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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 6.1932

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Nr. 34 (21. August)
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2l-AUGUST 1932

VI. JAHRGANG, Nr. 34

D I E


WE
ARToftheWORLD ILLUSTRIERTE

WOCHENSCHRIFT


LMONDEtARIS


ÖAS INTERNATIONALE ZENTRALORGAN FÜR KUNST / BUCH / ALLE SAMMELGEBIETE UND IHREN MARKT

^Scheint jeden Sonntag im Weltkunst-Verlag, G. m. b. H.,
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WERTHEIM- BIBLOGRAPHIKON
•hh. Dr. Hans Wertheim Alte Graphik / Gotik bis Biedermeier Berlin W9, Lennestr. 7. Lützow 4512

im

Von Adolphe

Basler, Paris

Kogan, Terrakotta — Terre cuite

R- de la Fresnaye, Relief. 1910

Drummer

NEW • YORK

INC

, East 57th Street


Steinschneiden mit feinen Schnitten und wagt
sich bis zur Teppichwebkunst. Der seltene
Wert seiner Arbeiten kommt von einer starken
und kostbaren Handwerklichkeit (siehe Ab-
b ildung).
Der Rumäne Brancusi hat die Verwen-
dung geometrischer Formen bis zum äußersten

den plastischen Ausdruck zu einem naiven,
rhythmischen Schema. Die dumpfe Vollkom-
menheit geistloser Modellierer kannte die
Kunst der bewußten Vereinfachung nicht, die
immer der Daseinssinn monumentaler Skulp-
turen war.
Danken wir es nicht Gauguin, daß, indem er
Holz in der Art polynesischer Plastiken behan-
delte, Maillol zu einer Bildnerei angeregt

wurde, deren Formen logisch Und bewußt vom
verwendeten Material hergeleitet sind ? Mit
ihm begann klar und deutlich eine Anti-Rodin-
Richtung. Er, Rodin, hatte das Material nicht
zu meistern gewußt. Sein leidenschaftlicher
Naturalismus wußte nichts von architekto-
nischer Symmterie. Die Körper seiner Bild-

werke sind trunken von Leben und Bewegung
und ihre Schönheit ist viel sinnlicher als ab-
strakt.
Mit M a i 11 o 1 hat sich die Plastik zu einem
neuen, bündigen Stil entwickelt, der auf rhyth-
misch bewegten Proportionen beruht, auf der
Wissenschaft, wiederzugeben und nicht nachzu-
ahmen, mit einem Wort: auf einer subjektiven
Übersetzung der gegebenen Elemente der
Natur. Der Linienfluß der Zeichnung, die Ge-
walt des von Sinnlichkeit zitternden Aufbaus
bei einem Renoir haben Maillol nicht weniger
verführt, als die herbe Strenge archaischer
Bildwerke. Seine „gaia scientia“ hat so ein
abstraktes System von Verhältnissen und
Maßen, vereinigt mit einer animalischen Emp-
findsamkeit. Seine einfachen Körper mit ihren
geschmeidigen und gerundeten Umrissen sind
nicht in einer geometrischen Eleganz erstarrt.
Die Linie wogt mit Leichtigkeit und das
Fleisch zeigt seine Anmut in bewegtestem Ge-
schmack.
Maillol hat, wie Rodin, seit seinen Anfän-
gen einen weltumspannenden Einfluß ausge-
übt. Aber es gab immer gewisse Künstler, die
in seinen Werken nichts anderes sahen als
einen verführerischen Schematismus. Poesie
und Klassizismus, immer nachweisbar bei ihm,
sind ihnen entgangen. Seine Bescheidenheit
ist die eines Figurinen-Kneters, wenn nicht
überhaupt die eines antiken Töpfers. Er hat
wie sie den angeborenen Sinn für edle Propor-
tion und schönen Rhythmus.
Die geistigen Kinder Maillols sind heute
zahlreich. Die ersten Skulpturen des Polen
Nadelmann versetzten die Elite der Pa-
riser Kenner vor etwa zwanzig Jahren in Be-
wunderung. Seine Bemühungen hatten sogar
die Macht, Picasso zu verwirren, diesen ewig
Beunruhigten, den jede Neuheit krank macht.
Das Prinzip der kugelförmigen Lösungen in
den Zeichnungen und Plastiken Nadelmanns
war in der Tat ein Vorläufer der kubistischen
Erfindungen. Dieser geschickte und intelli-
gente Künstler hatte sich den hellenistischen
Formenschatz des zweiten Jahrhunderts ange-
eignet.
Der Russe Moise Kogan ist ebenso intel-
lektuell wie puristisch, aber seine Intelligenz
und sein Wissen um Proportion und archaische
Vereinfachung werden von der Gabe des guten
Handwerkers unterstützt. Er drückt den run-
den Kurven einen rein orientalischen Rhyth-
mus auf. Vielseitig begabt, übt er mit dem-
selben Glück das Arbeiten in Gips wie das

M. Gen. d. Galerie Simon, Paris
Henri Laurens, Torso. 1925

besonders hervorgehoben zu werden: B a r y e ,
Rude und Carpeaux.
*
Die Kunst Rodins war unbestreitbar
revolutionär in ihrem unaufhörlichen Protest
gegen die Starrheit der akademischen Regeln.
Parallel mit den Bestrebungen der Impressio-
nisten in der Malerei weckte er die Wahrheits-
liebe bei den jungen Bildhauern. Sein Oeuvre,
ebenso männlich wie naturnah, mag immerhin
die Verneinung eines Geistes der Monumenta-
lität sein, es ist trotzdem ein treues Abbild des
Lebens, bis in die kleinsten Einzelheiten, wo
die wesentlichen Linien, kraftvoll gezeichnet
in ihrer Gesamtheit, mit überspitzter Sensibi-
lität den wahren Schattenriß des Bildwerks
bilden.
Rodin hat nichts anderes getan, als die
Tendenzen der heutigen Plastik vorausgeahnt.
Schon Lucien Schnegg, der zu früh Ver-
storbene, ersetzte das Ideal des Modellierers
durch das des monumentalen Plastikers.
Die heißblütigste Natur in der Umgebung
Rodins, Bourdelle, hat als erste mit dem
Empfindungsrealismus des Meisters gebrochen.
Seine beredsame Romantik hat ihn von seinen
Anfängen an ins Lager der pathetischen Aus-
drucksform geführt. Er folgte darin dem Bei-
spiel Rudes- Sein ganzer plastischer Wort-
schwall, seine Handschrift, die oberflächlich
und zügellos war, dienten nur der Vision einer
Kolossalplastik.
Joseph Bernard gesellte sich zu Bour-
delle, keineswegs wegen seines Temperaments,
aber wegen seines Geschmacks, der die Un-
tadelhaftigkeit und Eleganz der Formen liebte.
Dennoch, seine Zeichnung ist dürftiger, sein
Pröportionsgefühl gekünstelt, sein Raumge-
fühl hat weniger Weite und seine Kunst zeich-
net sich eigentlich nur durch ihre feine An-
mut aus.

*
Seltsamer Widerspruch unserer Zeit! Die
Bildhauer, die nach den Gesetzen der Archi-
tektur konstruieren wollten, haben nichts er-
reicht als dekorative Verzierungen. Der Natu-
ralismus vermochte es, den Monumental-
charakter der Bildnerei zu ändern, dank der
Entartung der Baukunst. Aber, wie auch der
Modelleur seinen Ton behandelt, wie der Maler
seine Farbe reibt: Primitivität oder Kraft des
Genies muß das Können des Praktikers er-
gänzen. Hier ruht das ganze Geheimnis
Rodins, hier auch das Geheimnis D e s p i a u s.
Das Empfindungsvermögen, und nur dies
allein, beherrscht bei diesem letzteren den
ganzen inneren Aufbau, einen Aufbau, der
Schmuckwerk verschmäht und Pläne hervor-
bringt, die das Licht erst ganz erstrahlen
lassen und die trotzdem ebensoviel Nüchtern-
heit wie Logik in sich tragen. Die Form ent-
wickelt sich lebendig und vereinfacht, und die
Frische der Modellierung bestätigt sich in sub-
tilen Übergängen.
Jane P o u p e 1 e t kommt Despiau durch die
Ernsthaftigkeit ihres Talents nahe. Ihre Kunst,
zurückhaltend und gesammelt, ist einfach und
tief empfunden. Ihre Aktstudien sind beschei-
den im Aufbau, aber überzeugend. Noch mehr
jedoch kommt ihre Begabung in ihren Tier¬

plastiken zum Ausdruck (Abbildung
Seite 2). Sehr unterschiedlich von ihr ist ein
anderer Tierplastiker, Francois Pompon,
der aus jedem seiner Tiere eine pikante Sache
zu machen versteht. Seine Sparsamkeit
Detail ist die Eigenart dekorativer Plastik.
*
Gauguin war der erste, der von der un-
geheueren und abstrakten Schönheit ozeani-
scher Skulpturen ergriffen wurde; er ordnete

Betrachtungen zur
französischen Bildhauerei von heute


"’erk, die dekorative Kunst und die künst-
’J'e Industrie versinken in Not, in Pathos
v erschwommenhei t! “
selbst hatte nicht das Glück, in einer
Ag zu leben, die von den schönen Tradi-
Jk der Bildnerei zehren konnte. Man hatte
1$^ Erinnerung an die große Kunst der
verloren, an die Kunst von Michel
v&et e> von Jean Goujon, Germain Pilon, Le
(Jejp1 und Clodion, an die letzten Meister des
s im XVIII. Jahrhundert: Houdon und
' v °x-
den vielen Namen, die nach der land-
'k |U Meinung die moderne Bildnerkunst
0(lin kennzeichnen, verdienen nur drei es,

Es ist ziemlich schwierig, heute von einer
]L entarteten Kunst zu sprechen, wie es die
udhauerei ist. Was wird von dieser ver-
feinerten Produktion, die in Bronze gegossen
in Stein gemeißelt ist, in die Zukunft ge-
fßen werden? „Es ist zu Ende mit der ge-
(, Men Vernunft“, rief Rodin aus, „der gute
:.'Schmack ist verdorben, weil die zweifelhafte
r| Ziehung dieses Geschmacks von den Aka-
L*hien kommt, diesen Tempeln und Hoch-
f; ,?en der Kunst, wo der alte, klassische
ausgemerzt und verfälscht wird, durch
e Lehrer eines neuen Gesetzes. Das Kunst-





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