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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Justi, Carl: Raphaels heilige Cäcilia
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0091

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Abhandlungen.

Raphaels heilige Cäcilia.

(Mit Lichtdruck-Tafel III u.Textbild.)
aphaels Gemälde der hl. Cäci-
lia in Bologna, vollendet
zu Rom im Jahre 1516,
gehört zu den Schöpfungen
hoher Kunst, die eines Kom-
mentars nicht zu bedürfen scheinen. Wer davor
hintritt, fühlt sich alsbald versucht die Absicht
des Meisters herauszulesen, gleich als habe es
ihn in die Bahnen seines schaffenden Geistes
hineingezogen, entrückt Er stand damals auf
der Höhe des Lebens und der Kunst; seine
Klarheit der Seelensprache hat man selten
Gelegenheit zu erproben wie hier, wo sie sich
dem Tiefsinn gesellt. Wie bedeutend ist er in der
Charakteristik, wie fein ist jede Note in diesen
von ein und demselben Eindruck bewegten
fünf Personen differenziert. Die Kompositions-
form erinnert uns, dafs das Erhabene unzer-
trennlich ist vom Einfachen, zu dem die
Kunst auf ihrer letzten Höhe zurückkehrt.

Wir sehen eine Vereinigung von fünf Heiligen
um eine Haupt- und Mittelperson geordnet; wir
erkennen sie sämtlich alsbald an den Attributen.
Aber ebenso durchsichtig ist ihr Gemütszustand:
sie alle stehen unter der Macht der Töne, die sie
in mannigfaltiger Weise, nach Geschlecht, Alter
und Temperament aufnehmen. Der geistgewal-
tige Apostel der Tat in ernster, meditierender
Konzentration der Gedanken: die sanftem, wei-
chern Gemüter im Austausch vielsagender Blicke
des Verständnisses, des Wunsches andere an
ihrem Glücke teilnehmen zu sehen; über alles
erhebt sich die weltvergessene Hingabe an die
entzückende Offenbarung in der Gestalt, deren
Namen das Bild trägt.

Die Absicht war aber nicht blos, einen hoch-
erregten geistigen Zustand in seinen Nuancen
zu schildern; man wird zugleich in ein momen-
tanes Erlebnis aufregender Art versetzt. Die
Heilige hält eine Orgel,1) die sie jedoch sinken
läfst; einige Pfeifen sind vom Pfeifenstock
herabgeglitten; wurde ihr Spiel unterbrochen?
und soll diese Orgel gar zu den beschädigten

') Repräsentiert durch ein Stück Lade mit Manual,
klaviatur und PfeifenMock von 19 Pfeifen.

Instrumenten herunterfallen? Denn vor ihr liegt
ein ganzes Orchesterinventar aufgehäuft. Eine
Katastrophe hat sich begeben: man vernahm
eine Musik, die aber nun ausgespielt hat; und
ihre Entwertung war eine Wirkung dessen,
; was im jetzigen Augenblick ihr Ohr fesselt;
der Maler hat es uns verraten in der Sänger-
gruppe von sechs Engeln oben in Wolken.
Eine geringere Musik ist von einer höhern ver-
drängt worden.

Die Komposition zerfällt in zwei Teile, in
der Behandlung scharf geschieden. Die obere
Gruppe, obwohl Ursache der Erregung der
untern Versammlung, dieser nicht sichtbar und
nur durch ihre Wirkung fühlbar, ist in kleinem
Mafsstab und nebelhaft gehalten; es entsteht also
nicht, wie bei einem anderen Gemälde Raphaels
aus diesen Jahren, ein Dualismus. Durchaus
liegt das Gewicht auf dem Eindruck der himm-
lischen Töne im beseelten Antlitz; das Engel-
konzert ist nur ein Fingerzeig; es lag ja aufser-
halb der Mittel der Malerei. Was soll dieser
Vorgang bedeuten ? Sollte vielleicht die Über-
legenheit der beseelten Menschenstimme über
die Instrumentalmusik ausgedrückt werden, —
selbst in ihrer Vereinigung zum Orchester,
oder in ihrem vollkommensten Exemplar, der
Orgel? Denn der himmlische Chor ist ein
Vokalkonzert. Bei den Funktionen der sixti-
nischen Kapelle wie in St. Peter werden keine
Instrumente zugelassen. Doch im ersten Entwurf
fehlte dieser Zug. Oder ist die höhere Dignität
der religiösen Musik über die profane gemeint?
Aber die Orgel, die hier ebenfalls verabschiedet
wird, ist ja das eigentlich kirchliche Instru-
ment. Es bliebe also die Überlegenheit der
Musik der Engel und des Himmels über die
der Erde und der Sterblichen. Diese selbst-
verständliche Wahrheit wäre etwas seltsam aus-
gedrückt, durch Absingen des Unaussprech-
lichen, das Paulus und Dante dort vernahmen,
von Notenheften!

Noch zu andern Fragen gibt das Bild An-
lafs. Man erblickt zu den Seiten der Haupt-
figur ein Halbrund von vier Heiligen, und dies
ihr Gefolge ist ein neuer Zug in der Ikonographie
der heiligen Cäcilia. Die Gründe aber, die
Raphael oder seine Ratgeber bei deren Auswahl
 
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