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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

DOI Artikel:
Kleinschmidt, Beda: Der mittelalterliche Tragaltar, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0111

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163

1904.— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

164

die Wahl dieser Motive dürfte die mittelalter-
liche Symbolik kaum einigen Ausflufs aus-
geübt haben; es erinnert aber sehr an die
uralte Gewohnheit, mit Vorliebe den Altar
über der Konfessio, über der Grabstätte der
Heiligen zu errichten,192) deren Leben und
Wirken später an den Seitenwänden der
sarkophagähnlichen Altäre dargestellt wurde.193]

Sollen wir endlich noch von dem Bilder-
schmuck an der Unterplatte des Tragaltars
sprechen, so tritt er an den Schreinaltärchen
begreiflicherweise nur selten auf; wir finden
ihn zu Hildesheim und Paderborn (Dom)
und zwar scheint es in beiden Fällen der
Donator zu sein, der sich hier an der Unter-
seite ein bescheidenes Plätzchen auswählte, an
einem Altare im Weifenschatze und zu
Mo de na ist es das Agnus Dei mit den vier
Kardinaltugenden bezw. Evangelistensymbolen.

Mögen die meisten der vorgenannten bild-
lichen Darstellungen auch zur Ausschmücknng

,9a) Holzinger, »Die altchristliche Architektur«
(1899) 120 «f.

1M) Wegen seiner eigentümlichen Ausstattung
möge hier noch erwähnt werden jener Schrein,
welchen Bischof Ni tzger von Fr ei sing (1035—42)
dem Kaiser Heinrich III. schenkte und der später bis
zur französischen Revolution in Vendöme vermeint-
lich eine hochverehrte Reliquie „eine Träne Christi"
enthielt. Dieser kostbare Schrein war ursprünglich
wohl ein Tragaltar, auf der einen Langseite sah man
die vier Patrone Freisings, zwischen ihnen einen Adler,
auf der entgegengesetzten die vier grofsen Propheten;
an der einen Schmalseite Christum zwischen den vier
Evangelistensymbolen, auf der anderen ein offenes
Auge. Auf dem Deckel waren eingraviert das
Opfer Abrahams und Melchisedechs, ferner Aaron
mit Weizenähren und Moses mit Gesetzesrollen.
Melchisedech hatte statt des Kopfes ein offenes Auge,
Aaron stand auf einem geschlossenen Auge, ein
offenes Auge war später auch auf der Mitte des
Deckels angebracht. Über die Symbolik des Auges
schreibt Sighart a. a. O. I, 124: .Das offene Auge
bedeutet die Synagoge, die sehend geworden, d. h.
die christliche Kirche, welche jetzt das wahre Opter
darbringt; das geschlossene Auge bei Aaron sinn-
bildet die verblendete, die Finsternis liebende Syna-
goga, das Judentum, welches an dem verworfenen
d. i. am Boden liegenden mosaischen Opfer festhält.
— Später als man die Sprache der Symbolik nicht
mehr verstand, sah man mit sagenbildender Phantasie
bald in dem Auge das Auge Christi, glaubte, eine
Träne, die der Heiland um Lazarus geweint, müsse
hier verborgen sein, brachte das grofse Auge in der
Mitte des Deckels an und verwandelte so den Trag,
altar in einen Reliquienschrein, dem bald unsägliche
Verehrung zuteil wurde." Abbild. Rohault de
Fleury, pl. 357. Meichelbeck, »Historia Fri-
singensis« I (1724) 245.

anderer kirchlichen Gegenstände verwendet sein,
mögen einzelne selbst ohne den Einflufs der
Symbolik ihren Platz am Portatile gefunden
haben, so dürfte doch die häufige Wiederkehr
derselben Sujets an denselben Flächen die
blofse Willkür der Auswahl seitens des aus-
übenden Künstlers ausschliefsen; es war viel-
mehr innige Frömmigkeit und tiefes Versenken
in die Heilswahrheiten, vereint mit unbegrenztem
Opfergeiste für kirchliche Zwecke, welche jene
schönen Monumente einer kunstliebenden Zeit
schuf, die auch nicht die geringsten liturgischen
Gegenstände ohne tiefdurchdachten Schmuck
liefs und dadurch ein Vorbild bleibt für alle
späteren Jahrhunderte.

• «

«

Fassen wir zum Schlüsse die Resultate
unserer Studie kurz zusammen! Wenigstens
bereits seit dem Anfange des IV. Jahrh. neben
dem festen Altare in Gebrauch, wurde der
Tragaltar namentlich von den Missionären auf
ihren apostolischen Reisen benutzt, die wo
möglich täglich in der Einsamkeit der Wälder
oder unter den neubekehrten Völkern das Mefs-
opfer darbrachten, ebenso begleitete er die
Priester auf den Kriegs- und Kreuzzügen, da
weder die Soldaten noch die Kreuzfahrer der
hl. Messe gänzlich entbehren mochten. Nach
den Kreuzzügen wurde durch die kirchlichen
Behörden der Gebrauch des Portatile immer
mehr eingeschränkt, bis endlich das Konzil
von Trient die auch jetzt noch allgemein
geltenden Normen festsetzte.

Ursprünglich und auch während des ganzen
Mittelalters in der Form einer Tafel ange-
fertigt nahm er bereits in der karolingischen
Zeit die Form eines mit Reliquien reich ver-
sehenen Schreines an, namentlich war es
die romanische Kunst, welche diese Form ihm
zu geben pflegte, während die Gotik zur Tafel-
form zurückkehrte. In ihrer Vorliebe für
glänzenden Schmuck und bei ihrer grofsartigen
Freigebigkeit für Kultzwecke schuf die Zeit
der romanischen Kunst jene zahlreichen mit
Gold, Silber, Elfenbein, Email, Niello, Filigran
und edlen Steinen gezierten Altärchen, deren
sich auf deutschem Boden eine so stattliche
Zahl erhalten hat, um der Nachwelt zu ver-
künden, mit welchem Aufwände, aber auch
mit welch' zartem Gefühl für eine tiefgehende
Symbolik man jene Stätte herstellte, auf welcher
statt des von Gott verworfenen jüdischen Opfers
 
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