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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 6.1932

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Nr. 46 (13. November)
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2

DIE WELTKUNST

Jahrg. VI, Nr. 46 vom 13. November 19^

ZUM PRO


LEM DER AUKTION

VON Dr. GRETE RING

Die augenblickliche Schichtung der Gesell-
schaft, vielmehr dessen, was als Reste einer
Gesellschaft kenntlich blieb, bringt es mit sich,
daß die mit .Herstellung und Vertrieb soge-
nannter angenehmer Überflüssigkeiten des
Lebens Beschäftigten — ich rede von den
Künstlern und Händlern bildender Kunst •—
die Grundlagen ihrer Existenz insonderheit er-
schüttert finden. Weit entfernt, die Gründe
für diese schmerzlich fühlbare Gegebenheit,
wie es der Gerechtigkeit entspräche, in einem
komplizierten Zusammenwirken zu suchen, ge-
mischt aus zeitlicher Unbill und einer selt-
samen Unfähigkeit oder Unwilligkeit beider
Berufsarten, sich auch nur versuchsweise auf
die Sonderart eben dieser Zeit ein- und umzu-
stellen, schreiben die Betroffenen das Ganze
der Schuld den unglückseligen Gestirnen zu.
Und wie bei allem Übel von heut wird dem
Staat die Aufgabe zugeschoben, als deus ex
machina Besserung zu schaffen, zunächst ein-
mal durch das Allheilmittel von ein paar
neuen Gesetzen und Verordnungen.
Bei der Künstlerschaft sind die Bestrebun-
gen, hier unter Hintansetzung der primitivsten
Begriffe von Künstlertum und künstlerischem
Schaffen, ein neues Sozialrentnertum in die
Welt zu setzen, in voller Fahrt; eine wichtige
Etappe auf dem Wege sollte die Urheber-
schutzgesetzreform geben, die sich derweil —
jedenfalls in ihrer Anwendung auf die bildende
Kunst — als ein so lebens- und weltfremdes,
dabei versehentlich so im Tiefsten unsoziales
Gebilde erwiesen hat, daß die Kunstliebenden
der verschiedensten Lager und Interessen-
sphären sich in seiner Bekämpfung vereinen
konnten — darüber wird an dieser Stelle noch
einmal im einzelnen zu reden sein.
Doch auch die Händlerschaft, bisher in der
Mehrzahl ihrer Vertreter behördlicher Rege-
lung nicht geradezu leidenschaftlich zugetan,
erwartet nun ihr Heil von oben. Auch sie
kommt mit Kampfansage, mit Reformvor-
schlägen, und zwar gelten diese zur Zeit im
besonderen der Auktionsgesetzgebung bzw.
deren neuer Handhabung. Um die Dinge zu-


Strozzi, Johannes d. T. als Knabe
92:62 cm — Kat. 2060, Nr. 112
Versteigerung — Vente — Sale:
Rudolph Lepke, Berlin, 22. November 1932

nächst beim rechten Namen zu nennen: Die
Schar der freien Handel Treibenden, schwer
um ihre Existenz kämpfend, sieht um sich
herum das Auktionsgewerbe nicht gerade
blühen, immerhin noch bestehen, hie und da
sogar leise Erfolge aufweisen. Sie glaubt zu
beobachten, wie sich langsam wieder eine
Schicht von Kunstinteressierten, ja von

Inhalt Nr. 46

Dr. F. N eugas s , Paris :
Goethe-Ausstellung in Paris. 1
Dr. Grete Bing:
Zum Problem der Auktion. 2
Anhalt im 30 jährigen Krieg (mit Abb.) ... 3
Ausstellungen (mit 3 Abb.). 3
Werner Scholz — Moderne Kunst — Welt-
anschauung und Glaube
Auktionsvorberichte (mit 4 Abb.). 3
Kupferstich-Auktion bei Boerner 3,4
Preisberichte — Rundfunk . ... 4
A u k t i o n s k a 1 e n d e r. 5
Nachrichten von Überall (m. 2 Abb.) 6
A p r o p o s : Geltungstrieb. 6

Abbildungen:
Jan von Goyen: Seestück.1
Strozzi: Johannes d. T. als Knabe.2
M. Slevogt: Stilleben mit Hummer.2
Schreibsekretär Louis XVI .2
Gustav Adolf von Schweden.3
W. Scholz: Die Novize . ;.3
Anatoliseher Seidenteppich.4
Apollo, Griech.6
Schwäbischer Meister: Brautpaar ... .6

„Kunden“ heranbildet, die vorläufig auf das
Auktionskaufen beschränkt zu bleiben scheint.
Sie folgert weiter: ohne die Auktionen würden
diese neuen Käuferkreise automatisch dem
freien Handel zufließen — ergo, da die Auk-
tion nicht verboten werden kann, mag sie zum
mindesten erschwert werden bis an die Gren-

stellungen: Die Auktion ist notwendig als
Ventil zur schnellen Verwertung von Kunst-
gut, das ihre Besitzer nicht mehr zu halten
vermögen; sie erweist sinnfällig, daß der
Kunsthandel nicht mit rein imaginären Wer-
ten operiert, sondern daß das Kunstwerk im
Notfall zu einem bestimmten „Kurs“ wirklich


Max Slevogt, Stilleben, mit Hummer
73,5:93,5 cm — Coll. Max Böhm. Berlin— Kat. 2058, Nr. 78
Versteigerung — Vente — Sale:
Rudolph Lepke, Berlin, 22. November 1932

zen des Möglichen. In dem Suchen nach Kom-
plikationen wird etwa vorgeschlagen, dem
Auktionator die volle Haftung für die zu ver-
steigernden Gegenstände zuzuschieben, es soll
aus den bestehenden Gesetzen herausgelesen
werden, daß der Auktionator nicht gleichzeitig
das Gewerbe des freien Händlers betreiben
dürfe usw. usw. All diese neuartigen Forde-
rungen werden aus den Auktionsübungen und
-erfahrungen des Auslandes belegt.
Dazu seien einige kurze Bemerkungen er-
laubt. In Holland wie in der Schweiz ist der
Beruf des Auktionators ein außerordentlich
freier, die Versteigerer übernehmen keine ge-
setzliche, nur eine ihrem Ansehen ent-
sprechende gewissermaßen moralische Haf-
tung, es sind gleichzeitig bedeutende, in
manchen Fällen die bedeutendsten Vertreter
des Kunsthandels in ihren Ländern — ich
denke etwa an das Beispiel Muller-Mensing in
Amsterdam. In England konzentriert sich das
Kunstauktionswesen auf zwei große Londoner
Häuser, neben denen alles andere sekundäre
Bedeutung hat. Diese lehnen nicht nur jede
Garantie ab, sie warnen die Käufer geradezu,
sich auf ihre Angaben zu verlassen, mit dem
berühmten Christies-Satz: „Messrs. Christies
Manson & Woods not being responsible for
the correct description, genuineness or authen-
ticity of or any fault or defect in any lot and
making no warranty whatever.“ Das englische
Gesetz überläßt es auch dem Auktionator, mit
Einzelobjekten nach Belieben frei zu handeln;
trotz alledem haben sich die beiden englischen
Standardfirmen, Christies und Sothebys, seit
1766 bzw. 1744 unter der Achtung der ganzen
kunstinteressierten Welt vortrefflich gehalten.
In Frankreich ist das Versteigerungswesen
staatlich geregelt; die Funktionen des Auktio-
nators, in den anderen Ländern in einer Hand
vereint, verteilen sich hier auf zwei Instanzen:
den Vertreter des Staates, den commissaire-
priseur, einen notariellen Beamten, der den
Zuschlag erteilt und der Behörde gegenüber
für gesetzliche Rechnungslegung, Abgabe der
verschiedenen staatlichen Gebühren usw. usw.
verantwortlich ist, und die eigentlichen Veran-
stalter der Auktion, die experts, die sich aus
den angesehenen Vertretern des freien Handels
rekrutieren. Diese experts übernehmen für
eine gewisse Zeit die auch geldmäßige Haftung
für die Richtigkeit ihrer Angaben, Beschrei-
bungen usw., was ihnen insofern nicht zu
schwer ankommt, als sie ja selbst wiederum
die höchste Instanz für die Beurteilung der
von ihnen zur Versteigerung gebrachten
Gegenstände darstellen — jeder Expert selbst-
verständlich nur auf seinem Gebiet, bei sehr
sorgsam geschichteter und differenzierter Spe-
zialisierung. Eine über dem Handel stehende,
sozusagen zweite Instanz, wie sie bei uns etwa
der Museumsfachmann darstellt, kennt das
Pariser Auktionswesen nicht.
Deutschland, das uns in diesem Zusammen-
hang am Ende am meisten, wenn nicht aus-
schließlich angeht, hat von all diesen Ländern
wohl die kürzeste Tradition auf dem Kunstver-
steigerungsgebiet. Die Verhältnisse liegen
hier besonders kompliziert auch dadurch, daß
keine gesetzlichen Sonderbestimmungen die
Kunstauktion etwa von der Versteigerung von
Mastvieh, von Häuten und Fellen u. dgl.
scheiden. Der Ruf nach einer Neuregelung
mag daher bei uns nicht ohne Berechtigung
sein; daß er zur Zeit besonders laut erschallt,
hat seinen Grund jedoch gewiß in den oben-
angedeuteten Gedankengängen, denen die Lo-
gik der Notwehr nicht abzusprechen wäre,
wenn ihre Verwirklichung nur entfernt ge-
eignet schiene, den ersehnten Erfolg zu brin-
gen. Ich komme hier auf elementarste Fest-

realisierbar ist. In oder nach Krisenzeiten ist
daher die Auktion ein besonders wertvolles
und subtil zu behandelndes Instrument. Sie
allein ist in der Lage, dem eventuell neu auf-
tauchenden Interessenten, der naturgemäß
ohne die Vorkenntnisse und Erfahrungen der
alten ausgeschiedenen Schicht beginnen muß,
etwas wie Vertrauen und einen sicheren Maß-
stab zu geben; sie liefert zugleich die ständige
Kontrolle dafür, daß das, womit er sich zu be-
schäftigen beginnt, auch wirtschaftlich seines
neugeschaffenen Glaubens wert ist. Die Auk-
tion muß die nach der Krise herrschende Un-
sicherheit über den jeweiligen Marktwert des
einzelnen Gegenstandes beheben, indem sie
eine neue Preisbasis festsetzt. Erst wenn all
dies geschehen, wenn der Zufallsinteressent
zum Sammler geworden ist, der auf dem neuen
Terrain sicher zu marschieren glaubt, wird er


Schreibsekretär Louis XVI
Rheinisch, um 1780 — H. 150 cm — Kat. Nr. 148
Versteigerung — Vente — Sale :
Internationales Kunst- und Auktionshaus
Berlin, 19. November 1932

sich von selbst dem freien Handel zuwenden.
Es liegt jedoch in der Struktur des freien
Handels, auch des tüchtigsten und gediegen-
sten, daß er nicht imstande ist, weitere Kreise
in dieser Art neu als Kunstkäufer zu werben;
ohne die Auktion würden diese Schichten dem
Sammlerwesen mit Sicherheit völlig verloren
gehen.
Wir wollen ja auch, werden die Auktions-
reformatoren sagen, nicht die Institution als
solche abschaffen, wir wollen ihr nur die
Schönheitsfehler nehmen. Daher die oben-
genannte und eine stattliche Liste weiterer

Forderungen. Um Mißverständnisse auszd'
schließen, sei vorausgeschickt, daß diese Miß'
stände bestehen, daß ihr Ausmerzen in d®r
Tat wichtig und im allgemeinen Interesse er'
forderlich wäre. Die Hausauktion hat zU
schwersten Umgehungen aller Auktionsgrund'
gesetze geführt, die Bestimmung, daß de1
Auktionator keine eigene Ware versteige!11
darf — meines Erachtens die Grundlage jede!
sauberen Auktionstätigkeit — sollte mit weh
subtilerem Gewissen durchgeführt werden, ja’
sie müßte, wie mir scheint, auch auf vom Vei'
Steigerer beliehene Gegenstände ausgedehnt
werden. Eine insonderheit schwierige und viel'
deutige Frage ist die der Garantie. Deutsch'
land stellt sich hier zwischen die englische
und französische Übung, indem der deutsche
Versteigerer sich einerseits bemüht, die Be'
Schreibungen und Bestimmungen seiner Kata'
löge nach bestem Gewissen mit aller Sorgsam-
keit durchzuführen, vielfach unter Hinzu-
ziehung der maßgebenden Autoritäten außer-
halb des Handels, andrerseits die geldliche
Haftung ablehnt. Dies Gebiet sei eingehender
Sonderbehandlung vorbehalten; nur so viel
mag schon jetzt angedeutet werden: Es ist zu-
nächst die grundsätzliche Vorfrage, wofür der
Versteigerer die Garantie übernehmen soll ?
Für jede Schwankung und Nuance kunst-
geschichtlicher Bestimmung, jede neueste und
neue Errungenschaft der Forschung, oder für
die einfache Alternative: echt oder falsch?
Mir scheint überhaupt nur die letzte Möglich-
keit diskutabel; nach diesem Gesichtspunkt
haben denn auch angesehene Auktionshäuser
in Deutschland Stücke, die sich nach der Ver-
steigerung als unecht — d. h. als Fälschungen
im wirklichen Sinne des Wortes — erwiesen,
ohne gesetzliche Verpflichtung in mehreren
Fällen zurückgenommen. In Parenthese: Es
müßten auch völlig verschiedene Gesichts-
punkte aufgestellt werden für die Katalogisie-
rung bzw. Garantierung bei den Erzeugnissen
alter und denen neuerer Kunst. So vorbildlich
der Typus des deutschen Katalogs auf dem
Gebiet der alten Kunst erscheint, so kritisier-
bar ist er allerdings auf dem der Kunst des
neunzehnten Jahrhunderts — ich denke gerade
an die Taten von angesehenen, dem Handel
nicht angehörenden Kunstschreibenden auf
diesem Gebiet. Hier wäre eine Oberkontrolle
des sachverständigen Handels nach dem Vor-
bild der französischen Experten in Wahrheit
auch bei uns erstrebenswert.

Ich streife zum Beschluß den Vorschlag,
die Berufe des Auktionators und des freien
Fländlers streng gegeneinander abzugrenzen-
Selbst beide Gewerbe betreibend, scheint es
mir selbstverständlich, die Synthese beider Be-
rufe als gesund und folgerichtig zu empfinden:
Der freie Handel verleiht und schärft die
Warenkenntnis, die dem Auktionator zugute
kommt; er gibt das stets erneute leidenschaft-
liche Interesse am Einzelobjekt, das den Auk-
tionator vor Mechanisierung schützt. Der
Händler, der selbst ein Lager hat, wird sich
bemühen, Gegenstände vor Verschleuderung
zu schützen; der Auktionator wiederum
wird sich eher dazu verstehen, zu teuer
eingekaufte Stücke seines Besitzes nach
der durch seine Auktionstätigkeit gewonnenen
Norm vernunftgemäß herunterzusetzen. Der
Kuriosität halber sei nebenbei die Gesetzes-
bestimmung angeführt, deren neuartige Aus-
legung — wie sie gerade jetzt von verschiede-
nen Stellen angeregt worden ist — gegebenen-
falls dem freien Handel das Abhalten von
Auktionen erschweren soll: „Den Versteigerern
ist der Betrieb der Gast- und Schankwirt-
schaft, des Kleinhandels mit geistigen Ge-
tränken, des Trödelhandels und des Pfandleih-
gewerbes untersagt“ (Ziffer 3 der Vorschrif-
ten . . . über den Geschäftsbetrieb der Ver-
steigerer). Dazu als Ausführung: „Der Trö-
delhandel ist der Großhandel und Kleinhandel
mit gebrauchten Kleidern, gebrauchten Betten
oder gebrauchter Wäsche, sowie der Klein-
handel mit altem Metallgerät, mit Metall-
bruch und anderen denselben gleichartigen
Gegenständen.“ Ich stelle die „sinngemäß®
Anwendung“ dieser Bestimmung auf die Ver-
hältnisse des heutigen Berliner Kunst- und
Kunstauktionsbetriebes anheim.

Reformvorschläge sind, wenn ich es richtig
sehe, gut und wünschenswert in Zeiten der
Ruhe, der Prosperität, in denen man nach
Herzenslust experimentieren, ändern, ver-
schönern kann, ohne Gefahr zu laufen, 1^'
gleich zu zerstören. Im Augenblick würd®
meines Erachtens schon der leiseste Reform'
windstoß genügen, all die unruhig flackernde11
Flämmchen auf den der Kunst dienenden &e'
bieten ganz zum Verlöschen zu bringen. W1,
die lebende, bildende Kunst nicht die Belastung
des neuen Urheberschutzgesetzes ertrag®),
könnte, so die Kunstauktion nicht die der Se,
planten Gesetzesänderungen oder Neuad®
legungen. Mit der Kunstauktion wäre ab®
auch dem freien Kunsthandel bei uns das V
teil gesprochen. Es ist kein Zufall, daß
Städten des lebendigsten Auktionsbetriebes ,
in Paris und London — auch der Kunsthand
vergleichsweise noch am besten gedeiht. ™ j
die Verhältnisse liegen, sind Auktion
freier Handel im Gefüge der Kunstwirtsch9^
auf Gedeih und Verderben miteinander ve
bunden.

Die Pisanello-Medaille eingeschmolzßJ
Die italienische Polizei hat nunmehr na
einer Reihe von Verhaftungen einen Teil
Goldes, aus dem die gestohlene Medaille .
Pisanello aus dem Florentiner Bargello (
„Weltkunst“, Nr. 41, S. 6) bestand, wie«
auffinden können. Die Medaille wog, £e ur
600 gr. Wieder in Besitz gekommen sind $
337 gr. Damit muß festgestellt werden,
von dem Kunstwerk nichts weiter mehr eg
stiert, als ein Stück Edelmetall, so wi
aus der Einschmelzung hervorgegangen
 
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