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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Semper, Hans: Eine venetianische Holztafel mit Beinreliefs im Kensington-Museum, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0036

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1901. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2

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falls gelungen ist, genaue Seitenstücke, wenn
nicht Vorbilder zu finden.

Ehe wir aber auf den Nachweis hierüber
eintreten, wollen wir zuvor die Schilderung des
ganzen, seltsamen Kunstwerkes oder Bruch-
stückes eines solchen abschliefsen. Die Fläche
zwischen den Archivolten der Arkaden und
dem oben horizontal das Ganze abschliefsenden
Rahmen ist im mittleren Bogenzwickel mit
dem Relief-Brustbild Gottvaters ausgefüllt,
welcher beide Arme ausbreitet und mit der
rechten Hand den lateinischen Segensgestus
macht, während die linke Hand ganz offen ist.
Ein weitärmeliges faltiges Gewand umschliefst
seinen Körper. Lang herabwallendes Haar
und ein Vollbart umrahmen sein gut model-
lirtes Antlitz. Die übrigen Bogenzwickel sind
mit zwei ganzen und am Rand mit je einem
halben Rundmedaillon ausgefüllt, die von ge-
wundenen Rundstäben eingefafst sind. — In
den zwei ganzen Medaillons sind ziemlich
plump ausgeführte Thiere mit erhobenem
Schweif dargestellt, die man ebenso gut als
Hunde wie als Löwen bezeichnen könnte. In
den halben Medaillons zu beiden Seiten scheinen,
soweit ersichtlich, Cherubime dargestellt zu
sein.

Wenn wir uns über die ursprüngliche Be-
stimmung dieser so auffallend verzierten Tafel
klar zu werden suchen, so scheint es uns (die
Aechtheit vorausgesetzt) am wahrscheinlichsten,
dafs dieselbe die Wand eines Kästchens, be-
ziehungsweise Reliquiars gebildet habe.

Um die Herkunftund die Entstehungs-
zeit der besprochenen Tafel annäherungsweise
zu bestimmen, stehen uns keine anderen Quellen
und Mittel als stilkritische und allenfalls histo-
rische Erwägungen zu Gebote, und auch solchen
stellen sich in diesem Falle die gröfsten Schwierig-
keiten entgegen Dem ersten Gesammteindruck
nach haben wir es anscheinend mit einem Werke
venetianischer Kleinkunst byzantino-roma-
nischen Stiles zu thun. Dieser Eindruck wird
nicht blofs durch die Wiedergabe der sich um-
armenden Krieger nach dem Vorbilde des
Porphyrreliefs an der Südseite der S. Marcus-
kirche, sowie durch das byzantinische
Kaiserpaar, sondern auch durch manche
Einzelheiten der Architektur und Ornamentik
hervorgerufen. Das Kaiserpaar kann in Venedig,
dieser abendländischen Stätte byzantinischer
Kunst, nicht befremden, kommt doch ein ganz

ähnlich dargestelltes kaiserliches Paar in Email
auf der Pala d'oro in S. Marco vor.1)

Andere Umstände sprechen jedoch wieder
gegen eine so frühe Datirung des Gegenstandes
und zwar betreffen dieselben ebenfalls sowohl
den Charakter der Figuren, wie einzelner orna-
mentaler Theile.

Gehen wir defshalb, um die Widersprüche
des allgemeinen Eindruckes dieser Tafel wo-
möglich zu lösen, auf die genauere Untersuchung
ihrer Einzelnheiten über, wobei wir mit dem
architektonischen Schema und mit den orna-
mentalen Theilen beginnen wollen.

Dafs der Doppelzahnschnitt, und die
gedrehten (schnurartigen) Rundstäbe, als
umrahmende und einfassende Zierglie-
der, sowie die Rundmedaillons mit Thier-
figuren in Relief als Wandfüllungen in den
Arkadenzwickeln, sowie sonst, schon in der Pe-
riode des byzantino-romanischen Stiles
von Venedig (vom XI. bis XIII. Jahrh.) und
vielleicht noch früher häufig und mit Vorliebe
verwendet wurden und für die genannte Epoche
der venetianischen Architektur geradezu charak-
teristisch sind, läfst sich mit zahlreichen Bei-
spielen belegen.

Der Doppelzahnschnitt kommt als Ein-
rahmung von Reliefs und Arcaden schon au
den Aufsenseiten von S. Marco vor, welche
im XI. und XII. Jahrh. mit ihrem, zum Theil
noch viel älteren architektonischen, plastischen
und musivischen Schmuck bekleidet wurden;
so z. B. ist an der Nprdseite das Relief einer
schreitenden Stadtallegorie oder Victoria mit
einem Doppelzahnschnittrahmen umgeben, eben-
so ist die Blendarcade weiter oben mit Doppel-
zahnschnitt eingefafst.2)

Einen solchen finden wir auch als unteren
Saum des Gesimses an einem romanischen Brun-
nen im Museo Civico,8) wo auch die Zwickel
der Rundbogenarkaden mit phantastischen

') Siehe A. Pasini «It tesoro di S. Marco«,
»La basilica di S. Marco« Vol. VIII I. parte p. 148
Tav. XIX.) Die Kaiserin ist als Irene, der Kaiser als
der Doge Ordelaffo Falieri bezeichnet, doch hält
Pasini dafür, dafs die Inschrift der letzteren Figur
ebenso wie der Kopf derselben erneuert worden sei
und das beide Figuren den Kaiser Komnenos und
seine Gemahlin Irene, Tochter des Königs Ladislaus
von Ungarn dargestellt haben. Johannes Komnenos
regierte 1118—1143.

2) Photogr. Naya 63 I. Folio und n. 63 I- ■
a) Photographie v. Naya 2147. Venezia.
 
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