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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 6.1932

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Nr. 2 (10. Januar)
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!0. JANUAR 1932

VI. JAHRGANG, Nr. 2

D I E


Das INTERNATIONALE ZENTRALORGAN FÜR KUNST / BUCH / ALLE SAMMELGEBIETE UND IHREN MARKT

Erscheint jeden Sonntag im Weltkunst-Verlag, G. m. b. H.,
Berlin W62, Kurfürstenstr. 76-77. Telegramm-Adresse: «Weltkunst Berlin».
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Herausgeber Dr. J. I. von Saxe
Man abonniert beim Verlag, bei der Post oder bei den Buchhändlern.
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Ausland (nur im Umschlag) Mk.5,50; oder: Tschechoslowakei Kc 45; Frank-
reich und Belgien fr. Frs. 35; Holland hfl. 3;25; Schweiz und die nicht ange-
führten Länder sfrs. 7; Übersee $ 1,50; Sammelmappen pro Jahrgang Mk. 4,50

WERTHEIM : DAS BIBLOGRAPHIKON
Berlin w 9, leipziger str. Alte Graphik Seltene Bücher Moderne Kunst

Geselligkeit und Raumgestaltung

Menschen notgedrungen über sehr konkrete
Dinge unterhalten müssen, oder über Politik
— ein Thema, das schon aus Höflichkeit in Ge-
genwart der Damen verboten werden sollte.
Denn der „Salon“, in dem die Dame Politik

Von Herbert Freiherr von Oelsen

machte, mit allem versteckten Zauber charman-
ter Intrige, existiert nicht mehr. Parteipoli-
tische Interessen vor Damen zu erörtern, gibt

„Wie viel in der Welt auf Vortrag an-
kommt, kann man schon daraus sehen, daß
Kaffee aus Weingläsern getrunken ein sehr
elendes Getränk ist; oder Fleisch bei Tische
mit der Schere geschnitten, oder gar, wie ich
es- einmal gesehen habe, Butterbrot mit einem
alten, wiewohl sehr reinen Schermesser ge-
schmiert — wem würde das wohl behagen?“
Lichtenberg

Es gibt einen Begriff „internationaler Ge-
selligkeit“, der seinen Ursprung in den Normen
internationaler Kultur hat. Allgemein gültige
Regeln des menschlichen Verkehrs haben sich
lhl Lauf der Jahrhunderte herauskristallisiert
und sind doch nur ein Paravent geblieben,
wie die Kunst eine große Formensprache ist,
die sich in nationalen Dialekten äußert, so ist
die angenommene Form der Geselligkeit ein
Scheinbares Esperanto, in dem jede Nation
dire eigene Sprache spricht. Die Architektur
hat im Dienst der Geselligkeit ihren repräsen-
tativen Ausdruck in der Raumkunst. Die Ge-
selligkeit dokumentiert ihr Streben nach Re-
präsentation in der Mode. Mode und Raum-
kunst sind die beiden Pole, zwischen denen
der menschliche Verkehr untereinander ein
Lichtband bildet, das je nach den stärkeren
oder schwächeren Dosen der Kultur die
Leuchtkraft der Wachskerzen besitzt oder die
Schreiende Wirkung der Lichtreklame.

Ein Bild ist ohne Rahmen unfertig, wie der
Lahmen die Wirkung des Bildes hebt. Noch
viel stärker sind Form und Art des Zusammen-
seins von Menschen von dem Raum abhängig,
’h dem es stattfindet. Von jeher haben Lebens-
bedingungen und Lebensanforderungen selbst-
Wrständlich. die Ausgestaltung der Räume be-
stimmt, in denen sie ihren Ausdruck suchten,
■''her dieser Einfluß blieb wechselseitig. Schon
uas Möbel selbst mußte dem Anzug des Men-
schen entsprechen oder umgekehrt. Starre Ge-
länder forderten schwere, gradlehnige Stühle.
Das achtzehnte Jahrhundert, das im Anzug
den Menschen selbst zum Schnörkel machte,
hiußte Innenräume schaffen, die diesen Schnör-
kel fortsetzten. Und in der Übertreibung
der Rocaillen des Zimmerschmuckes wuchs
das Toupe der Damen bis in das Groteske —
besonders in der Zeit unmerklichen Überganges
pU einfacheren Linien in der Architektur.
Pas ist naturgemäß immer eine Diskrepanz
■leder Übergangsperiode gewesen, daß der
konservative Sinn des Menschen nicht im-
stande war, die Harmonie seines Äußeren mit
dem Innenraum zu finden. Entweder über-
dauerte der Schnörkel das Toupe — oder um-
gekehrt. Es gibt noch heute, und besonders
p. Frankreich, mehr als genug Räume, deren
eines Louis XV einem Menschen im Frack
eiSentlich den Zutritt verwehren sollte. Aber
gelten hat eine Zeit wie die unsere sich so
?®Wußt bemüht, diese Disharmonie zu be-
dampfen, ja bis zu neuer Disharmonie zu stei-

gern. In dem übertrieben schlichten Innen-
raum, den der moderne Architekt propagiert,
kommt ganz sicher der Mensch in seiner heu-
tigen Kleidung besser zur Geltung. Nur sollte

den Männern ohne Zweifel den Stil der Hände in
den Hosentaschen. Jedenfalls in Europa.
Sicher war die Zeit der Kochbuch- und Dienst-
botengespräche nicht erstrebenswert. Aber


Francois Clouet, Diane de Poitiers
93 : 81 cm — Collection Sir Herbert Cook, Bart.
Ausstellung — Exposition — Exhibition:
Burlington House, London

die Anregung, die ein raffiniertes Interieur der
geschliffenen Unterhaltung gab, dem Raum-
künstler unserer Tage zu denken geben. In
einem fast nackten Zimmer werden sich die

trotzdem hatte ein Makart-Bukett-Milieu, in
dem der Gedankenaustausch sich auf der Linie
des Klatsches bewegte, mehr harmonischen
Stil, als wenn heute in einem Stahlmöbelsalon

Ästhetik getrieben wird. Es fehlt eben seit der
Jahrhundertwende der „Salon“ im eigentlichen
Sinne. Die Dame, die den Ton der Gesellig-
keit bestimmte, und heute bestimmen sollte,
muß doch den Wunsch besitzen, ein Interieur
als Folie zu haben, das sie steigert. Gewiß ist
es unmöglich, sich heute mit kostbaren Kunst-
schätzen zu umgeben, wenigstens in den mei-
sten Fällen. Linien und Farben bleiben aber
auch den bescheidensten Mitteln dienstbar. Und
es gibt ein gewisses konservatives Quantum an
Behaglichkeit, das nicht außer acht gelassen
werden dürfte. England hat es verstanden, sich
dieses gesellschaftliche Rückgrat durch alle
Epochen revolutionärer Änderungen hindurch
zu retten, indem es an bestimmten Gesell-
schaftsformen festhielt, ebenso wie am beque-
men Möbel. Frankreich verbirgt eine gewisse
Hohlheit, ein gewisses Nachlassen der Manie-
ren in seinen Rokokosalons wenigstens hinter
dem gleichbleibenden Esprit seiner Sprache.
Deutschland ist immer geneigt gewesen, Frem-
des anzunehmen. Heute exportiert Amerika
einen Überfluß an Zivilisation hierher, wie sich
das 18. Jahrhundert ein Übermaß an Kultur
aus Frankreich über den Rhein holte. Die fran-
zösischen Geschenke hat Deutschland verarbei-
ten können, mit nachdenklicher Tiefe aus
Epigrammen ein Epos schaffend. Heute ist
das bestimmt viel schwerer und erfordert
schlafwandlerische Sicherheit, wenn aus der
Vertrustung des Milieus ein erträgliches Ver-
hältnis geselliger Menschen entstehen soll, in
dem das Einzelindividuum anregende Geltung
behalten kann. Aus Massenware Spitzen-
leistungen zu bilden ist ebenso paradox wie
unmöglich. Geselligkeit kann wohl eine Abart
des Kollektivismus sein, als Zusammenschluß
Einzelner zu wechselseitiger Steigerung, d. h.
Geselligkeit im besten Sinne. Aber Gesellig-
keit ist niemals Kollektivismus an sich, eben-
sowenig wie massenhafte Reproduktion eines
Kunstwerkes auch nur das geringste mit dem
ideellen Wert dieses Kunstwerkes zu tun hat.
Das Reizvolle und Anregende des Salons ist:
daß er einzig in seiner Art ist. Wenn es
viele gleiche Salons gibt, auch nur in ihrer
Einrichtung, verwischt sich automatisch seine
Bedeutung. Viele gleich schöne Frauen wer-
den höchstens ein Harem, — viele gleich-
gedeckte Tische bilden höchstens ein Restau-
rant, trotzdem man den Wert des Essens
im Rahmen der Geselligkeit niemals unter-
schätzen sollte. Nur kommt es soviel weniger
darauf an, was man ißt, sondern wie man ißt,
wie man den Genuß mit angenehmen Men-
schen in einem harmonischen Raum durch
dieses natürliche Mittel der Nahrungsaufnahme
steigert. Es ist bestimmt nicht der Grund der
Gefahr, sich die Mundwinkel zu durchschnei-
den, wenn man ungern mit Menschen zu-
sammen zu Tisch sitzt, die mit dem Messer
essen. Soweit reicht der Altruismus kaum.
Es ist vielmehr der Sinn für richtige Be-
wegungen, für störende Verbindung des
Stahls mit bestimmten Speisen. — Ein schön
gedeckter Tisch wird den Menschen allmäh-
lich zwingen, unästhetische Gespräche ebenso
zu vermeiden wie unästhetische Gesten. Es ist
sehr bezeichnend, daß man von „guten For-
men“ spricht, daß man denselben Begriff für

J. & S. GOLDSCHMIDT

BRUMMER

VaStaE-Saste. 3-41


Kaäges’sts’. IS

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131 !Msb

NEW-YORK
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