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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Justi, Carl: Raphaels heilige Cäcilia
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0096

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139

1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5-

140

Das Auge des Betrachters wird unwillkür-
lich beschäftigt durch die zu den Füfsen der
hl. Cäcilia ausgebreitete, die ganze B oden-
fläche bedeckenden Musikinstrumente. In der
ersten Skizze waren es nur wenige: ein Noten-
buch mit Flöte, ein Tamburin und Psalter, an
dessen Rahmen Marc Anton sein Monogramm
und Raphaels Namen gesetzt hat. In dem
Gemälde gruppieren sich um eine Viola da
gamba, mit abgerissenen Saiten, zahlreiche
Instrumente, wobei die Lärminstrumente etwas
freigebig bedacht sind; nämlich aufser Flöte:
Tamburin, Triangel, Kesselpauke und Becken.
Vielleicht ist hier eine Anspielung versteckt
auf damalige Zustände der Kirchenmusik,
deren profane Entartung ja später die heftigen
Angriffe auf dem tridentinischen Konzil zur
Folge hatte. Man könnte ein musikalisches
Stilleben herausschneiden, dessen sich kein
Holländer des XVII. Jahrh. zu schämen hätte.
Raphael der sich wohl die Geduld, Sach-
kenntnis und Zeit für solche minutiöse Arbeit
nicht zutraute, aber diese Ausführlichkeit doch
für wesentlich gehalten haben mufs, hatte den
Friauler Johann von Udine, seine rechte Hand
in den Loggien, hiermit betraut. Diese In-
strumentengruppe macht fast den Eindruck
einer symbolischen Unterschrift.

Ihre Vielgestaltigkeit sollte kontrastieren
mit der Einfachheit des himmlischen Gesangs,
vor dem sie verstummt sind. Was die mensch-
liche Stimme im Gebiet der Tonkunst, das ist
die Liebe im Leben des Menschen. Ohne sie
sind alle seine Werke, was das an sich tote
Instrument ist, ohne den belebenden Odem und
die spielende Hand. Es soll die Minderwer-
tigkeit aller Gaben, Äufserungen, Zustände von
blofs endlich-menschlichem Inhalt bezeichnet
werden, getrennt von dem geistig, göttlichen
Urquell, dem Leben der Liebe, die alles schafft
und beseelt. Das irdische Dichten und Trachten
verschwindet vor dem Vernehmen, Schauen,
Empfangen. Dies wird also versinnlicht
durch das Versinken des pomphaft Geräusch-
vollen vor dem Seelenvollen, das nicht er-
kannt und erschlossen wird, sondern gefühlt:
wir lesen es in diesen ruhig seligen Zügen.
Sie alle nehmen in verschiedener Weise teil
an der Ekstase der Heiligen in der Mitte.
Denn die göttliche Liebe ist. der Quell der
Ekstase. Die Sprachen, die Erkenntnis und
das Weissagen hören auf, sagt Paulus: das be-
deutet der zusammengefaltete Brief in der auf

den Schwertkopf gestützten Hand des Apostels;
das geschlossene Buch zu den Füfsen des
Evangelisten, auf dem der Adler ruht.

In einem Gemälde des Fra Bartolomeo in
Lucca, wenige Jahre vor diesem gemalt (1509),
wo die hl. Catharina und Magdalena als
Zeugen einer Theophanie erscheinen, sieht
man auf einem Schriftzettel in der Hand des
Kindes zu Füfsen der Majestät die Worte:
Amor divinus exstasim facit.

Von dieser Ekstase ist der sichtbare Gegen-
stand des Gemäldes, der musikalische Ein-
druck, gleichsam das Symbol: die Musik be-
deutet das Vehikel der Ekstase; als solches
ergriff Raphael das Motiv der kürzlich zur
„Schutzgöttin der Kirchenmusik" erhobenen
Cäcilia. Denn die Musik ist die geistigste der
Künste, sie spricht ohne Gestalten Zeichen
und Worte. Und er konnte seiner ekstati-
schen Cäcilia kein congenialeres Gefolge wählen;
denn in Geschichte und Legende aller dieser
Heiligen spielt auch die Ekstase eine Rolle,
nicht ohne musikalische Begleitvorstellungen.

Paulus im zweiten Korintherbrief (XII)
lüftet nicht ohne eine gewisse Scheu den
Schleier von diesem Erlebnis, er fürchtet sich
zu überheben. Er wurde entzückt bis in den
dritten Himmel, ins Paradies, er hörte, was
kein Ohr vernahm, unaussprechliche Worte:
La dolce sinfonia del paradiso.

(Dante, Parad. XXI, 58.)

Johannes war auf Patmos „im Geist", als
er die Gesichte der Offenbarung schaute; ihre
von ihm geschilderten Wirkungen, die Erschütte-
rung bis zur Ohnmacht, bezeichnet den eksta-
tischen Zustand. In der Apokalypse sind alle
die grandiosen Bilder, in denen seit sieben Jahr-
hunderten die prophetische Phantasie den
Kampf von Licht und Finsternis geschildert
hatte, in einen dramatischen Schlufsakt ver-
einigt, dessen Eindruck, vergleichbar dem Chor
der Tragödie, der Gesang der Sieger am
gläsernen Meer (Cap. 15) widerhallt.

Von Magdalena erzählt die Legende, wie
sie in der Kapelle der Provence siebenmal
zwischen Tag und Nacht von Engeln über den
Erdboden erhoben ward und himmlische Ge-
sänge vernahm. Von dem philosophischen
Kirchenvater werden dergleichen Zustände
zwar nicht berichtet, wenn man die Stimme
des Tolle lege ausnimmt; doch in seinen von
gleichmäfsig hochgesteigerter Empfindung ge-
 
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