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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Cremer, Franz Gerhard: Zur Darstellung des Nackten in der bildenden Kunst und die Modellfrage, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0045

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.07

1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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malter Schönheiten vorhanden, welche, so wie
sie die Kunst verherrlichen, den Künstler
schänden". — Doch gehen wir weiter zurück,
um die Urteile und das Verlangen anderer
hervorragender Männer zu vernehmen. Aristo-
teles sagt (Polit. I, 7. cap. 15): „Die Gesetz-
gebung mufs dahin wirken, dafs die Jugend
„nichts Unanständiges höre oder sehe".
.... Die Behörden haben mithin darüber zu
wachen, dafs unanständige Gemälde oder Bild-
säulen nirgends geduldet werden. Von Plato
(de leg. 1, 2. Steph. 656 a—d. Bip. 8 p. 65)
vernehmen wir das Wort: „Wo also in einem
Staate gute Gesetze herrschen, wird da die
Kunst in Scherz und Ernst volle Freiheit haben?
Wird da der Künstler die Kinder seiner weisen
Mitbürger und die gesamte Jugend lehren
dürfen, was immer ihm Vergnügen macht,
gleichviel, ob er sie dadurch für die Tugend
heranbildet oder sie für die Liederlichkeit er-
zieht?"

So fehlte es an Mahnungen und Warnungen
an keinem Orte und zu keiner Zeit, auf dafs
es keinem ergehe, vernehmen wir Cicero in
den tusculanischen Unterredungen (III, c. 11),
wie jenem Enkel des Tantalus, des Pelops
Sohn, Urenkel des Zeus, den wir wie wegge-
worfen, mutgebrochen erblicken!

„Nicht doch — spricht er —
„Nicht doch, ihr Freunde, zu mir hergetreten,
„Hinweg I dafs nicht den Guten meine Nähe,
„Mein Schatten schadel solche Macht des Greuels
„Ist meinem Körper eingedrückt."

(Ebendaselbst III, 12.)

Hier ist gewifs auch die Stelle, wo wir den
grofsen Mahner und Warner aus den Blüte-
tagen der Renaissance: „Savonarola" zu hören
verpflichtet sind. Derselbe gab öffentlich die
Versicherung, dafs die Künstler vor ihren
eigenen Schöpfungen schaudern würden, wenn
sie das Ärgernis und den Schaden, den sie
durch dieselben den Leuten aus dem Volke
für ihre Seele verursacht hätten, so vollständig
kennten, wie er. (Rio 2, p. 423. — Jung-
mann, »Ästhetik« II, 3. Aufl. Cit. 66*).

Friedrich Cramer sagt dann im ersten Bande
des schon erwähnten Werkes (S. 393): „... so
galt auch bei den alten Römern die Scham
für die erste und die Krone aller Tugenden."
— Aus den „Alt-Indischen Sprichwörtern"9)
wäre hierfür mit Leichtigkeit eine Blumenlese

gleich einem reichen Straufse duftenden Lotus'
zu sammeln; es sei hier nur ein Vers aus der
.Weisheit des Brahmanen' geboten:
„Von allen Tugenden ist Scham genannt mit Recht
„Die Mutter, keine hat so blühend ein Geschlecht.
.Die Tugendmutter, Sohn, sie ehre, wie du ehrst

„Die eigne Mutter, der du nie den Rücken kehrst,
„Solange du sie hast vor Augen, lieber Sohn,
„Bist du unwürdigen Versuchungen entflohn."
(Friedr. Rückerts Werke, 5. Bd. — »Die Weisheit
des Brahmanen« I, 4. Stufe, Schule 33.) —
Dazu sei nimmer vergessen, was Horaz in
der VI. Satyre des I. Buches 81 u. w. sagt:
„Er selbst war zu allen Lehrern mein unbe-
stechlicher Führer. Kurz, er hielt mich durch
die Scham (die erste der Tugend) von allen
schändlichen Vergehungen, ja selbst von dem
Vorwurfe rein."

Cato's Ausspruch (Diog. Laert. 7, 54. Plut.
de audiendis poetis 29, e. Hör. Sat. I, 6, 83,
Heindorf), er liebe mehr die, welche erröten,
als die, welche erbleichen, denn die Röte sei
die Farbe der Tugend, war der Ausspruch
aller Römer. — Die alte römische Scham-
haftigkeit fing um die Zeit des Krieges mit
Perseus an zu verfallen, und mit ihr sank auch
ächter Römersinn und ächte Römertugend,
wie uns die Geschichte des Jugurtha leider nur
allzu deutlich zeigt. (Piso b. Plin. h. n. 17, 25.)
Fassen wir nur diese wenigen Mahnworte
zusammen, dann zeigt sich, dafs die hier an-
geregte Frage, weit über den Rahmen der
Kunstgeschichte hinaus gehend, auch die Sitten-
geschichte berührt, und damit, wie wir schon
eingangs bemerkten, eine Frage der Staats-
raison wird, da die Geschichte lehrt, wie mit
dem Zusammenbruch von Scham und Sitte die
Stützen des Staates wanken und der Verfall
beginnt. (Forts, folgt.)

Düsseldorf. Franz Gerh. Crem er.

9) In diesem reichen Schatze ererbter Weisheits-
lehren finden sich nicht nur die Mittel *) diese Tugend
zu fördern und zu festigen, sondern auch eine Fülle
freundlichmahnender Worte: „Was jemand mit Tat,
Gedanken und Worten bestandig treibt, das reitst ihn mit
sich fort; darum tue Gutes." (Otto Böhtlingk
»Ind. Spr.« 111. Teil S. 91 ) Ebend. Bd. I S. 70: „Bis
zur Leichenstätte nur gehen Verwandte und Freunde
mit dir; dann kehren sie um und du mulst nun ganz
allein weiter gehen: tue also gute Werke, (damit du
nicht ohne Geleite seiest)."

•) Ebend. Bd. II. S. 215, ,. Vers v. mit. — S. 231, 1. V.
v. ob. — S. 275, 2. V. v. ob.
 
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