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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Braun, Joseph: Pluvialschließen aus dem Schatz der Stiftskirche zu Tongern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0161

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251

1904.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

252

Die Umrahmung der Agraffe gehört dem
XVI. Jahrh. an, das Mittelstück ist dagegen
älter und reicht, wie es scheint, bis in die
Mitte oder gar die erste Hälfte des XV. Jahrh.
hinauf, nur die silbervergoldeten Rosettchen,
mit denen jetzt der Grund belegt ist, das Zepter
in der Rechten Marias und die silbernen Wolken
zu Füfsen der Gottesmutter und der inzensieren-
den Engel sind spätere Zutat. Ursprünglich
mufs der Fond mit durchsichtigem Email ge-
füllt gewesen sein, wie die Rautenmus'.erung
desselben und die ihm eingepunzten Lilien be-
weisen.

Die übrigen Pluvialschliefsen im Schatz der
Tongerner Stiftskir-
che sind von ge-
ringerer Bedeutung.
Alle sind kreisför-
mig. Eine stellt eine
etwas vereinfachte
Form der Agraffe
Nr. IV dar und
scheint als Gegen-
stück zu dieser ge-
dacht zu sein. Auch
bei ihr stammt das
Mittelstück mit der
Darstellung der von
Engeln umgebenen
Gottesmutter auf
ehedem emailliertem
Fond noch aus dem
XV. Jahrh. Andere
sind ganz das Werk
des XVII. Jahrh.

Es ist auffällig, wie wenig Pluvialagraffen
sich verhältnismäfsig aus dem Mittelalter er-
halten haben, obschon doch deren Zahl damals
eine bedeutende gewesen ist. Strotzten ja
manche Kirchen wie von kostbaren Pluvialien,
so auch von prächtigen Schliefsen. Um so
mehr verdienen alle Aufmerksamkeit jene
Agraffen, welche sich als Zeugen einer grofsen
Vergangenheit voll regster kirchlicher Kunst-
tätigkeit in die Gegenwart gerettet haben.
Indessen habe ich noch etwas anderes be-
zweckt, wenn ich die Agraffen des Tongerner
Schatzes zum Gegenstand dieser Zeilen ge-
macht habe. Es kann wenig helfen, wenn die
kostbaren Schätze früherer Zeit fern und unbe-
achtet in irgend einer Schatzkammer ruhen,
sie müssen vielmehr durch gute Abbildungen

Abbildung 4

in die Öffentlichkeit gebracht werden, damit
sie, was sie so sehr vermögen, wozu sie da
sind und was uns so sehr vonnöten ist, vor-
bildlich wirken können. Die Agraffen des
Schatzes zu Tongern sind keine erstklassigen
Arbeiten, aber es sind gute Arbeiten, von denen
sich jedenfalls lernen läfst. Insbesondere gilt
das, was bei den noch vorhandenen deutschen
Schliefsen sehr selten ist, von der reichen Ver-
wendung des Emails, das hier so ausgiebig zur
Benutzung gekommen ist. Namentlich in dieser
Beziehung seien also die Pluvialagraffen des
Tongerner Schatzes der Beachtung empfohlen,
und zwar ist es vor allem der in Abb. 2 gegebene

Typus, auf den hier
die Aufmerksamkeit
gelenkt werden soll.
Das Motiv, die An-
ordnung des Bild-
werks und die Art
der Verwendung
des Emails lassen
ihn in hohem Mafse
als vorbildlich er-
scheinen. Die
Blätter können na-
türlich reicher aus-
gestaltet und um
Zacken, die zwischen
je zwei Blättern her-
vorwachsen, berei-
chert werden. Eben-
so mag man die
Umrahmung kräfti-
ger ausbilden, die
acht Blätter durch sechs ersetzen und an Stelle
der Figuren andere treten lassen. Das ist es ja,
worin die künstlerische Ausnutzung der Kunst-
schöpfungen früherer Zeiten vor allem bestehen
soll. Man mag gewifs gelegentlich kopieren,
was die alten Meister an herrlichen Schöpfun-
gen uns hinterlassen haben. Die Hauptsache aber
ist, dafs unsere Künstler an den Werken ihrer
Vorgänger Sprache und Ausdruck, die in ihnen
verkörperten Ideen und den Geist, der sie be-
seelt, studieren, um dann auf dem sicheren Bo-
den des alten, gereift durch volles Verständnis
desselben und vertraut mit seinen Formen, Neues
zu schaffen, wie es Zeit und Umständen und der
persönlichen Veranlagung des Künstlers ent-
spricht.

Luxemburg. Jos. Braun.
 
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