfach behandelt
worden ist, so bieten die von Kippenberg ge-
sammelten Handzeichnungen und Radierungen
von Goethes Hand schönes Material zu diesem
Thema. — Die Abteilung der an Goethe ge-
richteten Schreiben enthält wunderbare Briefe
von Schiller, Carl August, Marianne Willemer
und anderen. Mit besonderer Liebe hat Kippen-
berg Originalillustrationen zu Goethes Werken
gesammelt und das wirklich unwahrscheinliche
Glück gehabt, die Originalskizzen von Chodo-
wieckis berühmter Illustration „Wie Lotte
Bücher von außen
h fulich stellte ich beim Betrachten eines
f hladenschaufensters erstaunt fest, daß die
sstg agen lediglich aus Schutzumschlägen be-
(jf den. Vermutlich waren die hineingehören-
f Bücher bereits der Leihbibliothek im
des Ladens eingereiht oder sie sollten
lif nachteiligen Wirkung des Sonnen-
s ausgesetzt sein. Jedenfalls handelte es
f um eine Maßnahme der Sparsamkeit,
h angebrachter Sparsamkeit aber, denn
6 Versammlung leerer Hüllen, ungeschickt
V^nder Atrappen erregte kein Interesse,
p die so wichtige Körperlichkeit des
fs und damit der Anreiz zum Kauf.
Sk '“pichen Bücherfreund durchrieselt nicht
x Gefühl erwartungsvoller Freude, wenn er
vf ehrnen wir den günstigen Fall: mit Geld
en — 'n e'nen Buchladen tritt, um zu
% c‘n und zu kaufen. Da stehen und liegen
J'Ptit ^aPiernen Mittler geistiger Arbeit in
’h f1, Regellosigkeit nebeneinander, bereit,
le Hand genommen, durchblättert, geprüft
eFWorben zu werden. Gerade das zu-
fällige Zusammenstehen von Büchern ver-
schiedener Art, meist am intensivsten bei dem
Stoßtrupp der Neuerscheinungen, erzeugt ein
eigenartiges und kompliziertes Fluidum, das
je nach dem Niveau des Ladens stärker oder
schwächer ist. Es gibt Buchhandlungen genug,
die durch ungeeignete Verkäufer und ungün-
stiges Arrangement so schlecht in Szene ge-
setzt sind, daß dieses Fluidum überhaupt nicht
entsteht, sicher zum Nachteil des Umsatzes.
Es gibt kein Rezept für die Erzeugung dieses
Fluidums. Von der älteren Buchhandlung mit
Spitzwegschen Helldunkeleffekten, die durch
ein reiches und gepflegtes Lager unbegrenztes
Zutrauen und eine Art Jagdfieber erweckt, bis
zum klar gegliederten, hellen Verkaufsraum
des modernen Ladens, der nur ein knappes
Lager unterhält und durch Sachlichkeit zu
werben sucht, gibt es unzählige Möglichkeiten
des Arrangements.
Um auf die oben angeführte Körperlichkeit
des Buches zurückzukommen: nur der ver-
ständnislose Käufer wählt nach einem kurzen
Blick (auf die Superlative der Kritiken, welche
den Schutzumschlag zieren); der wahre
Bücherfreund nimmt das Buch in die Hand,
wie ein Kunstsammler eine Bronze, schaut sich
—• ob er den Verfasser nun kennt oder nicht
— Umschlag, Papier und Druck genau an,
blättert und liest ein bißchen, nimmt, mit einem
Wort, den für ihn so wichtigen ersten Ein-
druck auf, den das Buch auf ihn macht.
Gerade weil diese Zeilen hier im Rahmen eines
Bibliophilenblattes erscheinen, muß ich be-
tonen, daß ich kein Bibliophile bin. Biblio-
philie bedarf besserer finanzieller Funda-
mente und größerer Muße, als ich sie habe,
und bibliophile Neigungen ohne diese Vor-
bedingungen sind eine Disposition zur Klepto-
manie. Ich spreche also vom gewöhnlichen
Buche und seinem Äußeren. Es klingt nun
vielleicht etwas übertrieben, wenn ich sage,
daß der einigermaßen erfahrene Bücherfreund
dem Buche von außen ansieht, welch Geistes
Kind es ist. Format, Einband und Schrifttype,
so ließe sich entgegnen, stehen wohl im
Idealfall, doch bei weitem nicht immer, in un-
mittelbarer Relation zum Inhalt; ein scheuß-
lich aufgemachter Nietzscheband nimmt dem
Text nichts von seinem Wert. (Nun, das tut
er doch, und es soll schon vorgekommen sein.
daß die Inkongruenz von Inhalt und äußerer
Form einen Kauf verhindert hat.) Meine un-
maßgebliche und durch nichts zu beweisende
Ansicht geht dahin, daß der Inhalt eines
Buches im geheimen und unter listiger Aus-
nützung des scheinbar Zufälligen in seinem
Äußeren zu Worte kommt. Ein solides Buch
strömt durch eine unkontrollierbare Kleinig-
keit im Einband und im Druck das Vertrauen
aus, das es verdient. Ein schlechtes Buch
zeigt irgendwo (ich meine nicht den Namen
des Verfassers) seinen Pferdefuß, der es uns
indigniert zurücklegen läßt. Die mißfarbene
Leinwand des Umschlags erweist sich in neun
unter zehn Fällen als Auswirkung eines ge-
ringwertigen, die sympathische Anordnung des
Titelaufdrucks als Zeichen eines guten Textes.
Es sind nur kleine, kaum bemerkbare Hand-
haben, die uns die Körperlichkeit des Buches
bietet; sie sind aber wiederum deutlich genug,
um die aus dem Umgang mit Büchern genähr-
ten Ideenassoziationen entstehen zu lassen,
die sich für Sympathie oder Antipathie ent-
scheiden. Wer ein Buch fünf Minuten lang
von außen betrachtet hat und sich dann noch
nicht über seinen Inhalt im klaren ist, versteht
nichts von Büchern . . . Paradoxie? Nein,
Glaubenssache. Karl Kuber