Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

DOI Artikel:
Cremer, Franz Gerhard: Zur Darstellung des Nackten in der bildenden Kunst und die Modellfrage, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0064

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
89

1904.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

90

heit, ihre Standhaftigkeit, ihren Mut, die einer
Prophetin würdige Hoheit ihres Wortes und
die überwältigende Kraft ihrer in Kindes-
Unschuld zu Gott gerichteten Gebete?

Der heilige Papst Damasus gibt in schwung-
voller Hymne unserer Bewunderung und Ver-
ehrung Ausdruck, da er anhebt:

Martyris ecce dies Aga- Siehe, es erstrahlt der

thae Tag der Martyrin Agatha,

Virginis emicat eximiae: der auserlesenen Jungfrau,

mit welcher Christus sich
vermählt und die er mit
doppelter Krone ge-
schmückt.

Christus

eam sibi qua
sociat,
Et diadema duplex de-
corat.

Höher noch erhob sie jedoch die Kirche,
welche ihren Namen mit dem erhabensten
Momente der heiligen Messe für die Dauer der
Zeiten verknüpfte.

Versuchen wir es, dem Künstler wenigstens
in den wesentlichsten Zügen des Bildes zu folgen.

Wie in dem Bilde der hl. Agatha das noch
nicht vollendete Martyrium Gegenstand
der Darstellung ist, so in dem gegenüber aus-
geführten Bilde der hl. Catharina der erfolgte
Tod und die Verklärung; darum bilden
beide bei strenger Wahrung des einem jeden
Eigentümlichen dennoch ein zusammengehöriges
Ganze. So lehrreich und wichtig schon allein
dieses ist, so werden sie doppelt wertvoll durch
den Umstand, dafs der Meister sichtlich im
Sinne der Alten geschult war. Diese Schulung

erkennen wir zunächst in der unteren Szene

»

im Bilde der hl. Agatha, wo die Heilige dem
Todesstreiche den Nacken beugt; — — —
den Körper umhüllt ein weiter Mantel, und
nur die gekreuzt gebundenen zarten, schlanken
Hände verraten uns die Schönheit und den
Adel der Heiligen, denn das reich zu Boden
wallende Haar wird mitleidsvoll das fallende
Haupt verhüllen, wie der Mantel den züchtigen
Körper müssigen oder gar frevlen Blicken
entziehen wird. Lebhaft erinnert uns dies
an die Niobe, wie sie der grofse griechische
Tragiker auf dem Grabe ihrer Kinder zeichnet,
eine an die Rachel, deren Jammer und Schmerz
zu bergen, Aeschylos ihr Haupt umschleiett.
Anders zeigt sich diese Szene des Leidensab-
schlusses in dem gegenüber gemalten Bilde,
wo das blutige Werk eben vollendet ist. Hier
schauen wir in ein Antlitz voll so rührender
Schönheit, dafs selbst meine im halben Zwie-
licht der fast stets dämmerigen Kirche mit
Bleistift gefertigte Kopie etwas von dem be-

seligenden Reize der Unschuld dieser eben ver-
klärten Heiligen bewahren konnte.

Ueberaus glücklich und wohl kaum zu
übertreffen, sind auch hinsichtlich der Auffas-
sung und Ausführung die oberhalb dargestellten
Szenen zu nennen. — Die am Oberkörper des
deckenden Gewandes beraubte hl. Agatha er-
blicken wir, wie sie von zwei Bütteln zu
Boden hingestreckt, halb an den Haaren wieder
aufgezerrt und gehalten, auf Befehl jenes un-
menschlichen Wüstlings um ihre Brüste gebracht
wird. Von jener furchtbaren Stunde melden

die Akten der Heiligen: „.....Quo in

vulnere Quintianum appellans Virgo: Crudelis,
inquit, tyranne, non te pudet, amputare in
femina, quod ipse in matre suxisti? . ." (Bei
dieser Marter rief Agatha dem Statthalter zu:
„Grausamer Tyrann! schämest du dich nicht,
das an einem Weibe wegschneiden zu lassen,
was dir bei deiner Mutter die erste Nahrung
geboten hat?) — Was immer hier auch be-
wundernswert bleibt, wir wiederholen: den
höchsten Triumph feiert der Künstler in der
kaum denkbaren Darstellung des Nackten; hier
zeigt er sich im Vollbesitze alles erforderlichen
Könnens und Wissens, wie dies der Formen
Vollendung und Gröfse, der Silhouetten tadel-
lose Bildung und die jede nichtige Beigabe
verschmähende, bis zur Erhabenheit sich
steigernde schlichte Schönheit beweisen.

Dem Ruchlosen hat sie ihr Urteil gesprochen,
ihr Mund verstummt, sie aber schaut, gleichwie
in einer Vision entruckt, in die Ferne. Er-
blickt sie vielleicht, was uns die gegenüber-
liegende Darstellung zu verraten scheint, wo
die hl. Catharina in Mitten einer Wolke von
Engeln getragen dahinschwebt ?

Kraft und Kühnheit zeigen sich hier in ziel-
sicherm Schaffen mit Reinheit und Frömmig-
keit vereint, wie nicht minder jener apellenische
Geist den Künstler erfüllte, der den Meister
im Sinne der Anadyomene — ein Werk von
kanonischem Ansehen und der christlichen
Kunst zur Ehre — zu schaffen gestattete.

Dies Martyrium, welches zweifellos zu den
bedenklichsten Darstellungen zählt, die von
der christlichen Kunst verlangt werden können,
hat desungeachtet manchen Wager gefunden.
Sehr glücklich löste diese Aufgabe auch Anton
Seitz, „Christi. Ikonographie" von Detzel,
Bd. II, S. 41. (Forts, folgt.)

Düsseldorf. Franz Gerh. Cremer.
 
Annotationen