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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Semper, Hans: Eine venetianische Holztafel mit Beinreliefs im Kensington-Museum, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0038

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41

1901.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

42

Schäften mit ganz derselben oder einer sehr
ähnlichen Profilirung wie auf unserem Täfelchen
sehr häufig.

Am Hauptportal des Domes von Modena
(1099—1109) sind die Thürpfosten von schlanken
Dreiviertelsäulen eingefafst, deren Schafte blofs
strickartige Spiralwindungen, d. h. einander
unmittelbar berührende gedrehte Wulste zeigen,
wogegen die Thürpfosten des rechtsseitigen
Seitenportals der Fassade von Viertelsäulen
flankirt sind, welche schraubenförmig ge-
bildete Schafte haben, insofern die erhöhten
Wulste durch dazwischen liegende8) Hohl-
kehlen getrennt sind. Die Wülste sind von
letzteren noch durch schmale Plättchen beider-
seits getrennt. Ganz ähnlich sind die Spiralen
an unserer Tafel gebildet, nur dass hier an
Stelle der Wülste oben abgeflachte Bänder
von den Plättchen eingefafst sind, zwischen
denen die Hohlkehlen liegen.

Aehnlich profilirte Spiralsäulen wie am
rechtsseitigen Fassadenportal des Domes von
Modena finden sich auch an den Portallaibungen
des Domes von S. Donnino,9) (vom Anfang des
XII. Jahrh.) sowie am Hauptportal des Domes
von Ferrara (1135).10) Ebenso an den auf Löwen
ruhenden Säulen der Vordächer am Dom von
Verona, (—1178) sowie an einem spiral-
förmig gewundenen Rundstab der Bogenlaibung
am Nordportal des Baptisteriums von Parma.11)
Die Beispiele Hessen sich noch bedeutend
vermehren.

Gleichwohl treten aber zugleich in der Or-
namentik unserer Tafel einige Einzelheiten
hervor, welche eine so frühe Datirung derselben,
wie sie sich aus dem Obigen zu ergeben scheint,
in Frage stellen.

Als solche Einzelheiten sind vor Allem die
Blattornamente über den Basen und
an den Kapitalen der Halbsäulen zu
bezeichnen; zweifelhaft erscheint auch das
Blattwerk an der 2. Archivolte von rechts,
während bezüglich der stilkritischen Zeitbe-
stimmung der mit den Henkeln verketteten
Körbe uns vorläufig jeder Anhaltspunkt fehlt.
Nicht blofs die geschwungene Bewegung
des Blattwerks (das sich doch durch die
weiche, fleischige Behandlung von dem gleich-

8) Fotogr. Emilia 6661, 6662, 6667.

9) Fologr. Emilia 65Q2.
10) Fot. Emilia 6316.
") Fot. Emilia 1075.

falls in bewegten, geschwungenen Formen ge-
haltenen, aber scharf geschnittenen, zerfaserten
und eingebohrtem Blattwerk der byzantinischen
Periode, wie z. B. der Herkulesbasilika zu Ra-
venna12) wesentlich unterscheidet), sondern
auch die ganze Bildung der Kapitale ge-
mahnt unmittelbar an diejenigen am
Porticus und an den oberen Loggien
des Dogenpalastes zu Venedig, welche
seit 1424 unter dem Dogen Francesco Foscari
hergestellt wurden.13)

Aehnliche Kapitale finden sich an zahl-
reichen spätgothischen Bauten Venedigs vom
Anfang des XV. Jahrh.14)

Das Charakteristische an diesen Kapitalen
ist, neben der fleischigen Modellirung und
schwungvollen Bewegung der Blätter, die Art
ihrer Anordnung. Sie bestehen nämlich aus
einem unteren Kranz nach aufwärts gerichteter
Akanthusblätter mit gebogenen und theilweise
sich überschlagenden Blattenden und einer
oberen Reihe von ebensolchen Blättern, welche
jedoch nur an den Ecken der Deckplatte an-
gebracht sind und von diesen aus sich nach
unten entwickeln und in einem kühnen Bogen
sich rollen und verzweigen. Zwischen diesen
oberen Eckblättern sind entweder ganze Figuren,
wie an den meisten Kapitalen des Erdgeschofs-
porticus am Palazzo Ducale, oder auch blofs
menschliche Köpfe wie an der Loggia della
Giustizia und an der Loggia del Doge Foscari
am Dogenpalast15) angebracht.

Eine grobe, handwerksmäfsige Andeutung
dieser Formengebung finden wir nun auch an
den Kapitalen unserer Tafel. Auch hier sehen wir
2 Reihen Akanthusblätter, von denen die untere
nach oben, die obere nach unten strebt; auch
die Tendenz des sich Einrollens ist an den
oberen Blättern angedeutet. Ja sogar einen
menschlichen Kopf finden wir an einem dieser

la) Zahns >Jahrbücher für Kunstwissenschaft«
I. p. 283 (R. Rahn).

13) Dieselben sind wohl zu unterscheiden von den
altern unter der Leitung des Pietro Baseggi und
Filippo Calendrio von 1341—48 hergestellten Säulen,
haupts. an der Südseite des Dogenpalastes. Vergl.
Photopraphie von Naya sowie: P. Paoletti «L'archi-
tettura e la scultura del Rinascimento a Venezia«
Fig. 5, 6, 19, 21.

") So am Porticus der Scuola della carita (Pao-
letti op. c. p. 8 Fig. 6), am Portal der Kirche
S. Giovanni e Paolo, am Palazzo Chiaralba (Braga-
din Carabba) u. s. f.

u) Paoletti p. 8 Fig. 5 und p. 17 Fig. 21
 
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