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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Cremer, Franz Gerhard: Zur Darstellung des Nackten in der bildenden Kunst und die Modellfrage, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0080

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1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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umwunden aus, wo sie sagt: „. . . Wir haben
den prunkvollen Gottesdienst der katholischen
Kirche überhaupt als den Quell der Erhaltung
moderner Kunst anzusehen. . ,"25) Mit dieser
hohen Anerkennung ist aber der „christlichen
Kunst" eine schwere Pflicht auferlegt, wenn
sie sich nicht selbst untreu werden will.

Es gibt also auch minder bedenkliche Aus-
wüchse, wozu aber in der kirchlichen Kunst
leider recht Vieles zu rechnen bleibt. Es sei
hier nur kurz der vielfach den architektonischen
Aufbau und Zusammenhang störenden und
durch die unverstandene Polychromie mitunter
selbst ungehörig werdenden Standbilder gedacht.
Hier leitet mangelndes Verständnis, bei der an
sich gewifs nur zu lobenden Absicht: den
Kirchen eine möglichst würdige Ausstattung
zu geben, nur zu häufig in die Irre. Man
kann ebenhier doch mit so Wenigem wirken,
und wie dankbar ist eine solche Auf-
gabe doch für den Koloristen! Es ist dazu
durchaus nicht der Aufwand an reichen
Mitteln,26) der hier ausschlaggebend wird, son-

25) Diesen Ausspruch ergänzt uns Richard Pohl
in seinem Werke: „Die Höhenzüge der musikalischen
Entwickelung" (Leipzig 1888). Hier heilst es Seite 18:
-Die christliche Kunst ist es gewesen, welche die
Pflege und Ausbildung der Tonkunst allein in die
Hand genommen hatte, als die alte Welt in Trümmer
gegangen war. Der Kirche verdanken wir, was von
dem musikalischen Besitztum der antiken Kultur auf
uns vererbt worden ist. Sie rettete die Tonkunst, gab
ihr nun aber auch einen völlig neuen Charakter und
eine ganz veränderte Richtung."

Weiteres sehe man bei Cremer, „Zur Ölmalerei
der Alten" (Düsseldorf 1903), Seite 81 ff.

26) Wofür aber auch so viel Aufwand ? — Es fehlt
bei den Alten gewilslich nicht an Warnungen, mit
dem Anbringen von Zierraten Mafs zu halten, damit
diese Lichtpunkte, wie es bei Quintil. VIII. 5 heifst,
gleichsam nur wie Funken aus dem Rauche hervor-
blitzen und durch ihre Seltenheit wirken, anstatt durch
zu häufiges Anbringen ihre Wirkung zu verlieren und
Überdrufs zu erzeugen. Dionysius von Milet sagt mit
Rücksicht auf die sparsame Anbringung solch kleiner
Glanzpunkte: „Honig mufs man auf der Spitze des
Fingers, nicht mit voller Hand kosten." Auch Lucian
äufsert sich (Bd. XII, Abschn. 6 u. 7) über die Aus-
schmückung eines Sales, der, bei aller Pracht nichts
für Barbarenaugen geboten, kein Prunkstück Persischer
Grofstuerei sei, noch der Prahlsucht eines Despoten
gedient, vielmehr einen Beschauer von empfänglichem
Geiste verlangt habe, der nicht allein mit den Augen
urteile, sondern auch die Gründe seiner Bewunderung
anzugeben wisse. Alles, sagt Lucian, habe hier durch
die harmonische Verteilung gefallen, und nirgend sei
das Auge durch müfsigen Aufwand beleidigt worden.
So genügt, fährt er fort, einer schönen und ehrbaren

dern das feine Empfinden, welches gründliche
Kenntnisse und tüchtige Schulung voraussetzt.
— Also immer das Ganze, das grofse Ziel,
die Gesamtwirkung im Auge behalten! und
doppelte Vorsicht ist dort zu gebrauchen, wo der
Bildhauer dieses Vermögen bei dem Koloristen
vorausgesetzt, wo sich, wie das nicht wenig
häufig der Fall ist, eine weitgehende Nacktheit
findet, damit diese nicht als Entblöfsung em-
pfunden werde. Auch hier ist nie zu ver-
gessen, was wir schon beim Bilde verlangten,
dafs man zwischen einem grofs und vornehm,
ideal-gestalteten, von gründlichstem Natur-
studium Zeugnis gebenden und einem nur ent-
kleideten, sich über die photographische Nach-
bildung nicht erhebenden Körper unterscheide.
Wem dies nicht verständlich geworden ist
der vergleiche nur einmal die Venus von
Melos mit der medicäischen Venus, dann wird's
ihm wie Schuppen von den Augen fallen, und
er wird finden, dafs erstere bekleidet kaum
denkbar ist, es sei denn etwa in der Weise
der Nike von Somothrake, wohingegen letzterer
tatsächlich ein Gewand mangelt, was sie auch
selbst zu empfinden scheint. Doch wie unend-
lich hoch steht noch dies Bild der Aphrodite
des Kleomenes, des Sohnes des Apollodoros
aus Athen, über den verwandten Nacktdarstel-
lungen der Modernen! — Abbe" Roux gibt
hierzu in seinen von der Acaddmie frangaise
preisgekrönten „Penssees" eine treffende Cha-
rakteristik des in der griechischen und modernen
Kunst behandelten Nackten. Er sagt: „Die
Antike bekleidete den menschlichen Körper
mit Scham und Hoheit; die moderne Kunst
entkleidet selbst das Nackte. Sie ist schamlos
(un impudique) und zuweilen unverschämt (un
impudent). Athen gofs die Seele über das
Fleisch aus, Paris giefst das Fleisch über die
Seele. Die griechische Statue errötet; die fran-
zösische macht erröten." (Seite 33.) Näheres in
den Essays von Fr. Xav. Kraus. Bd. I, S .73.

(Schlufs folgt.)

Düsseldorf. Franz Gerh. Cremer.

Frau, um ihre Schönheit zu heben, eine einfache
goldene Halskette, ein leichter Fingerring, ein Paar
Ohrringe, eine Spange oder ein Band, um ihre
wallenden Locken zusammenzuhalten, Zierden, durch
welche ihre Wohlgestalt eben soviel gewinnt, als ihr
Gewand durch eine Purpurbesetzung; während die
Hetäre, zumal wenn sie recht häfslich ist, ein ganz
purpurnes Kleid trägt, ihren Hals mit Gold überdeckt
und durch die Kostbarkeit ihres Schmuckes anlocken
will, indem sie sich über den Mangel an eigener
Schönheit durch erborgte Reize zu trösten sucht.
 
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